Die Frage nach der Natur der dunklen Materie gehört zu den großen ungelösten Problemen der Physik. Wir wissen, dass das Universum zu einem großen Teil aus Materie besteht, die sich anders verhält als die “normale” Materie aus der wir und alles um uns herum besteht. Vor allem wechselwirkt diese andere Materie nicht mit elektromagnetischer Strahlung; sendet also weder Licht aus, noch reflektiert sie Licht. Sie ist “dunkel” und kann nur über den gravitativen Einfluss beobachtet werden, den sie auch ihre Umgebung aussieht. Seit die dunkle Materie vor 80 Jahren das erste Mal registriert worden ist, hat sich einiges getan (ich habe die Forschungsgeschichte in meiner Serie zum Thema ausführlich erklärt). Wir wissen schon viel über das Verhalten und Auftreten der dunklen Materie im Universum. Aber wir wissen noch nicht genau woraus sie besteht und es kann nie schaden, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, die dunkle Materie zu erforschen. Eine davon haben die Astronomen Robert Feldmann und Douglas Spolyar kürzlich vorgestellt. Es geht dabei um die Auswirkungen die Wolken dunkler Materie auf die Milchstraße haben.
Nach allem was wir bis jetzt wissen, besteht die dunkle Materie aus einem bisher noch nicht nachgewiesenen Elementarteilchen. Es wechselwirkt so gut wie nicht mit sich selbst beziehungsweise mit anderer Materie; bildet also auch keine Atome, Moleküle oder größere Strukturen wie das Teilchen der normalen Materie tun. Die dunkle Materie existiert in riesigen, diffusen Wolken die sich durchs ganze Universum ziehen. Es gibt deutlich mehr dunkle Materie als normale Materie und im frühen Universum bildeten sich daher zuerst genau diese großen Wolken dunkler Materie. Sie übten eine Gravitationskraft auf das normale Gas aus, das langsam in die Zentren der dunklen Wolken wanderte. Dort bildeten sich dann daraus die ersten Galaxien und die ersten Sterne.
Die Astronomen gehen daher davon aus, dass alle Galaxien in große Wolken dunkler Materie eingebettet sind; was auch von Beobachtungsdaten bestätigt wird. Es muss aber nicht nur riesige Wolken mit eingebetteten Galaxien geben, sondern auch kleinere Wolken die nicht massereich genug waren um ausreichend Gas zur Galaxienbildung anzuziehen. Diese “low mass dark matter halos” sind naturgemäß schwer zu beobachten. Aber Feldmann und Spolyar haben sich eine Methode ausgedacht, wie man ihnen vielleicht doch auf die Spur kommen kann (“Detecting Dark Matter Substructures around the Milky Way”).
Die beiden Forscher haben in Computersimulationen untersucht, wie die Milchstraße auf eine Bewegung mit so einer kleinen dunklen Wolke reagieren würde. Es ist natürlich keine Kollision im eigentlich Sinn. Selbst wenn zwei Galaxien miteinander “zusammenstoßen” ist da nichts, was konkret aufeinander prallt. Zwischen den Sternen ist einfach zu viel Platz; die Galaxien durchdringen sich einfach gegenseitig. Das ist auch bei der Begegnung der Milchstraße mit einer Wolke dunkler Materie der Fall. Aber die Gravitation der dunklen Wolke beeinflusst die Bewegung der Sterne und hinterlässt vielleicht Spuren. Wie diese Spuren genau aussehen, wollten Feldmann und Spolyar herausfinden.
Die Simulation der Kollision läuft nach diesem Schema ab:
Das Bild zeigt den Blick auf die Kante der Milchstraße, die in Gelbtönen dargestellt ist. Die dunkle Wolke (violett) durchdringt die Milchstraße von oben nach unten und braucht dafür knapp 300 Millionen Jahre. Bei einer echten Kollision zweier großer Galaxien tut sich danach natürlich einiges. Vor allem die starken Gezeitenkräfte sorgen dafür, dass sich die Galaxien stark verformen. Wenn zum Beispiel in ein paar Milliarden Jahren die Andromedagalaxie auf die Milchstraße trifft, dann werden am Ende beide ihre schöne Spiralstruktur verloren haben und zu einer großen annähernd kugelförmigen elliptischen Galaxie verschmolzen sein.
Die kleine dunkle Wolke hinterlässt die Milchstraße nach ihrem Durchgang dagegen relativ ungestört. Die Struktur unserer Galaxie bleibt weitestgehend erhalten. Aber die Bewegung ihrer Sterne hat sich verändert! Die dunkle Wolke verändert während der Kollision die Geschwindigkeit mit der sich die Sterne bewegen. Das zeigt dieses Diagramm:
Nun blicken wir von oben auf die Scheibe der Milchstraße (das Zentrum befindet sich im Ursprung des Diagramms). Im großen Bild sehen wir den auf die Ebene projizierten Pfad der dunklen Wolke, die sich bei den Punkten A, B und C nähert; die Milchstraße dann durchdringt und bei den Punkten D und E wieder verlässt. Die kleinen Bilder zeigen, wie die Geschwindigkeit der Sterne zu den jeweiligen Zeitpunkten aussieht. Die Farben zeigen die vertikale Geschwindigkeitskomponente an; also die Geschwindigkeit, mit der sich die Sterne senkrecht zur Ebene der Milchstraße bewegen. Man kann den Einfluss der dunklen Wolken gut erkennen und im letzten Bild (E) die Wellen sehen, die sie in der Verteilung der Geschwindigkeiten hinterlässt.
Feldmann und Spolyar haben verschiedenste Fälle in ihren Simulationen durchgerechnet und nachgesehen, welchen Effekt die unterschiedlichen Kollisionen in der Geschwindigkeitsverteilung der Sterne erzeugen. So weit die Theorie. Schön wäre es natürlich, wenn man diese Effekte auch tatsächlich beobachten könnte. Dazu fehlen uns aber momentan noch die Daten – was sich aber bald ändern könnte! Gegen Ende des Jahres 2013 soll die Raumsonde GAIA der europäischen Weltraumagentur ins Weltall geschickt werden. Sie wird einen Katalog der Sterne der Milchstraße erstellen. Das klingt langweilig, wird aber unser Wissen über die Milchstraße vermutlich komplett revolutionieren.
GAIA wird die Positionen, die Abstände und die Geschwindigkeiten der Stern messen und zwar viel genauer als die Vorgängermission HIPPARCOS (ebenfalls eine ziemlich coole Mission). Aber vor allem wird GAIA viel mehr Sterne vermessen als es je vorher möglich war. Bis zu einer Milliarde Sterne will man am Ende beobachtet haben (bisher hat man nur ein paar hunderttausend Sterne wirklich genau vermessen) und wenn wir dann aus all den Daten ein dreidimensionales Bild unserer Milchstraße basteln, dann kann man darin auch die Effekte der dunklen Wolken sehen. Sofern sie vorhanden sind natürlich…
Aber wenn sie vorhanden sind, dann wäre das eine großartige Bestätigung für die bisherige Hypothese zur Natur der dunklen Materie und ein weiterer Schritt hin zur Lösung eines der großen wissenschaftlichen Probleme.
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