Wissenschaft zu erklären ist schwierig. Denn Wissenschaft ist schwierig. Wäre sie es nicht, dann müsste man nicht jahrelang an Universitäten studieren um wenigstens die Grundlagen dessen zu lernen, was man erforschen will. Jedes wissenschaftliche Ergebnis basiert auf anderen Ergebnissen, die wieder auf anderen Ergebnissen basieren, und so weiter. Naturwissenschaft kommt nicht ohne Mathematik aus und definitiv nicht ohne eine komplizierte Fachsprache. Mathematik und Jargon sind nötig, um ausreichend exakt über die Dinge reden zu können. Denn Wissenschaft ist idealerweise immer so exakt wie möglich. Und genau da kollidiert die Wissenschaft mit der Öffentlichkeitsarbeit.
Will man ein wissenschaftliches Ergebnis mit der Öffentlichkeit diskutieren, kann man die Kenntnis der Fachsprache nicht voraussetzen. Man kann auch kein Detailwissen voraussetzen. Man kann eigentlich gar nichts voraussetzen und muss das Thema so präsentieren, dass es auch jemand verstehen kann, der sich bisher noch nie damit beschäftigt hat. Natürlich geht das nicht. Um ein Thema genau so gut zu verstehen wie die Wissenschaftler, die die Forschung durchgeführt haben, muss man selbst Wissenschaftler sein. Öffentlichkeitsarbeit, Wissenschaftskommunukation und Lehre müssen immer Kompromisse sein. Man kann nicht ALLES erzählen und man kann nicht ABSOLUT EXAKT sein. Aber genau damit scheinen viele Wissenschaftler Probleme zu haben. Sie sind es gewohnt, immer so exakt wie möglich zu sein, nichts auszulassen und vor allem nichts zu sagen, was nicht richtig ist. Der Mikrobiologe und Lehrer Tyler DeWitt nennt das die “Tyrannei der Präzision” und sieht darin eine große Gefahr für die Vermittlung von Wissen. In einem TED-Talk spricht er über seine Erfahrung mit Lehrmaterialien, die so präzise sind, dass sie kein Laie und Schüler mehr versteht:
Vermutlich werden viele anderer Meinung sein als DeWitt. Viele werden trotz allem denken, das es unverantwortlich ist, Dinge zu sagen, die nicht absolut richtig sind. Und das stimmt natürlich auch. Werden Dinge so sehr vereinfacht, dass sie schlicht und einfach falsch sind, ist niemandem geholfen. Aber – und da hat Tyler DeWitt vollkommen recht – es gibt eine Art “Grauzone”. Wenn ich zum Beispiel über den Unterschied zwischen Planeten und Asteroiden spreche, dann kann (und werde) ich erzählen, dass Asteroiden wegen ihrer geringen Eigengravitation unförmig sind, während Planeten schwer genug sind, um dank ihrer größeren Masse zu einem sphärischen Himmelskörper zu kollabieren. Und das ist falsch. Denn Planeten sind nicht kugelförmig. Durch die Rotation sind die Planeten an den Polen abgeplattet. Unregelmäßigkeiten in der Massenverteilung im Inneren der Planeten veformen sie noch mehr. Und Gebirge, Ozeane, etc stellen weitere Unregelmäßigkeiten dar. Planeten sind NICHT rund. Aber dieses Maß an Präzision geht am eigentlich Punkt vorbei, nämlich den Unterschied zwischen Planeten und Asteroiden zu erklären. Meiner Meinung nach ist völlig legitim, eine Vereinfachung dieser Art zu machen, anstatt die Leute zu verwirren.
Wissenschaftler sollten dieses Konzept eigentlich gewohnt sein. Auch in der Forschung arbeitet man immer mit Näherungen, von denen man weiß, dass sie eigentlich nicht richtig sind. Wenn Astronomen die Bewegung der Planeten berechnen, dann verwenden sie so gut wie immer die Newtonschen Gravitationsgleichungen, obwohl seit fast 100 Jahren bekannt ist, das diese nicht exakt sind. Die korrekte Art, um gravitative Interaktion zwischen Himmelksörpern zu beschreiben, wäre die Anwendung von Einsteins Gleichungen aus der Allgemeinen Relativitätstheorie. Aber dieses Maß an Exaktheit ist für die meisten Anwendungen nicht nötig. Es wäre sogar kontraproduktiv, weil Einsteins Gleichungen viel komplizierter und aufwendiger zu lösen sind. Man kommt zum gleichen Ergebnis und das viel schneller, wenn man Newtons Gleichungen verwendet. Obwohl sie “falsch” sind.
Der Einsatz von Näherungen ist eine Methode, die äußerst erfolgreich in allen wissenschaftlichen Disziplinen verwendet wird. Warum nicht auch in der Öffentlichkeitsarbeit…
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