Vor allem deswegen, da bereits Großherzog Karl Friedrich die Thronfolge seiner Söhne aus zweiter Ehe für den Fall vorgesehen hat, dass seine Söhne aus erster Ehe ohne Nachfolger „aussterben“. Sein Nachfolger Karl, ein Nachkomme aus seiner ersten Ehe, bestätigte dies durch ein Haus- und Familienstatut vom 4. Oktober 1817. Ein Jahr später wurde dies auch Teil der badischen Verfassung. Und während des Aachener Kongresses von 1818 wurde dies auch von den dort anwesenden europäischen Monarchen bestätigt. Hier wurde auch die Erbwürdigkeit der Söhne aus zweiter Ehe bestätigt, da diese Ehe mit der Gräfin Hochberg nicht standesgemäß war. Spätestens ab diesem Moment wäre der vertauschte Erbprinz zur Zeitbombe für die Hochberger geworden und eine Gefahr für die eigene Thronfolge, warum ihn dann noch am Leben lassen?
Einige Anhänger der Erbprinzentheorie gehen davon aus, dass sich das bayerische Staatsministerium den „vertauschten“ Thronfolger verschafft hätte, um ihn als Druckmittel im Streit mit dem Großherzogtum Baden um die rechtsrheinische Pfalz, die erst seit 1803 zu Baden gehörte, zu benutzen. Aber auch dieser Streit wurde während des Aachener Kongresses endgültig zu Gunsten Badens entschieden. Somit wäre der „Thronfolger“ vollkommen wertlos. Hätte es nur einen Hauch der Möglichkeit gegeben, über Hauser an die Pfalz zu kommen, hätte König Ludwig I. von Bayern sicherlich alle Hebel in Bewegung gesetzt. Vielmehr hat Reinhard Heydenreuther 2003 nachgewiesen, dass Ludwig I. erst nach dem Tode Hausers von den Erbprinzen-Gerüchten um Hauser erfuhr.
Hinzu kommt noch, dass der letzte noch lebende Sohn aus Karl Friedrichs erster Ehe, Großherzog Ludwig I., 1818 im Alter von 55 Jahren, unverheiratet und nur mit unehelichen Kindern, den Thron bestieg. Wäre die Gräfin Hochberg tatsächlich die ruchlose Person gewesen, als die sie dargestellt wird, wäre ein Mord an den für die damalige Zeit schon alten Großherzog ein Leichtes für sie gewesen. Seit 1818 wäre der dann sechsjährige vertauschte Erbprinz eher eine Gefahr für die Thronbesteigung der Hochberger-Linie gewesen. Die Hochberger mussten nur noch einen alten Mann überleben, um den Thron zu besteigen, warum sollte man dann noch einen tatsächlichen Thronerben am Leben lassen? Auch wäre es wohl um vieles leichter gewesen, ein sechsjähriges Kind ohne viel Aufhebens irgendwo unterzubringen, als einen sechzehnjährigen jungen Mann.
Vertreter der Erbprinzentheorie interpretieren unter anderem auch die Impfnarbe, die an Kaspar Hauser gefunden wurde, als Indiz für die adelige Abstammung des Jungen. Nur höhere Stände, so der Interpretation zufolge, wurden damals geimpft. Hartnäckig wird die Tatsache ignoriert, dass im Königreich Bayern bereits seit dem 26. August 1807 eine Impfpflicht gegen Pocken bestand, die auch äußerst strikt bei allen Ständen durchgeführt und überwacht wurde. Auch in eroberten oder während der Neuordnung des Wiener Kongresses zugesprochenen Gebieten wurde die Impfpflicht streng überwacht. Vor allem ist doch die Frage, warum Kaspar Hauser überhaupt geimpft worden ist, wenn er denn der vertauschte Erbprinz gewesen sei. Warum so viel Sorge um einen eingesperrten Jungen?
Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die Erbprinzentheorie durch Otto Mittelstädt und Antonius van der Linde auch von anderer Seite aus her entkräftet. Beide Autoren wiesen nach, dass ein Austausch des Säuglings nur unter größtem Aufwand, eher gar nicht möglich war. „Hauptzeugin“ war hierbei die Markgräfin Amalie, die Großmutter des Säuglings. Sie war bei der Geburt des Kindes selbst zugegen, war während des gesamten Krankheitsverlaufs immer wieder anwesend und auch während des Todes des Säuglings und danach dabei. Die alte Markgräfin hatte selbst sieben Kinder und ihr wäre ein Austausch sicherlich als erster aufgefallen. Ebenso verhält es sich mit dem Kindermädchen und den Ärzten.
Der „Todesstoß“ für die Erbprinzentheorie dürfte aber eine DAN-Analyse aus dem Jahr 1996 sein, deren Grundlage eine Probe der blutverschmierten Kleidung ist, die Kaspar Hauser trug, während er seine tödliche Verletzung erlitt. Diese Probe wurde in München am Institut für Rechtsmedizin der Universität und in Birmingham am Forensic Science Service Laboratory untersucht. „Fazit des von dieser Arbeit ‚faszinierten’ Wissenschaftlers Bark, das er vor jedem Gericht auf seinen Eid nehmen würde: ‚Das Blut stammt nicht von einem Sohn der Stéphanie de Beauharnais.’“ (2) Verglichen wurde das Blut der Kleidung mit Blutproben von zwei direkten weiblichen Nachkommen der Stieftochter Napoleons. Da der Weg von Hausers Kleidung über die Jahrhunderte lückenlos dokumentiert werden konnte kann davon ausgegangen werden, dass diese Untersuchung stichhaltig ist. Auch Gerüchte, die Blutflecken wäre durch Fremdblut „aufgefrischt“ worden, wurden bei der Untersuchung ausgeräumt.
Kommentare (57)