Vor kurzem erst habe ich darüber geschrieben, wie gut die Astronomie darin ist, Dinge zu “sehen”, die eigentlich nicht zu sehen sind. Zumindest nicht mit unseren Augen. Unsere Sinne zeigen uns nur einen winzigen Ausschnitt des gesamten Universums. Und je besser wir den Kosmos verstehen, desto mehr merken wir, wie wenig wir bis jetzt gesehen haben. Und wie viel wir verpassen. Die dunkle Materie zum Beispiel. Die Materie, die wir direkt sehen; das heißt, die Materie, die elektromagnetische Strahlung abgibt, die von den verschiedenen Meßinstrumenten der Wissenschaftler aufgefangen werden kann; die ganz “normale” Materie also, die uns umgibt und aus der wir bestehen – diese Materie macht nur einen kleinen Bruchteil der gesamten Materie aus. Denn vor einigen Jahrzehnten bemerkte man, dass da noch mehr sein muss.
Oft wird ja behauptet, die Astronomen hätten die dunkle Materie nur “erfunden”; hätten sich alles nur ausgedacht, um ihre “Theorien zu retten” oder etwas in der Art. Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein. Die meisten Astronomen wären vermutlich froh, wenn sie die ganze dunkle Materie einfach ignorieren könnten. Sie macht alles so schrecklich kompliziert… Aber es gibt nun mal Beobachtungsdaten, die wir berücksichtigen müssen. Verschiedene Astronomen haben bei vielen verschiedenen Beobachtungen vieler verschiedener Himmelsobjekte immer wieder das gleiche Phänomen entdeckt: Die Objekte bewegen sich nicht so, wie sie es eigentlich tun sollten. Das kann zwei Gründe haben. 1) Die Formeln mit denen die Bewegung beschrieben wird ist falsch. Oder 2) Man hat nicht gesamte Materie berücksichtigt. Beide Ansätze wurden ausprobiert. Aber die neuen Bewegungsgesetze (die sogenannte modifizierte Newtonsche Dynamik) haben die Mehrheit der Wissenschaftler nie richtig überzeugt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass da draußen wirklich noch mehr Materie ist und ihr Einfluss ist es, der die Bewegung der Himmelskörper stört. Es kann aber keine normale Materie sein, denn die hätten wir gesehen. Es muss “andere” Materie sein; Materie, die nicht mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirkt. Materie, die kein Licht abgibt und kein Licht reflektiert oder absorbiert. Materie, die für uns effektiv unsichtbar ist – aber nicht unspürbar, weil ja da immer noch der gravitative Einfluss ist.
Beobachtungen wie diese hier, zeigen immer wieder, dass irgendetwas im All gravitativen Einfluss ausübt, ansonsten aber nicht zu sehen ist. Messungen mit Satelliten und Experimente von Teilchenphysiker deuten ebenfalls darauf hin, dass da noch irgendwelche bis jetzt unbekannten Teilchen sein könnten, die genau die Eigenschaften dunkler Materie haben. Diese hypothetischen Teilchen nennt man WIMPs. Das steht für Weakly Interacting Massive Particles; also Teilchen, die so gut wie kaum mit anderer Materie wechselwirken. Die schonb bekannten Neutrinos sind WIMPs – aber leider gibt es von ihnen nicht genug, um die Beobachtungen zu erklären. Es muss also noch andere WIMPs geben. Und während die Teilchenphysiker weiter auf der Suche nach ihnen sind, probieren die Astronomen, mit Beobachtungsdaten auszuhelfen.
Mit ihren Teleskopen können sie zwar keine neuen Elementarteilchen entdecken. Aber man kann die Teilchenphysiker unterstützen und ihnen sagen, wo es sich zu suchen lohnt und wo nicht. Je genauer man die Eigenschaften der hypothetischen WIMPs kennt, desto leichter wird die Suche nach ihnen. Und die Astronomie kann helfen, die Möglichkeiten einzuschränken.
Dunkle Materie beeinflusst durch ihre Gravitationskraft nicht nur die Bewegung von Sternen, Galaxien und Galaxienhaufen. Sie könnte auch die Sterne selbst beeinflussen. Wenn die dunkle Materie sich so verhält, wie man bis jetzt annimmt, dann ist jede Galaxie in eine großen Wolke aus dunkler Materie eingebettet. Die dunkle Materie ist also überall, auch in der Nähe der Sterne. Und die WIMPs treten zwar so gut wie kaum mit normaler Materie in Wechselwirkung, aber eben nur “so gut wie”. Ein kleines bisschen Kontakt kann es geben. Wenn nun also haufenweise WIMPs durch einen Stern sausen, können ein paar davon mit Atomen im Sternplasma kollidieren und abgebremst werden. Dadurch kann der Stern die dunkle Materie einfangen und das verändert die Art und Weise, wie ein Stern funktioniert. Ein Stern könnte zum Beispiel einen Kern aus dunkler Materie haben. Für den Fall, dass die dunkle Materie aus einer speziellen Art von WIMPs besteht, könnte ein Stern mehr Strahlung erzeugen, als man erwarten würde. Dunkle Materie kann einen Stern auf verschiedene Art und Weise beeinflussen und die Astronomen Jordi Casanellas und Ilídio Lopes aus Portugal haben sich das mal im Detail angesehen (“First asteroseismic limits on the nature of dark matter”).
Kommentare (68)