Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Unsere gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
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Tatort-Folge Nummer 692 spielt in Konstanz. Es geht um Schiffe im Nebel. Es geht um Wasserleichen und falsche Signale. Und es geht um die Frage, wie man herausfinden, was wo ist.

Konstanz liegt am Bodensee; gleich neben der Grenze zur Schweiz. Es ist daher nicht überraschend, wenn die Leiche diesmal ein Schweizer ist und im Wasser gefunden wird. Der Werftsbesitzer Urs Stähli aus der Schweiz macht sich in der Nacht auf den Weg durch den Bodensee um dort zwielichtigen Geschäften nachzugehen, an denen Koffer mit viel Geld beteiligt sind. Es ist natürlich nicht ganz einfach, mitten auf einem dunklen See etwas zu finden. Denn um zu wissen wo man ist, muss man erst mal wissen, wo sich irgendwas anderes befindet.

Wenn man Koordinaten auf der Erdoberfläche festlegen will, braucht man dazu mindestens zwei Informationen. Wir haben uns mittlerweile darauf geeinigt, zwei Zahlen anzugeben. Die eine sagt uns, wie weit südlich wir vom Nordpol beziehungsweise wie weit nördlich wir vom Südpol entfernt entfernt sind. Die andere gibt an, wie weit östlich beziehungsweise westlich wir uns von einer Linie befinden, die vom Nordpol durch eine Sternwarte in London bis zum Südpol verläuft. Und es war gar nicht so einfach, sich darauf zu einigen. Ok, Nord- und Südpol waren relativ unumstritten. Das waren klar definierte und vor allem natürlich geografische Punkte. Es gibt nur einen geografischen Nordpol und der ist genau dort wo er ist und kann nirgendwo anders sein. Es ist vollkommen logisch, ihn als allgemein verbindlichen Bezugspunkt zu verwenden, wenn man seine Position in Nord-Süd-Richtung angeben will. Bei der Ost-West-Richtung ist das nicht mehr ganz so einfach. Hier gibt es keinen natürlichen Bezugspunkt und man musste einen künstlichen Punkt auswählen. Im Prinzip eignet sich dafür jeder Meridian, also jede Linie die an der Erdoberfläche entlang gerade vom Nord- zum Südpol führt. In den vergangenen Jahrhunderten waren das aus praktischen Gründen meistens Linie, die durch Sternwarten führten, weil man dort die Beobachtungen und Berechnungen anstellte, die zur Positionsbestimmung nötig waren. Es gab einen Meridian von Paris, den die Franzosen für ihre Berechnungen benutzten, einen Meridian von Greenwich (in London), den die Engländer nutzen, und so weiter. Das führte selbstverständlich zu einem großen Durcheinander, weil jedes Land seine eigenen Landkarten hatte, deren Koordinaten nicht mit den Karten irgendwelcher anderen Länder übereinstimmten.

Der Nullmeridian in Greenwich. Ist leider vom Bodensee aus nicht zu sehen (Bild: Takasunrise0921, CC-BY-SA 3.0)

Der Nullmeridian in Greenwich. Ist leider vom Bodensee aus nicht zu sehen (Bild: Takasunrise0921, CC-BY-SA 3.0)

Man muss sich ja nur anschauen, wie kompliziert die Zusammenarbeit zwischen der Konstanzer Tatortkommissarin Klara Blum und ihren Schweizer Kollegen ist. Blum sieht in der Nacht ein rotes Signalfeuer über dem Wasser und alarmiert die Seerettung. Dann aber stellt sich heraus, dass es (angeblich) gar kein Schiff in Seenot war, sondern nur eine Signal bei einer Übung der Schweizer Armee, von der die deutschen Kollegen natürlich nichts wussten. Man stelle sich vor, was auf dem Bodensee los wäre, wenn Schweizer und deutsche Boote (und österreichische Boote! Wir sind ja auch noch da, dürfen aber beim diesem Tatort nicht mitmachen) nach unterschiedlichen Koordinaten navigieren würden…

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Kommentare (17)

  1. #1 rolak
    22. August 2013

    Das war der erste Blum-Tatort, den ich gesehen habe..

    Dieses Rein&Raus zwischen Plot und Nebengedanken (für den Krimi) bzw Ideengeber und Ausführung (für den post) ist wieder mal angenehm zu lesen. Es steht nur zu befürchten, daß ich bald keinen Tatort mehr sehen kann ohne den Gedanken ‘was würde Florian daraus machen?’…

  2. #2 Sepp
    22. August 2013

    Besser als Tatort 🙂

    Allerdings gibt es keine GPS-Sender mit denen die Position bestimmt wird (abgesehen von den Satelliten, die Senden natürlich schon), das ganze System ist passiv. Die Satelliten senden ihre Position und die Uhrzeit, über die Differenzen lässt sich dann am Boden die Position bestimmen. Ein Rückkanal ist nicht nötig.

  3. #3 Florian Freistetter
    22. August 2013

    @rolak: “Es steht nur zu befürchten, daß ich bald keinen Tatort mehr sehen kann ohne den Gedanken ‘was würde Florian daraus machen?’…”

    Das ist der Plan…

    Aber keine Angst. “Seenot” war der letzte meiner “Testtatorts” die ich im Juli auf Vorrat geschrieben habe. Jetzt werde ich mich hauptsächlich auf die aktuellen Folgen konzentrieren.

  4. #4 Florian Freistetter
    22. August 2013

    @Sepp: “Allerdings gibt es keine GPS-Sender mit denen die Position bestimmt wird (“

    Na ich meinte so ein Teil, dass man orten kann. Wie heißen die denn offiziell?

  5. #5 German
    22. August 2013

    Naja, ich will zwar nicht als Kleinkrämer dastehen, aber:
    John Harrison war eigentlich Tischler und kein Uhrmachter (naja, er hat sich das Uhrenbauen selber beigebracht) und 1859 war er schon 83 Jahre tot. Die erwähnte Taschenuhr baute er um 1753, das er 1759 perfektionierte (die H4).
    Ansonsten wieder ein schöner und informativer Text 🙂

  6. #6 Florian Freistetter
    22. August 2013

    @German: Naja, wer Uhren baut ist ein Uhrmacher; egal ob man das selbst gelernt hat oder von wem beigebracht bekommen hat. Aber das Jahr war falsch – danke für den Hinweis!

  7. #7 rolak
    22. August 2013

    auf die aktuellen Folgen konzentrieren

    Ja eben! Die bisher von mir gesehenen waren (bis auf den in diesem thread) alle vor Deiner Reihe, Florian.

    Wie heißen die

    Tja, auch wenn es gewissen Menschen nicht gefallen wird: GPS-Sender. Oder -Tracker. Allerdings sind auch die gps-passiv, dafür aber sms-aktiv.

  8. […] Wissen wo was ist in “Seenot”, Astrodicticum simplex am 22. August […]

  9. #9 werner
    22. August 2013

    @Florian #4: GPS-Empfänger (?)

  10. #10 Christian
    23. August 2013

    @Florian
    Ich weiß zwar wie ich mit Kreuzpeilung oder Koppelnavigation meine Positionbestimme aber ich hänge irgendwie an der Positionsbestimmung via GPS fest.
    Wenn die Satelliten geostatinär wären gut dann wäre es für mich ein leichtes herauszufinden wo ich bin. Sind sie aber leider nicht…
    Aber woher wissen denn die Satelliten wo sie sich genau befinden, denn aus deren Signalen muss sich ja mein Plotter ausrechnen wo ich dann bin. Ich kriegs einfach nicht gebacken das zu verstehen.

  11. #11 Florian Freistetter
    23. August 2013

    @Christian: “Aber woher wissen denn die Satelliten wo sie sich genau befinden, denn aus deren Signalen muss sich ja mein Plotter ausrechnen wo ich dann bin. Ich kriegs einfach nicht gebacken das zu verstehen.”

    Das geht über die Uhrzeit. Mein GPS-Empfänger empfängt Signale von Satelliten und weiß genau, wie lang die gebraucht haben. Jedes Signal definiert über die Laufzeit ne Kugel, auf der ich mich irgendwo befinden muss. Drei Satelliten sind drei Kugeln die sich schneiden und am Schnittpunkt bin ich.

  12. #12 Sepp
    23. August 2013

    @Florian: “Na ich meinte so ein Teil, dass man orten kann. Wie heißen die denn offiziell?”

    Achso, das macht im Kontext des Artikels natürlich Sinn und GPS-Sender ist da durchaus ein passender Begriff. Beim Schreiben meines nächsten Kommentars denke ich einfach noch einmal genauer nach. Spätesten vor dem Klick auf den Abschicken-Button 😉

  13. #13 Mafl
    23. August 2013

    Es steht nur zu befürchten, daß ich bald keinen Tatort mehr sehen kann ohne den Gedanken ‘was würde Florian daraus machen?’…

    So ging es mir schon letzten Sonntag 🙂
    Aber natürlich bin ich nicht drauf gekommen…
    Nächstes mal neuer Versuch.

  14. #14 Stefan W.
    https://demystifikation.wordpress.com/2013/08/03/sackgasse-christentum
    26. August 2013

    Ganz weit vom Thema ab, aber da des einer der jüngsten Beiträge mit mit dem Stichwort “Mond” ist und ich eine Mondfrage habe, die mir Wikipedia nicht beantworten wollte mit der Suche “Mondkalender”:

    Wenn ich zu einem modernen Datum, nicht mehr als 50 Jahre zurück von heute und in die Zukuft gar nicht gehen will, und mich für die Mondphase an einem bestimmten Tag interessiere, und diese berechnen will – gibt es dafür etablierte Algorithmen?

    Damit verbunden ist die Frage, wann man eigentlich genau von Vollmond, Neumond, zu- und abnehmendem Mond spricht. Wird der ganze Zyklus in 4 gleichgroße Intervalle geteilt und fertig ist, oder werden Voll- und Neumond evtl. enger gefasst – nur 3 Tage oder nur einer?

    Da ich es nur tagesgenau brauche habe ich mit der Wikipediainformation, dass ein Zyklus im Mittel (wieso im Mitel?) 30,437 Tage dauert ein Shellscript gemacht. Ich hätte zumindest gerne eine Formel bzw. einen Link um meine eigenen Berechnungen zu testen. Hast Du da was zur Hand?

  15. #15 rolak
    26. August 2013

    etablierte Algorithmen?

    Sehr etabliert, Stefan W.: Schlag nach bei JCF. Frühlings-Vollmond-Datum berechnen, von dort iterativ durchs Jahr, Bremse ist der nächste JCF-Punkt, Vollmondtag jeweils der Tag des Zykluswechsels, Neumondtag der mit dem halben Zyklus..

    30,437

    Beim Vollmond geht es doch ums Erleben, daher dürfte des Mondes synodischer Monat von pi mal Daumen 29½ Tagen gefragt sein, nicht die mittlere Dauer eines Kalendermonats.

    wieso im Mitel?

    Bei Deinem Wert: Nu, die Monate sind halt nicht gleich lang. Beim Mond siehe dort.

  16. #16 Florian Freistetter
    26. August 2013

    @Stefan W: Bei der NASA gibt es eine “Dial a moon”-Seite. Hab auch mal drüber gebloggt (Der Mond im Jahr 2012, oder so). Sitz aber grad im Zug und hab mieses Netz…

  17. #17 Stefan W.
    https://demystifikation.wordpress.com
    27. August 2013

    Danke, rolak und Florian, das hilft mir weiter.

    Wieso mir die 30.437 reingerutscht sind weiß ich nicht – im bisherigen Script habe ich die 29,53 verwendet, aber danke für die Warnung. (Habe ich das noch nicht abgeschickt? Das steht hier seit 16:30 Uhr offen rum).