Ist ist nicht so einfach, klar zu definieren, was eine Galaxie ist. Ein Haufen Sterne eben. Aber das alleine reicht noch nicht als Definition, denn was ist dann zum Beispiel mit den Kugelsternhaufen? Das sind ebenfalls große Haufen aus Sternen, aber keine Galaxie. Man macht sich schon seit längerer Zeit Gedanken über das Thema und besonders wenn es um die Grenzfälle geht, wäre es gut, klare Grenzen ziehen zu können. Segue 2 ist so ein Grenzfall. Dieser Haufen besteht nur aus knapp 1000 Sternen. Das ist wenig; jeder bessere Kugelsternhaufen hat mehr Sterne. Aber die Anzahl der Sterne ist kein gutes Kriterium.
Beth Wilman und Jay Strader haben letztes Jahr eine Definition veröffentlicht, die eine Galaxie als
“a gravitationally bound collection of stars whose properties cannot be explained by a combination of baryons and Newtons laws of gravity.”
definiert. Eine Galaxie ist also eine Ansammlung von Sternen, die 1) gravitativ aneinander gebunden sein müssen und deren Eigenschaften 2) nicht erklärt werden können, ohne von der Existenz dunkler Materie bzw. einer Variation der Gravitationsgleichung auszugehen.
Und nach diesem Kriterium ist Segue 2 ganz eindeutig eine Galaxie. Denn sie besteht zwar nur aus knapp 1000 Sternen, ist aber in eine große Wolke aus dunkler Materie eingebettet, so wie es auch bei den großen Galaxien der Fall ist. Evan Kirby von der Universität von Kailfornien in Irvine und seine Kollegen haben Segue 2 genau und lange mit dem großen Keck-Teleskop beobachtet (“Segue 2: The Least Massive Galaxy”). Dabei haben sie festgestellt, dass sich dort wesentlich mehr Masse befinden muss, als man sehen kann. Sie haben dort viel mehr Supernovaüberreste gefunden, als eigentlich vorhanden sein sollte. Wenn ein Stern in einer so kleinen Sternengruppe am Ende seines Lebens explodiert, dann sollte ihre gesamte Gravitationskraft eigentlich nicht ausreichend, das davon sausende Material aufzuhalten. Wenn es also immer noch da ist, muss es dort mehr Masse geben, als man sehen kann. Die gesamte Galaxie leuchtet so hell, wie 900 Sonnen, hat aber eine Masse von ein paar hunderttausend Sonnen!
Natürlich haben sich Kirby und seine Kollegen auch überlegt, wie eine so seltsame Mini-Galaxie entstehen kann. Segue 2 gehört zu den Satellitengalaxien der Milchstraße und befindet sich ungefähr 114.000 Lichtjahre von uns entfernt. Segue 2 könnte der letzte Rest einer einst viel helleren Galaxie sein. Im Laufe ihrer Geschichte ist unsere Milchstraße ja immer wieder mal mit fremden Galaxien kollidiert. Oder aber sie entstand tatsächlich genau so seltsam, wie sie heute ist und stellt einen der Extremfälle bei der Galaxienentstehung dar.
Kirby und seine Kollegen halten die erste Möglichkeit für wahrscheinlicher. Das Galaxien bei Kollisionen mit der Milchstraße zerstört werden, ist ja schon öfter vorgekommen. Die starken Gezeitenkräfte haben die kleineren Galaxien zerrissen und heute weist nur noch ein sogenannter Sternstrom (über die ich hab ich hier mal was geschrieben) auf ihre Existenz hin. Und genau so eine Spur aus Sternen scheint auch zu Segue 2 führen. Es ist nicht immer leicht, solche Strukturen zu identifizieren und es werden noch mehr Beobachtungen nötig sein. Aber es sieht alles so aus, als wäre Segue 2 tatsächlich der allerletzte Rest einer großen, “normalen” Galaxie. Die Interaktion mit der Milchstraße hat die Galaxie der meisten ihrer Sterne beraubt und am Ende bliebt nur noch der dichte Kern übrig. Vielleicht ist Segue 2 aber doch als Winz-Galaxie entstanden – denn das sollte eigentlich recht häufig passieren.
Rein theoretisch sollte die Milchstraße noch von viel mehr Zwerggalaxien umgeben sein (die aber nicht alle so extrem sein müssen, wie Segue 2). Bis jetzt hatte man Schwierigkeiten, sie zu beobachten. Bei der Entstehung der Galaxien sollten eigentlich viel mehr kleine Galaxien wie Segue 2 entstehen. Die Galaxienentstehung beginnt ja mit der dunklen Materie. Sie bildet große Halos; große Wolken und die Masse dieser Wolken zieht dann die “normale” Materie an, aus der Sterne entstehen können. So hat sich im Zentrum jeder Ansammlung von dunkler Materie eine große Galaxie gebildet. Die Computersimulationen zeigen aber, dass sich auch um die großen Halos herum noch viele kleinere Halos aus dunkler Materie bilden in denen entsprechend viele kleinere Galaxien entstehen sollten. Die beobachten wir aber bis jetzt nicht. Es sollten ein paar hundert in der Umgebung der Milchstraße geben, wir kennen aber nur ein paar Dutzend. Vielleicht sind extrem schwer zu beobachtende Galaxie wie Segue 2 die Lösung für dieses Dwarf Galaxy Problem. Vielleicht waren unsere Teleskope bis jetzt einfach nicht gut genug, sie zu beobachten. Vielleicht gab es auch einfach nicht genug normale Materie und in den anderen dunklen Halos sitzen noch weniger Sterne als in Segue 2. Vielleicht sind die Zwerggalaxien auch durch die Gezeitenkräfte und die Interaktion mit den großen Galaxien “leergeräumt” worden, wie man es ja auch bei Segue 2 vermutet. Wir wissen es noch nicht. Aber die Untersuchung von Segue 2 kann dabei helfen, das Rätsel zu lösen!
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