Heute wurde bekannt gegeben, wer den diesjährigen Nobelpreis für Physik bekommt. Und wie von allen vorhergesagt, wurde die Forschung zum Higgs-Mechanismus ausgezeichnet. Peter Higgs von der Universität Edinburgh und Francois Englert haben den Nobelpreis für Physik des Jahres 2013 bekommen. Über dieses Thema wurden hier bei den ScienceBlogs schon viele Artikel veröffentlicht und ich nutze die Gelegenheit, um sie nochmal zu verlinken und ein paar grundlegende Punkte zum Thema “Higgs” zu erklären.
- Das “Higgs-Teilchen” ist ein Elementarteilchen, dessen Existenz in den 1960er Jahren postuliert wurde und das im Jahr 2012 durch Beobachtungen am Europäischen Kernforschungszentrum CERN nachgewiesen werden konnte. Es war das letzte noch nicht nachgewiesene Teilchen des sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik, dass den Aufbau der Materie und die Interaktion zwischen den einzelnen Bausteinen der Materie erklärt.
- Es wird oft behauptet, dass Higgs-Teilchen ist dafür verantwortlich, dass die Dinge eine Masse haben. Das stimmt auch, ist aber nicht absolut korrekt. Der Higgs-Mechanismus erklärt, wie Quarks und Elektronen zu ihrer Masse kommen. Die machen aber nur einen sehr kleinen Teil der Gesamtmasse der meisten normalen Materie aus. Der Großteil der Masse steckt in der Bindungsenergie zwischen den Teilchen. Denn die elementaren Quarks müssen ja irgendwie “zusammengeklebt” werden damit daraus Protonen und Neutronen entstehen aus denen dann wiederum die Kerne der Atome aufgebaut sind. Energie und Masse sind nach Albert Einstein bekanntermaßen das gleiche und die ganze Energie die zur Bindung der Elementarteilchen nötig ist macht daher einen großen Teil der Masse eines Atoms aus.
- Den Higgs-Mechanismus hat man sich nicht einfach so aus Spaß an der Freude ausgedacht. Er wurde nötig, um ein großes Problem bei der Formulierung der wissenschaftlichen Naturgesetze zu lösen. Man stellte damals fest, dass sie von der Bewegung der Bewegung des Beobachters abhängen und das war problematisch. Es geht dabei um die “Händigkeit” der Teilchen beziehungsweise um eine Eigenschaft namens “Spin”. Auch wenn es nicht ganz korrekt ist, kann man sich das als Drehrichtung der Rotation eines Teilchen vorstellen und die kann entweder linksherum oder rechtsherum erfolgen. Man hatte nun festgestellt, dass bestimmte Wechselwirkungen nur dann stattfinden können, wenn die Teilchen linkshändig rotieren. Aber links oder rechts hängt nur von der Blickrichtung ab. Je nach dem ob sich der Beobachter schneller oder langsamer als ein Elementarteilchen bewegt, blickt er unterschiedlich auf das Teilchen und es gelten unterschiedliche Gesetze. Dieser Widerspruch würde sich nur dann auflösen, wenn die Elementarteilchen keine intrinsische Masse hätten. Bisher ging man ja davon aus, dass jedes Teilchen einfach eine bestimmte Masse hat. Wenn die Masse aber keine Eigenschaft des Teilchens selbst mehr ist, dann braucht es einen Mechanismus, der diesen Teilchen von außen eine Masse verleiht und genau das ist der Higgs-Mechanismus. Blog-Kollege Martin Bäker hat das sehr ausführlich erklärt.
- Auch wenn das Teilchen und der Mechanismus nach dem schottischen Physiker Peter Higgs benannt sind, war er nicht der einzige, der damals diese Idee hatte. Fast gleichzeitig und unabhängig von einander sind neben Higgs auch noch zwei andere Arbeitsgruppen zu den gleichen Ergebnissen gekommen. Das waren einmal Francois Englert und Peter Brout (der schon vor einigen Jahren verstarb) und dann auch noch Gerry Guralnik, Dick Hagen und Tom Kibble. Peter Higgs war aber der einzige von ihnen, der aus dem Mechanismus auch die Existenz eines bisher unbekannten Elementarteilchens ableitete das deswegen auch nach ihm benannt worden ist. Zur Geschichte des Higgs-Mechanismus gibt es ein schönes Buch, das ich hier rezensiert habe. Das Nobelkomitee darf aber seinen eigenen Regeln zufolge nur maximal drei Forscher gleichzeitig auszeichnen und muss deswegen zwangsläufig ein paar der beteiligen Forscher übergehen. Das ist in der Vergangenheit schon öfter vorgekommen und wird in Zukunft vermutlich noch öfter passieren. Forschung ist öfter Teamarbeit und die bedeutenden Einzelleistungen kommen immer seltener vor. Die Regeln des Komitees sind schon über 100 Jahre alt und es wäre eigentlich an der Zeit, sie mal an die Realität der aktuellen Forschung anzupassen. Ich habe bis jetzt noch keine offizielle Begründung gehört, warum Guralnik, Hagen und Kibble nicht berücksichtigtr worden sind; ebenso gibt es kein Statement warum der Preis nur an die Theoretiker ging und nicht auch an die Experimentatoren.
- Das Higgs-Teilchen ist kein “Gottesteilchen”. Es hat nichts mit Gott zu tun; nichts mit Religion und auch nichts mit der Schöpfung, dem Urknall oder anderen Themen die man irgendwie mit Religion in Verbindung bringen könnte. Der Begriff mag zwar bei den Medien populär sein, ist aber Unsinn.
- Es war nicht leicht, das Teilchen nachzuweisen. Das liegt an den Eigenschaften von Elementarteilchen. Viele von ihnen sind nicht stabil und wandeln sich schon nach kurzer Zeit in andere Teilchen um. Das gilt auch für das Higgs-Teilchen. Man kann es also nicht direkt beobachten, sondern nur seine “Zerfallsprodukte”. Dieser Zerfall ist aber nicht eindeutig – auch andere, schon bekannte Teilchen können auf die gleiche Art und Weise zerfallen wie das Higgs. Man muss daher sehr, sehr viele Daten sammeln um es finden zu können. Dazu braucht man einerseits sehr große und komplizierte Maschinen und andererseits sehr viel Zeit. Die Maschinen mussten am am Kernforschungszentrum CERN erst jahrzehntelang gebaut werden und sind äußerst spektakulär. Sie sind in der Lage, Teilchen mit hohen Geschwindigkeiten kollidieren zu lassen und aus den dabei frei werdenden Energien können dann neue Teilchen entstehen. Das muss man ein paar Jahre lang machen und möglichst viele Kollision beobachten. Denn die Theorie von Higgs & Co sagt zwar voraus, dass es ein neues Teilchen gibt; sagt aber nicht, welche Masse es hat. Und wenn man nicht weiß wie schwer ein Teilchen ist, dann weiß man auch nicht, bei welchen Kollisionsenergien es entsteht. Man muss suchen und viele Messungen machen. Und wie man aus diesen Messungen dann die Existenz eines neuen Teilchens ableiten kann, habe ich hier beschrieben.
- Es wird in der Berichterstattung über das Higgs-Teilchen vermutlich eh nicht erwähnt werden, aber lasst euch nicht verwirren, wenn ihr irgendwo lest, dass das Higgs-Feld ein Tachyonen-Feld ist. Das klingt zwar nach wilder Science-Fiction und Überlichtgeschwindigkeit. Ist aber vergleichsweise harmlos, denn es handelt sich “nur” um ein Feld
in dem eine imaginäre Masse auftaucht. Solche Felder sind instabil, verändern sich und aus so einer “spontanen Symmetriebrechung” entsteht dann das, was den Higgs-Mechanismus ausmacht. Wieder hat Martin Bäker alles in seinem Blog ausführlich beschrieben.
Die Forschung zum Higgs-Mechanismus ist ein würdiger Preisträger! Das Standardmodell liefert eine fundamentale Beschreibung des Universums und der Higgs-Mechanismus ist ein fundamentaler Bestandteil dieser Beschreibung. Die ursprüngliche Idee von Higgs und seinen Kollegen mag zwar seltsam und absurd erschienen sein: Elementarteilchen haben keine eigene Masse sondern bekommen sie nur durch die Interaktion mit einem Feld, das sich durch das gesamte Universum erstreckt. Ein Feld mit so seltsamen Eigenschaften, dass es in der ursprünglichen Form nicht stabil sein kann und ein Feld, dass ein damals noch nicht bekanntes Elementarteilchen hervorbringen sollte. Aber trotz all dieser seltsamen Eigenschaften ist es tatsächlich vorhanden und dank der Arbeit von Peter Higgs, Francois Englert und all den anderen Theoretikern und dank der Arbeit all der Wissenschaftler am CERN haben wir unser Universum nun viel besser verstanden als vorher.
Das heißt nicht, dass es nicht noch viel mehr zu verstehen gibt. In der Teilchenphysik bleiben immer noch viele offene Fragen. Allen Wissenschaftlern ist klar, dass da noch einiges zu erforschen ist. Die Sache mit der quantenmechanischen Beschreibung der Gravitation ist zum Beispiel immer noch nicht geklärt und die Higgs-Forschung kann bei der Lösung dieses Problems durchaus eine wichtige Rolle spielen. Aus bestimmten hypothetischen Überlegungen zur Quantengravitation folgt zum Beispiel, dass es mehr als nur ein Higgs-Teilchen geben könnte. Viele Teilchenphysiker haben sich sogar gewünscht, dass man das Higgs-Teilchen nicht entdeckt, sondern stattdessen etwas anderes; etwas Neues, das man noch nicht kennt. Aber auch das wird noch passieren. Bisher lief der Teilchenbeschleuniger LHC am CERN nur mit halber Kraft. Man wusste, dass das ausreicht um das Higgs zu finden, wenn es da ist. Nach der derzeitigen Renovierungspause wird der Beschleuniger dann im Jahr 2015 mit voller Kraft betrieben werden. Und dann wird man tatsächlich Neuland betreten…
Aber egal wie die Forschung verlaufen wird: Am Ende werden wir das Universum auf einer fundamentalen Ebene besser verstehen als vorher. Und das ist immer gut! Es kann zwar ein wenig dauern bis die Erkenntnisse über das Higgs-Teilchen und das, was man am CERN sonst noch so entdecken wird auch ganz konkret unseren Alltag verändern werden. Aber früher oder später werden sie es tun. Das hat die Wissenschaft bis jetzt immer noch getan.
Übrigens: Peter Higgs ist einfach auf Urlaub gefahren ist und hat kein Telefon mitgenommen. Das Nobelkomitee konnte ihn nicht erreichen und musste ihm eine Email schreiben. Das Higgs wurde nun also gefunden. Aber die Suche nach dem Higgs geht offensichtlich weiter 😉
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