Nicht geplant, aber trotzdem pünktlich lag heute dieses Buch hier in meinem Briefkasten:
Es ist der Versuch der Biografie einer Frau, über die kaum biografisches Material existiert. Zumindest nicht so viel, wie es ihrer wissenschaftlichen Bedeutung angemessen wäre. Ohne die Arbeit von Henrietta Swan Leavitt hätte Edwin Hubble seine revolutionären Entdeckungen nicht machen können. Er hätte den Abstand zum Andromedanebel nicht messen und herausfinden können, dass es sich dabei um eine eigene Galaxie handelt und das Universum sehr viel größer ist, als man bisher dachte. Er hätte später auch nicht herausfinden können, dass das Universum expandiert und somit die Grundlage für die Urknalltheorie legen können. Ohne Henrietta Leavitts Erkenntnisse wären viele der folgenden Entwicklungen nicht möglich gewesen, denn sie zeigte uns, wie wir auch große Entfernungen im Weltall messen können. Vor zwei Tagen veröffentlichte die Europäische Südsternwarte eine Pressemitteilung mit dem Titel “Die genaueste Vermessung des Universums aller Zeiten”. Die Grundlage dafür hat Leavitt im Jahr 1912 gelegt. In einer wissenschaftlichen Arbeit mit dem Titel “Periods of 25 Variable Stars in the Small Magellanic Cloud” schrieb sie:
“A remarkable relation between the brightness of these variables and the length of their periods will be noticed.”
Und es war tatsächlich eine “außergewöhnliche Beziehung”, die Leavitt entdeckt hatte…
Henrietta Leavitt begann ihre wissenschaftliche Arbeit am Harvard College im Jahr 1893. Sie war ein “Computer”. So bezeichnete man damals keine technischen Geräte, sondern Menschen, die mathematische Berechnungen anstellten. Und in Harvard waren das Frauen. Das war für die damalige Zeit enorm ungewöhnlich. Die erste Frau, die Edward Charles Pickering, der Direktor der Sternwarte, einstellte, war Williamina Flemming. Ursprünglich war sie die Haushälterin von Pickerung und man erzählt sich, dass er einmal so unzufrieden mit seinen männlichen Mitarbeitern war und ihnen drohte: Da kann ja meine Haushälterin bessere Arbeit leisten als ihr! Ob das wirklich der Grund war, warum er Flemming einstellte, weiß ich nicht aber sie hat definitiv für ihn gearbeitet und wurde eine hervorragende Astronomin. Ein Grund – wenn nicht vielleicht sogar der Grund – warum Pickering Frauen beschäftigte war aber definitiv der geringe Lohn, den er ihnen zahlen konnte. So wie heute immer noch wurden auch damals schon die Frauen für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt als Männer.
Aber auch wenn sie unterbezahlt waren, leisteten die “Harvard Computers” wichtige Arbeit. Die Frauen klassifizierten Sterne und werteten Daten aus – und auch wenn das ziemlich langweilige, automatisch ablaufende Arbeit ist, machten sie sich doch Gedanken über das was sie taten. Annie Jump Cannon entwickelte zum Beispiel das System zur Klassifizierung von Sternen in verschiedene Spektraltypen, das auch heute noch in Verwendung ist. Und Henrietta Leavitt fielen ein paar interessante Eigenschaften bei veränderlichen Sternen auf.
Schon 1908 veröffentlichte sie einen Katalog mit 1777 veränderlichen Sternen aus der Magellanschen Wolke. Dabei stellte sie fest, dass die helleren Sterne ihre Helligkeit langsamer zu verändern schienen als die dunkleren Sterne. Normalerweise ist es schwierig, Beziehungen festzulegen, die mit der Helligkeit der Sterne zu tun haben. Denn man weiß ja erst mal nicht, wie weit sie entfernt sind. Ein Stern kann am Himmel hell erscheinen, weil er sehr nahe ist. Oder weil er weit weg ist, aber sehr groß. Auf Anhieb kann man das nicht unterscheiden und es war damals noch viel komplizierter als heute, die Entfernung von Sternen genau zu bestimmen. Aber Leavitt erkannte richtig, dass das in ihrem Fall keine Rolle spielte. Denn ihr Katalog enthielt nur Sterne aus der Magellanschen Wolke. Die war weit enfernt; so weit, dass man in erster Näherung davon ausgehen konnte, dass all die Sterne in etwa gleich weit von der Erde entfernt waren. Die Unterschiede in der Helligkeit mussten daher auf die Leuchtkraft zurückzuführen sein. Helle Sterne in der Magellanschen Wolke waren tatsächlich heller und leuchtkräftiger als die dunkleren Sterne. Und damit war auch die Beziehung zur Periode der veränderlichen Sterne real.
In schon oben erwähnten Artikel aus dem Jahr 1912 hat sie diese Beziehung dann detailliert ausgearbeitet. Die Daten wurden exakt analysiert und Leavitt fand die sogenannte Perioden-Leuchtkraft-Beziehung. Je leuchtkräftiger ein veränderlicher Stern, desto länger ist die Periode, mit der er seine Helligkeit ändert (Leavitt legte diese Beziehung damals nur für eine bestimmte Gruppe von veränderlichen Sternen fest, die Cepheiden). Das bedeutet: Kennt man die Helligkeit eines veränderlichen Sterns, dann kann man daraus die Periode berechnen. Und noch wichtiger: Kennt man die Periode eines veränderlichen Sterns, kann man daraus seine Helligkeit berechnen! Und zwar seine wahre Helligkeit, das was die Astronomen “absolute Helligkeit” nennen. Die Helligkeit, mit der der Stern wirklich leuchtet und nicht nur die, die wir am Himmel sehen, die “scheinbare Helligkeit”. Die scheinbare Helligkeit hängt auch von der Entfernung ab – ein Stern kann scheinbar schwach leuchten, weil er auch eine geringe absolute Helligkeit hat. Oder weil er zwar absolut hell leuchtet, aber weit weg ist. Aus der scheinbaren Helligkeit alleine kann man die Entfernung nicht berechnen. Kennt man aber absolute und scheinbare Helligkeit, dann folgt daraus sofort die Entfernung des Sterns! Weiß man, wie hell ein Stern wirklich leuchtet und wie hell er am Himmel erscheint, kann man leicht berechnen, wie weit er weg ist.

Der Zusammenhang zwischen Leuchtkraft und Periode. Das Bild stammt aus der Originalarbeit von Leavitt und Pickering (1912)
Die scheinbare Helligkeit ist leicht zu messen. Sie ist das, was wir am Himmel sehen. Die absolute Helligkeit zu bestimmen, ist viel schwerer. Wir können sie ja nicht direkt beobachten sondern brauchen indirekte Methoden. Und Leavitt hatte genau so eine Methode gefunden! Wir brauchen nur die Periode eines veränderlichen Sterns zu messen – was ziemlich einfach ist – und können daraus durch die Perioden-Leuchtkraft-Beziehung seine absolute Helligkeit berechnen.
Und genau so hat dann auch Hubble die Entfernung zur Andromedagalaxie bestimmt. Er entdeckte in ihr einen veränderlichen Stern, maß seine Periode und benutzte Leavitts Entdeckung, um den Abstand zwischen Erde und Andromeda zu berechnen. Er entdeckte, dass es sich nicht um ein Objekt innerhalb der Milchstraße handelte, sondern um eine weit, weit entfernte eigenständige Galaxie. Bis zu diesem Punkt dachten die meisten Astronomen, das gesamte Universum würde nur aus unserer Milchstraße bestehen. Dank Henrietta Leavitts Arbeit war es nun möglich, diese Ansicht zu revidieren. Das Universum war mit einem Schlag unvorstellbar viel größer worden…
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