Die Galaxie NGC 4845 ist 47 Millionen Lichtjahre weit entfernt. Auf galaktischen Maßstäben ist das wenig; sie gehört also zu unserer kosmischen Nachbarschaft. Entdeckt wurde sie Ende des 18. Jahrhunderts von Wilhelm Herschel, der hauptsächlich wegen seiner viel prominenteren Entdeckung des Planeten Uranus bekannt ist. NGC 4845 ist eine recht typische Galaxie. So sieht sie aus.
Uns so wie jede typische Galaxie hat auch NGC 4845 in ihrer Mitte ein großes, supermassereiches schwarzes Loch. Auch unsere Galaxie, die Milchstraße, hat so ein Objekt in ihrem Zentrum sitzen. Man hat es (unter anderem) durch die Bewegung der Sterne in seiner Umgebung identifiziert. Schwarze Löcher sind enorm faszinierende Objekte. Seit Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie wissen wir, dass Masse den Raum verzerrt. Und da alle Objekte bei ihrer Bewegung der Krümmung des Raums folgen, sieht es für uns so aus, als würden die Himmelskörper eine Kraft aufeinander ausüben. Die Sonne macht dank ihrer Masse eine große “Delle” in den Raum und die Erde folgt dieser Krümmung. Sie bewegt sich also um die Sonne herum. Wollen wir aus so einer Delle wieder heraus kommen, müssen wir uns schnell genug bewegen. Aus der Delle, die die Erde verursacht, kommen wir vergleichsweise leicht heraus. Alles was man schneller als 11,2 Kilometer pro Sekunde in die Luft wirft, fällt nicht mehr auf den Boden zurück, sondern verlässt den gravitativen Einfluss, d.h. die “Delle”, der Erde. Wollten wir von der Sonne aus das gleiche erreichen, müssen wir schon 617 Kilometer pro Sekunde erreichen, denn die Sonne ist schwerer und verzerrt den Raum stärker.
Der wichtigste Parameter ist hier aber nicht die Masse, sondern die Dichte. Das ist das besondere an einem schwarzen Loch! Ein “normales” schwarzes Loch (obwohl an diesen Dingern eigenlich nichts normal ist…) ist nicht schwerer als ein typischer Stern. Aber all diese Masse ist auf einem enorm geringen Raum konzentriert! Die Sonne ist eine Kugel mit einem Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer. Würden wird die Sonne so fest zusammendrücken, dass sie nur noch 6 Kilometer groß ist, dann würde sie zu einem schwarzen Loch werden. Ihre Masse hätte sich dabei nicht geändert. Die Erde würde keinen Unterschied in der Gravitationskraft spüren und das schwarze Loch genauso umkreisen wie vorher die Sonne. Aber die Stärke der Kraft hängt auch vom Abstand ab. Und nun können wir uns der Masse der Sonne viel stärker annähern als vorher! Alles ist ja auf nur 6 Kilometer komprimiert. Und je näher wir kommen, desto schneller müssen wir sein, um wieder zu entkommen. Irgendwann werden wir bei unserer Annäherung eine bestimmte Grenze überschreiten. Diese Grenze heißt “Ereignishorizont” und dahinter müssten wir uns schneller als das Licht bewegen, um die Umgebung des schwarzen Lochs zu verlassen. Und da das nicht möglich ist, kann nichts mehr entkommen, auch kein Licht. Deswegen ist das schwarze Loch schwarz. Genauergesagt ist es unsichtbar.
Das heißt aber nicht, dass wir sie nicht identifizieren können. Einmal geht das, wie oben schon erwähnt, über den Einfluss, den sie auf die Bewegung der Himmelskörper in der Umgebung haben. Man kann sie aber auch in den Teleskopen sehen. Genauergesagt kann man das sehen, was sich in ihrer unmitttelbaren Nähe befindet. Denn Material, dass in ein schwarzes Loch fällt, bildet zuerst eine Scheibe um das Loch herum, aus der es auf spiralförmigen Bahnen dann schließlich im Loch verschwindet. Dank der starken Kräfte, die dort wirken, bewegt sich das Zeug enorm schnell um das Loch herum. Dabei entsteht Strahlung, vor allem Röntgen- und Radiostrahlung, die mit entsprechenden Teleskopen gesehen werden kann.
Das gilt besonders für die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxie. Das sind keine “normalen” schwarzen Löcher, die nur ein paar mal so viel wiegen die Sonne, sondern gigantische Objekte, so schwer wie hundertausende oder Millionen Sonnen! Die Scheiben aus Material, die sie umgeben sind ebenfalls riesengroß und geben enorme Mengen an Strahlung ab. Die schwarzen Löcher leuchten hell und sind selbst aus Millionen oder Milliarden Lichtjahren Entfernung gut zu sehen. Astronomen nennen das “AGN”, also active galactic nuclei. Aber nicht jedes schwarzes Loch verhält sich so. Das Loch im Zentrum unserer Milchstraße verhält sich ruhig, es ist nicht mehr aktiv. Früher war das anders, aber irgendwann ist alles aus der Umgebung im Loch verschwunden und nichts mehr da. Und da die Löcher keine Staubsauger sind, die irgendwas “ansaugen”, sitzen sie einfach nur da und tun nichts mehr. Es sind vor allen die jungen Galaxien, die noch viel mehr Staub und interstellares Gas enthalten, die aktive Kerne haben.
Auch NGC 4845 ist so ein ruhiges schwarzes Loch. In den letzten 10 Jahren hat man dort keine Aktivität beobachtet. Im Januar 2011 aber hat das Weltraumteleskop INTEGRAL der Europäischen Weltraumagentur ESA dort aber einen Ausbruch an Röntgenstrahlung beobachtet. Was da genau passiert ist, haben Marek Nikolajuk von der Universität Bialystok in Polen und seine Kollegen probiert herauszufinden (“Tidal disruption of a super-Jupiter by a massive black hole”).
Dazu haben sie die Daten von INTEGRAL ausgewertet, aber auch die anderer Instrumente. Zum Beispiel die der Weltraumteleskope XMM-Newton und Swift. Aber auch MAXI (Monitor of All-sky X-ray Image) wurde eingesetzt. Es stammt von der japanischen Weltraumagentur JAXA, ist auf der Raumstation ISS montiert und sieht ein wenig so aus wie ein großer Toaster:
Mit all diesen Instrumenten hat man genau beobachtet, wie stark die Röntgenstrahlung war, wie sich ihre Stärke im Lauf der Zeit verändert hat, wie sich die Strahlung zusammensetzt, und so weiter. Leider kann man ja nicht direkt sehen, was in NGC 4845 passiert. Das schwarze Loch ist sowieso unsichtbar und auch der Rest ist mit 47 Millionen Lichtjahren viel zu weit weg, um irgendwelche Objekte konkret zu beobachten. Aber man kann die Beobachtungsdaten mit Modellen vergleichen. Man kann am Computer simulieren, was passiert, wenn verschiedene Objekte von einem schwarzen Loch verschluckt werden. Je nachdem, wie groß die Objekte selbst sind, wie schwer das schwarze Loch ist und wie genau sie “aufgefressen” werden, erhält man verschiedene Arten von Strahlungsausbrüchen. Und diese Simulationen kann man dann mit der Beobachtung vergleichen und schauen, was am besten passt.
Genau das hat man in diesem Fall getan und die Ergebnisse zeigen, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Himmelskörper handelt, der 14 bis 30 Mal schwerer ist als der Planet Jupiter, der hier vom schwarzen Loch verschluckt wird. Es handelt sich also entweder um einen sehr großen Gasplaneten oder aber um einen braunen Zwerg, ein Mittelding zwischen Stern und Planet. Das schwarze Loch hat das Objekt auch noch nicht komplett verschluckt, sondern erst ein wenig daran geknabbert. Ein Himmelskörper in unmittelbarer Nähe eines schwarzen Lochs leidert ja vor allem an den Gezeitenkräften, denn die sind dort gewaltig. Der Unterschied in der Gravitationskraft zwischen der Loch-nahen Seite und der Loch-fernen Seiten des Planeten/braunen Zwergs ist so groß, dass er regelrecht auseinander gerissen wird! Momentan hat sich das Loch erst 10 Prozent seiner Masse einverleibt – aber der Rest wird sicherlich noch folgen.
Auch das schwarze Loch in unserer Milchstraße frisst ab und zu eine Kleinigkeit (ich habe darüber hier, hier und hier berichtet). Es ist aber schön, so etwas auch einmal in einer anderen Galaxie zu beobachten.
Dieses Video zeigt, wie man sich den Prozess in etwa vorstellen kann:
Ich persönlich finde das vor allem deswegen interessant, weil man hier ein substellares Objekt gesehen hat. Naja, “gesehen” hat. Aber auch wenn dieser Planet/brauner Zwerg bald nicht mehr existiert und wir nur indirekt über seine Existenz Bescheid wissen, ist es doch irgendwie ziemlich cool, dass wir so einen Himmelskörper aus einer Entfernung von 47 Millionen Lichtjahren identifizieren können! Es wird zwar noch ein wenig dauern, bis wir ernsthaft nach extragalaktischen Planeten suchen können. Aber solche kleinen, indirekten Beobachtungen sind nicht unwichtig, wenn wir herausfinden wollen, ob die Dinge in anderen Galaxien genauso ablaufen wie bei uns. Wir wissen mittlerweile, dass in unserer Milchstraße jede Menge Planeten einfach so durchs All fliegen, ganz ohne an einen Stern gebunden zu sein. Diese Planeten werden im Zuge der chaotischen Vorgänge bei der Planetenentstehung aus ihren Systemen geworfen und bewegen sich fortan allein durchs All. Es ist höchstwahrscheinlich, dass das auch in anderen Galaxien passiert und es ist ebenso wahrscheinlich, dass es genau so ein Himmelskörper ist, der vom schwarzen Loch in NGC 4845 gefressen wird. Marek Nikolajuk und seine Kollegen haben probiert, abzuschätzen, wie oft so etwas vorkommt. Nimmt man die Statistiken über die frei herumfliegenden Planeten in unserer Milchstraße und kombiniert sie mit der Zahl der Galaxien in der näheren Umgebung, die wir beobachten können, dann müsste es ein paar solcher Ereignisse pro Jahrzehnt geben. Das ist eine überprüfbare Vorhersage; man kann nun in alten Daten und mit neuen Beobachtunge nachsehen, ob das wirklich stimmt. Und so Informationen über die Planeten fremder Galaxien erhalten, die einige Millionen Lichtjahre weit entfernt sind. Wie schon gesagt: Ich finde das enorm beeindruckend!
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