Die Astronomie liebt die Extreme. Sterne existieren für Milliarden von Jahre. Das Universum ist fast 14 Milliarden Jahre alt. Astronomen beschäftigen sich mit dem, was vor langer Zeit passiert ist oder dem, was in langer Zeit passieren wird. Wenn sie zum Beispiel sagen, dass der Stern Beteigeuze “bald” zur Supernova wird, dann meinen sie damit: “Irgendwann in den nächsten paar zehntausend Jahren.”
Sieht man mal von der Bewegung der Himmelskörper ab, die wir mittlerweile ziemlich gut verstehen und bei der wir exakte Vorhersagen machen können, dann kommt es eher selten vor, dass Astronomen sich mit Ereignissen beschäftigen, die sich innerhalb “menschlicher” Zeitspannen abspielen. Aber meine ehemaligen Kollegen von der Universitätssternwarte Jena haben genau so ein Ereignis untersucht. Sie haben herausgefunden, dass vor knapp 1200 Jahren ein Gammablitz die Erde getroffen hat.
Ein wichtiger Weg um etwas über die Vergangenheit herauszufinden, sind Bäume. Ihre Wachstumsringe zeigen nicht nur ihr Alter an. Man kann zum Beispiel auch Informationen über das Wetter ablesen – das beeinflusst die Dicke der Ringe. Und kombiniert man die Ringe vieler Bäume, bekommt man eine durchgehende Chronologie der letzten paar 1000 Jahre. Man kann auch die Menge bestimmter chemischer Isotope messen. Zum Beispiel C-14. Das ist leicht radioaktiver Kohlenstoff und er ist überall. Wir Menschen und der Rest der Lebewesen bestehen u.a. aus Kohlenstoff. Der Großteil davon ist normaler Kohlenstoff-12. Ein winziger Teil aber eben auch Kohlenstoff-14. Dieses C-14 ist radioaktiv und zerfällt im Laufe der Zeit. Solange wir aber lebendig sind und weiter neuen Kohlenstoff durch Nahrung aufnehmen, gleicht sich das aus. Erst nach dem Tod nimmt C-14 kontinuierlich ab und deswegen sind die Forscher auch so daran interessiert. Aus der Menge von C-14 in einem Fundstück können sie sein Alter bestimmen.
Ein Grund, warum das radioaktive C-14 überhaupt existiert, ist die Strahlung aus dem Weltall. Von überall her trifft kosmische Strahlung auf die Erde. Sie interagiert mit den Atomen in der Atmosphäre und dabei entsteht eine kleine Menge an C-14. Die Quellen der kosmischen Strahlung sind unterschiedlich. Sie kommt von der Sonne, von fernen Sternen und entsteht bei diversen kosmischen Explosionen wie Supernovae.
Als nun japanische Forscher im Juni 2012 einige Bäume untersuchten, fanden sie eine überdurchschnittliche große Menge von C-14 in den Ringen, die den Jahren 774 und 775 entsprechen. Irgendetwas hat hier während einer sehr kurzen Zeit (kürzer als ein Jahr; vermutlich viel kürzer) sehr viel C-14 erzeugt. Valeri Hambaryan und Ralph Neuhäuser vom Astrophysikalischen Institut der Universität Jena haben sich die Sache genauer angesehen. Sie wollten herausfinden, was damals passiert ist.
Die Sonne kommt als Ursache nicht in Frage. Um die Menge an C-14 zu erklären, braucht es ein sehr hochenergetisches Ereignis. Auf jeden zwanzig Mal stärker als alles, was von der Sonne zu erwarten ist. Außerdem fand man im Eis der Antarktis (das auch “Ringe” bildet, ähnlich den Baumringen) in den Ablagerungen für das Jahr 775 einen Anstieg des Elements Be-10 (ein Isotop des Beryllium). Das passt ebenfalls nicht zur Sonne als Quelle.
Aber vielleicht war es eine Supernova? Wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens explodiert, kann er jede Menge Zeugs ins All schleudern. Es gibt einen Ausbruch an kosmischer Strahlung der die Erde treffen kann. Damit die Supernova den C-14 Anstieg verursachen kann, muss sie allerdings ungefähr 400 Lichtjahre von der Erde entfernt stattgefunden haben. Damit wäre sie selbstverständlich am Himmel zu sehen gewesen; ziemlich hell sogar. Sie wäre eines der hellsten Himmelsobjekte gewesen, fast so hell wie die Sonne selbst und auch am Tag sichtbar. Diese Supernova hätte keiner übersehen können. Es existieren aber keine Berichte aus der damaligen Zeit, die so ein Ereignis beschreiben. Aber vielleicht wurde das Licht der Supernova durch Wolken aus interstellaren Material blockiert, die zwischen uns und der Supernova lagen? Auch das haben Hambaryan und Neuhäuser untersucht. Im fraglichen Abstand gibt es keine Wolken, die dicht genug sind. Aber vielleicht haben die Menschen die Supernova damals wirklich übersehen? Oder die Aufzeichnungen sind alle verschwunden? Das ist durchaus möglich – aber dann müsste man immer noch den Supernovaüberrest sehen. Die Explosion eines Sterns hinterlässt eine charakteristische Wolke und wenn es auch möglich ist, dass Aufzeichnungen über 1200 Jahre alte Himmelsbeobachtungen verloren gehen, so ist es fast unmöglich, dass die Astronomen einen so nahen und so jungen Supernovaüberrest übersehen haben.
Kommentare (52)