Viele Menschen machen zur Zeit Urlaub und viele von ihnen verbringen den Urlaub in den Bergen um dort Ski zu fahren. Skifahren ist wirklich toll und ich habe das früher auch sehr gerne gemacht (übrigens noch so richtig mit echten Skiern; keinen Snowboards, Carvern, oder mit was auch immer man sonst heutzutage die Berge runterfährt). Aber zum Skifahren braucht man Schnee. Leider ist das Wetter unzuverlässig und die vom Tourismus abhängigen Regionen wollen sich nicht darauf verlassen. Deswegen gibt es Kunstschnee. Aus Wasser wird mit großen Beschneiungsanlagen künstlicher Schnee erzeugt, der für dauerhaften Skispaß auf den Pisten sorgt. Beschneiungstechniken sind in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden und stellen auch einen immer wichtigeren finanziellen Faktor dar. Je weniger oft man beschneien muss; je länger der Kunstschnee hält – desto mehr Geld verdienen die Skiorte. Man muss sich also nicht wundern, wenn manche Firmen von dieser Abhängigkeit profitieren möchten und mit “innovativen” – oder vielleicht eher seltsamen – Methoden mehr Gewinn versprechen. Zum Beispiel, in dem man für die Erzeugung des Kunstschnees “belebtes Wasser” verwendet.
“Belebtes” Wasser gibt es nicht (höchstens Wasser, in dem sich etwas Lebendiges aufhält). Wasser ist Wasser. Wasser besteht aus H2O-Molekülen. Die kann man nicht “beleben” oder “aktivieren”. Trotzdem ist die “Wasserbelebung” ein riesiges Geschäft. Kaum ein Lifestyle-Cafe kommt mehr ohne teures Granderwasser aus. Viele Firmen und Gemeinden fallen auf den Wasserbelebungsunsinn rein und geben Geld für teure “Belebungsanlagen” aus. Das “belebte” Wasser soll alles können. Es soll gesünder sein, gegen Krankheiten schützen und die Wäsche schneller und besser sauber machen. Mit ihm soll man besseres Brot backen können, in Schwimmbädern weniger Chlor benötigen, und so weiter und so fort. Der Erfinder des belebten Wassers, Johann Grander, wurde in Österreich sogar mit einem Wissenschaftsorden ausgezeichnet. Mit Wissenschaft hat das alles natürlich wenig zu tun. Die “Wasserbelebungstechnologie” besteht – je nach Anbieter – aus einem Gerät, an dem das Wasser einfach vorbei oder hindurch fließt. Das Gerät, das bei näherer Betrachtung keine besondere Technologie enthält, verzaubert das normale Wasser dabei und macht es zu “belebtem” Wasser. Natürlich redet man bei den Wasserzauberern immer viel von “Schwingungen” und “Frequenzen” und verwendet die anderen üblichen Buzzwords, die in der Esoterikszene den Anschein von Wissenschaftlichkeit verleihen soll. Das ändert nichts daran, dass jedes wissenschaftliche Experiment bis jetzt gezeigt hat, dass sich “belebtes” Wasser nicht von normalen Wasser unterscheidet. Warum sollte es auch; die gesamte Grundlage der Wasserbelebung hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Wasser wird nicht “inaktiv” wenn es durch gerade Rohre fließt und muss nicht mit spiralförmigen Rohren “aktiviert” werden. “Belebtes Wasser” ist ein aus “dem Esoterik-Milieu stammender, parawissenschaftlicher Unfug”, wie ein österreichisches Gericht festgestellt hat.
Aber wen interessiert schon die Physik? (Oder ein Gerichtsurteil) Die Aussicht auf mehr Gewinn lässt manche Leute anscheinend mehr als nur den gesunden Menschenverstand vergessen. “Kunstschnee, der länger hält”, meldete das österreichische Fernsehen stolz und berichtete – völlig unkritisch – über eine Firma, die “Wasser belebt und entstört” und dadurch Kunstschnee erzeugt, der angeblich um 30 Prozent länger haltbar ist und damit auch um 30 Prozent weniger Kosten für Energie und Wasser erzeugt.
Wie schon gesagt: Wasserbelebung ist “parawissenschaftlicher Unfug”. Man muss Wasser auch nicht “entstören”. Aber die Geschichte vom belebten Kunstschnee ist ein schönes Beispiel dafür, wie man wissenschaftliche Experimente NICHT machen sollte. Auf der Homepage der besagten Firma (Webcite) kann man nachlesen, wie die Sache mit dem belebtem Schnee funktioniert:
“Die Molekularstruktur beim ERSO-HESU Schnee wird durch die Elektrosmogentstörung und Wasseraktivierung dem des Naturschnees angeglichen, die Räume zwischen den Molekülen auf ein Minimum reduziert”
Das ist wichtig, denn
“Sowohl durch elektrotechnische Ausstattung von Maschinen und Anlagen als auch WLAN oder Funk entstehen Elektrosmog bzw. elektromagnetische Störfelder. Durch die ERSO-HESU Technologie werden diese bei allen Beschneiungsanlagen (Lanzen und Kanonen) absorbiert.”
Abgesehen davon, dass bis jetzt trotz aller Bemühungen immer noch nicht nachgewiesen werden konnte, dass schädlicher “Elektrosmog” überhaupt existiert (wer meint, elektrische Felder “spüren” zu können, der soll sich bei der GWUP melden – mit einem Nachweis dieser Fähigkeit kann man dort viel Geld gewinnen) stellt sich natürlich die Frage, wieso die bösen WLAN-Wellen nur den konventionellen Kunstschnee stören. Wird der normale Naturschnee davon nicht beeinflusst? Aber ok – tun wir mal so, als wüssten wir nicht, dass belebtes Wasser der schon mehrmals erwähnte “parawissenschaftliche Unfug” ist und überlegen uns, wie man solche Behauptungen belegen könnte.
Da wird von der “Molekularstruktur” des Schnees gesprochen. Von “Räumen zwischen Molekülen”, die unterschiedlich groß sind, je nachdem, ob man “belebtes” Wasser verwendet oder normales Wasser. Um solche Behauptungen zu belegen, würde ich mir ein paar schöne Laboruntersuchungen mit mikroskopischer Analyse erwarten (oder anderen Methoden, um so etwas festzustellen; ich bin kein Experte). Zuerst müssen natürlich die Grundlagen geklärt werden. Man braucht viele Proben der verschiedensten Sorten von natürlich gefallenen Schnee. Je nach Wetter, Temperatur und Wassergehalt kann der ja locker-flockig sein oder hart wie Eis. Man bestimmt nun also die Schwankungsbreite der Abstände zwischen den Molekülen bei normalen Schneesorten. Danach macht man das gleiche mit Kunstschnee. Und dann mit “belebtem” Wasser. Wenn sich dann nach einer vernünftigen statistischen Auswertung zeigt, dass die “Räume zwischen den Molekülen” bei “belebtem” Schnee tatsächlich signifikant kleiner sind als bei normalen Kunstschneesorten, dann hat man etwas, worüber man diskutieren kann.
Aber das wäre ja echte Wissenschaft. Und man verwendet in der Wasserbelebungsszene zwar gerne wissenschaftlich klingende Begriffe. Von echten wissenschaftlichen Analysen lässt man aber dann meistens doch die Finger. Dabei klang der Bericht im österreichischen Fernsehen schon so vielversprechend: “Das System wird derzeit im Kompetenzzentrum für Kunstschneeerzeugung in Lech getestet”, heißt es da. Das klingt beeindruckend; so nach großem Labor in dem jede Menge Wissenschaftler alles erforschen, was man über Schnee erforschen kann. Und vielleicht gibt es so etwas in Lech ja auch (ich habe allerdings bis jetzt keine entsprechende Einrichtung gefunden). Aber der Test des “belebten” Schnees verlief ganz anders. Auf der Homepage der Firma (Webcite) kann man nachlesen, was man gemacht hatte:
“Am 15.11.2012 wurden im Skigebiet Lech am „Schlegelkopf“ mit zwei Beschneiungsmaschinen punktuell zwei Schneefelder mit gleicher Schneizeit erzeugt. Eine der beiden Schneemaschinen war mit der ERSO-HESU Technologie ausgestattet. In weiterer Folge wurde die Abtauphase beobachtet. Am Ende des ersten Tages waren beide Schneefelder noch vorhanden. Am zweiten Tag war das Schneefeld, das mit der traditionellen Technologie erzeugt wurde, um 12:00 Uhr vollkommen abgetaut, während das „ERSO-HESU Schneefeld“ erst nach 14:00 Uhr abgeschmolzen war. Das Ergebnis: ERSO-HESU Schnee hält um 2 Stunden, also rund 30% länger!”
Man hat also zwei Schneekanonen angeworfen und dann zugeschaut, wie der Schnee schmilzt. Ok, das ist keine Laboruntersuchung. Aber wenn ein Effekt existieren würde, dann könnte man ihn so vielleicht auch sehen, muss sich aber ein bisschen mehr anstrengen. Wie schnell Schnee schmilzt hängt von vielen Faktoren ab: der Temperatur, dem Wetter, der Bodenbeschaffenheit, der Art und Weise wie die Piste präpariert und von den Sportlern befahren wird – wahrscheinlich sogar von der Art und Weise wie der Beschneier die Maschine bedient. Idealerweise würde man sich für das Experiment eine große Halle aussuchen (es gibt ja mittlerweile auch viele Indoor-Skipisten), in der die Bedingungen kontrolliert werden können. Der Boden dieser Halle wird beschneit. Dabei weiß die Person, die die Maschinen bedient, nicht, welche gerade an der Reihe ist. Und bei der Auswertung der Experimente weiß auch niemand, welcher Teil durch welche Maschine beschneit wurde. Dann hat man ein doppelblindes Experiment und schon ein bisschen mehr Sicherheit, dass man keine subjektiven Fehler gemacht hat. Wenn man das Experiment in der freien Natur durchführt, wird alles schwieriger. Hier müsste man das Experiment auf jeden Fall mehr als einmal durchführen. An verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten und natürlich ebenfalls doppelblind. Dann braucht es noch eine vernünftige statistische Auswertung um signifikante Effekte zu erkennen.
Das hat man in diesem Fall aber leider nicht getan. Man hat ein Stück Berg bei Lech beschneit. Und dann anscheinend gewartet, bis im Fernsehen das Panoramabild der Gegend auftaucht:
Rechts ist der “belebte” Schnee, links der normale und weil rechts noch mehr Schnee da ist, sind die Behauptungen belegt! Oder? Nein, natürlich nicht. Es gibt jede Menge Gründe, warum der Schnee ungleichmäßig abschmelzen kann, die alle nichts mit irgendeiner “Wasserbelebung” zu tun haben. Um die ausschließen zu können braucht es ein vernünftiges Experiment, so wie oben beschrieben. Es braucht eine statistische Auswertung. Laut der Firma hat der belebte Schnee 2 Stunden länger gehalten. Das klingt erstmal gut. Aber Schnee hat kein Uhrwerk. Mal schmilzt er schneller, mal langsamer und wenn man wissen will, ob es außergewöhnlich ist, dass es mal zwei Stunden länger gedauert hat, dann braucht man mehr Experimente und Statistik. Nur so kann man sagen, ob der eine Schnee wirklich länger hält als der andere. Die Angabe der “30 Prozent” ist sowieso ein wenig seltsam. Im Text wird erzählt, man hätte die Schneefelder eineinhalb Tage beobachtet. Der “belebte” Schnee hätte zwei Stunden länger gehalten. 2 Stunden von 36 Stunden, das macht nach meiner Rechnung 5 Prozent (und die müssen – wie schon gesagt – noch lang nicht statistisch signifikant sein). Wie kommt man auf 30 Prozent?
Ganz einfach. Steht wieder auf der Homepage (Webcite). Man zählt nur die Stunden, in denen die Temperatur über 0 Grad lag. Dann kommt man auf ein Verhältnis von 6,5 Stunden Haltbarkeit zu 8,5 Stunden und den erwähnten 30 Prozent. Aber natürlich ist das auch ziemlich beliebig. Wie wurde die Temperatur gemessen? Gab es über die ganze Gegend verteilte Thermometer die die Temperatur im Boden und im Schnee gemessen haben? Wohl eher nicht, wahrscheinlich hat man einfach an einer Stelle die Lufttemperatur gemessen.
Die Geschichte mit dem Kunstschnee aus “belebtem” Wasser ist ein schönes Beispiel, das für die gesamte Esoterik/Pseudowissenschaftsszene stehen kann. Da hat man zuerst die wie üblich sehr dramatischen Behauptungen; Behauptungen, die die komplette Naturwissenschaft über den Haufen werden würden, wenn sie wahr wären. Sollte die Sache mit dem Wasserbelebungskunstschnee tatsächlich stimmen, dann wäre Wintersport das geringste Problem der Entwickler. Dafür hätte sie dann sowieso keine Zeit mehr. Sie würden Nobelpreise für Physik, Chemie und Medizin bekommen; wären die berühmtesten Wissenschaftler seit Newton und Einstein und hätten die Grundlage für eine völlig neue Physik gelegt. Überraschenderweise ist das den Leuten, die entsprechende Produkte anbieten, meist völlig egal. Ihnen ist zwar bewusst, dass sie der echten Wissenschaft komplett widersprechen; sind aber absolut überzeugt, dass sie recht haben und die gesamte Physik unrecht. Trotzdem scheinen sie nicht das geringste Interesse zu haben, mit ihrer “Forschungsarbeit” die größte wissenschaftliche Revolution aller Zeiten einzuläuten, sondern wollen einfach nur ihren Kram verkaufen. Dieser Unwille, die dramatischen Konsequenzen der eigenen Behauptungen zu akzeptieren, fasziniert mich immer wieder.
Gerade an der Schnee-Geschichte sieht man die gespaltene Einstellung zur Wissenschaft sehr schön. Man verwendet
einerseits jede Menge wissenschaftlich klingende Ausdrücke – “Molekularstruktur” zum Beispiel – und könnte die Behauptungen auch prinzipiell wissenschaftlich sauber belegen. Sowohl im Labor als auch im Experiment gäbe es ausreichend Möglichkeiten, die Behauptung zu belegen, dass “belebter” Kunstschnee länger hält als normaler Kunstschnee. Aber man tut es nicht. Man begnügt sich mit simplen Beobachtungen, die den Anschein eines Experiments erwecken, aber mit echter Wissenschaft nichts zu tun haben.
Natürlich ist es mühsam, vernünftige Experimente zu machen. Das dauert und das kostet Geld. Wissenschaft ist ein mühsames Geschäft. Es ist also nicht überraschend, dass man sich diese mühsamen und teuren Experimente sparen will. Tatsächlich überraschend dagegen – und auch ziemlich deprimierend – ist es, dass man damit durchkommt. Dass sich auch so genug Kunden finden, die bereit sind, für so etwas Geld auszugeben. Aber ok – hier geht es ja ums Skifahren und den Tourismus – also sind es ja wahrscheinlich sowieso nur größtenteils öffentliche Gelder, die hier verschwendet werden. Und über sowas regt sich schon lang keiner mehr auf…
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