Anfang der Woche wurde eine ziemlich spektakuläre wissenschaftliche Nachricht verkündet: Jeder fünfte Stern in unserer Galaxie wird von einem erdähnlichen Planeten umkreist! Das klingt natürlich wirklich ziemlich beeindruckend; nur es stimmt es so leider nicht ganz. Die Wahrheit ist ein bisschen komplizierter, aber immer noch äußerst faszinierend.
Das erste Problem ist die Sache mit dem “jeder fünfte Stern”. Das stand zwar in vielen Schlagzeilen – und sogar in der Überschrift der offizellen Pressemitteilung der Uni Berkely. Es stimmt aber trotzdem nicht. Das bezieht sich nur auf die sonnenähnlichen Sterne und die machen nur einen Teil aller vorhandenen Sterne aus. Sterne gibt es in allen Größen und sie haben alle verschiedene Eigenschaften. Die ganz großen Sterne leben nur ein paar Millionen Jahre lang und das reicht kaum aus, damit dort Planeten entstehen und wenn doch, dann reicht es definitiv nicht aus, damit sich auf diesen Planeten Leben entwickeln kann. Und die kleinen Sterne leben zwar lange, sind aber so kühl, dass ein Planet ganz nah an sie heranrücken muss, damit ausreichend erdähnliche Bedingungen herrschen können. Diese Nähe schafft aber andere Probleme (starke Gezeiten; gebundene Rotation, d.h. kein vernünftiger Tag-Nacht-Rhythmus; jede Menge Sternwind; usw) die der Entwicklung von Leben nicht förderlich sind. Erdähnliche Planeten sind also am ehesten bei sonnenähnlichen Sternen zu erwarten die nicht zu groß und nicht zu klein sind.
Das zweite Problem ist das Wort “erdähnlich”. Für den ganz normalen Menschen bedeutet “erdähnlicher Planet”, dass es sich um einen Planeten handelt, der der Erde ähnlich ist. Also ein Planet mit angenehmen Temperaturen, großen Meeren, Land, Vegetation und anderen Lebewesen. Für den Wissenschaftler ist ein erdähnlicher Planet einer, der ungefähr so groß und so schwer ist wie die Erde. Merkur zum Beispiel ist ein erdähnlicher Planet obwohl es sich dabei um eine nackte Felskugel handelt, die keine Atmosphäre hat und durch die Nähe zur Sonne extrem aufgeheizt wird. Dieser Bedeutungsunterschied führt immer wieder zu Verwirrung, denn natürlich wollen die Medien gerne über Planeten berichten, die unserer Erde tatsächlich ähnlich sind. Und die Wissenschaftler wollen gerne, dass über ihre Arbeit berichtet wird und nehmen in ihren Pressemitteilungen durch die exzessive Verwendung von Worten wie “erdähnlich” genau diese Verwirrung in Kauf.
Wenn es um Entdeckungen wie die “zweite Erde” oder eben jede Menge “erdähnliche” Planten geht, dann lohnt es sich immer, die Originalpublikation zu lesen. Dort steht drin, was wirklich passiert ist und nicht das, was sich die Medien oder die Pressestellen der Universitäten wünschen. In diesem speziellen Fall war das leider nicht für alle Menschen möglich, denn die Publikation war nicht frei zugänglich. Deswegen habe auch ich vorerst nicht darüber berichtet. Mittlerweile haben die Verantwortlichen aber wohl eingesehen, dass es absurd ist, einerseits eine Pressemitteilung auszusenden und die Leute zu bitten über ihre Arbeit zu berichten und ihnen dann andererseits nicht zu erlauben, die entsprechenden Informationen einzusehen ohne dafür bezahlen zu müssen (abgesehen davon hat es sich ja auch um eine Arbeit gehandelt die aus öffentlichen Geldern finanziert worden ist: die Leute haben also schon dafür bezahlt). Man kann die Arbeit jetzt also lesen und das habe ich getan.
Erik Petigura von der Universität Berkeley und seine Kollegen Andrew Howard und Geoffrey Marcy haben die Daten des Weltraumteleskops Kepler untersucht. Kepler hat in den letzten Jahren knapp 150.000 Stern untersucht und dort nach den typischen Verdunkelungen gesucht die entstehen, wenn ein Planet regelmäßig am Stern vorüber zieht. Kepler war sehr erfolgreich und hat jede Menge Planeten gefunden. Dazu kommen noch jede Menge Kandidaten, die bis jetzt noch nicht bestätigt werden konnten. Es ist kompliziert und aufwendig all die Daten auszuwerten und zu bestätigen. Trotzdem haben Petigura und seine Kollegen die ganze Arbeit noch einmal erledigt. Sie haben ihre eigenen Datenanalyseprogramme geschrieben und die Daten von Kepler unabhängig ein zweites Mal ausgewertet. Dabei haben sie sich auf die sonnenähnlichen Sterne konzentriert und 45.557 Sterne ausgewählt, die der Sonne prinzipiell ähnlich sind und wo die Daten von Kepler ausreichend gut für eine vernünftige Auswertung waren. Dort haben sie nach Planeten gesucht und 603 davon gefunden. So sehen die Ergebnisse aus:
Das Diagramm zeigt auf der x-Achse die Umlaufzeit der Planeten in Tage und auf der y-Achse die Größe der Planeten in Erdradien. Die Farben im Diagramm geben an, wie komplett die Daten von Kepler sind. Denn Kepler findet ja nicht alles: Das Teleskop kann nur die Planeten entdecken, die von der Erde aus gesehen genau vor dem Stern vorüber ziehen. Sind ihre Bahnen zu stark gegenüber unserer Sichtlinie geneigt, dann sieht man nichts. Und die Ausrichtung anderer Planetensystem ist willkürlich; ohne System. Wir verpassen also jede Menge Planeten, die zwar da sind, aber halt leider von uns aus gesehen nicht an ihrem Stern vorüber ziehen. Außerdem verpassen wir viele Planeten die Sterne umkreisen die zu schwach leuchten; Planeten die zu klein sind und übersehen werden und Planeten, die zu lange für eine Umrundung ihres Sterns brauchen und die wir deswegen noch nicht beobachten konnten. Diese Faktoren kann man aber alle recht gut abschätzen und genau das haben Petigura und seine Kollegen gemacht. Dort wo das Diagramm weiß ist, wissen wir zum Beispiel, dass wir alles entdeckt haben. Alle Planeten die in diesen Bereich fallen, müssen ein Signal erzeugen, dass stark genug ist um von Kepler gesehen zu werden. Aber je kleiner die Planeten werden bzw. je weiter sie vom Stern entfernt sind, desto schwerer sind sie zu beobachten und desto weniger komplett sind die Daten (und um so blauer das Diagramm).
Im nächsten Schritt haben Petigura und seine Kollegen die Planeten in Gruppen eingeteilt und nachgesehen, wie viele Sterne Planeten mit bestimmten Eigenschaften haben:
Das Diagramm ist identisch mit dem vorherigen. Die Achsen zeigen die gleichen Größen und die roten Punkte sind die gleichen 603 Planeten. Das Diagramm wurde aber in 30 Bereiche eingeteilt die bestimmten Kombinationen von Planetengröße und Umlaufzeit entsprechen. Und für jedes dieser Kästchen haben Petigura und seine Kollegen bestimmt, wie viele Sterne Planeten mit genau diesen Eigenschaften haben. Zum Beispiel haben 7,7 Prozent (plus/minus 1,3%) aller sonnenähnlichen Sterne Planeten mit Umlaufzeiten die zwischen 25 und 50 Tagen liegen und die 1 bis 2 Mal so groß wie die Erde sind (das dritte Kästchen von rechts in der vierten Reihe von oben aus gezählt). Kästchen wurden nur dann gezeichnet, wenn die Vollständigkeit der Daten mindestens über 25 Prozent liegt; deswegen gibt es ganz unten im Diagramm keine Zahlen.
So weit, so gut und so interessant. Solche Analysen sind äußerst interessant wenn man herausfinden will, wie vielfältig die Planeten tatsächlich sind. In den ersten Jahren der Suche nach extrasolaren Planeten fanden wir ja hauptsächlich sehr große Himmelskörper; alle ungefähr so groß wie Jupiter oder größer. Das war logisch, denn die sind am leichtesten zu finden. Aber es war eben nicht von Anfang an klar, ob das nur ein Auswahleffekt ist oder ob die großen Planeten wirklich häufig sind und kleine Planeten wie die Erde die Ausnahme. Dank solcher Analysen (die auch früher schon gemacht wurden) wissen wir nun, dass die Planeten um so häufiger werden, je kleiner sie sind. Große Planeten sind die Ausnahme und kleine Planeten wie die Erde die Regel.
Aber natürlich interessiert die meisten Menschen die Größe der Planeten nicht so sehr wie die Bedingungen dort. Wir wollen wissen wie viele erdgroße Planeten es gibt, die genau im richtigen Abstand zu ihrem Stern sind. Dort, wo es weder zu heiß noch zu kalt ist. Dort, wo theoretisch Leben existieren kann.
Das zu wissen wäre wirklich nett – nur leider ist in den Daten von Petigura und seinen Kollegen kaum etwas dazu zu finden. Man hat kaum Planeten gefunden, die im richtigen Abstand zu ihrem Stern sind. Das sind man ja auch in den beiden Diagrammen weiter oben: Die meisten Datenpunkte findet man im linken Bereich, also dort, wo die Umlauzeiten klein sind. Unsere Erde hat eine Umlaufzeit von 365 Tagen und so weit rechts im Diagramm gibt es kaum Daten. Denn je länger die Umlauzeit ist, desto länger muss man auch beobachten und Kepler hat noch nicht lange genug beobachtet um wirklich viele solcher Planeten zu finden (und wird das auch nicht mehr tun können weil das Teleskop mittlerweile defekt ist). Petigura und seine Kollegen mussten sich also einen anderen Weg überlegen und haben deswegen dieses Diagramm gezeichnet:
Es zeigt auf der x-Achse wieder die Umlaufzeit der Planeten. Die y-Achse dagegen gibt an, wie viele sonnenähnliche Sterne Planeten mit einer bestimmten Umlaufzeit haben die ein bis zweimal so groß wie die Erde sind. Wenn man zum Beispiel bei einer Umlaufzeit von 50 Tagen nachsieht, dann sieht man, dass 20,4 Prozent aller sonnenähnliche Sterne erdgroße Planeten mit einer Umlaufzeit von 50 Tagen oder weniger haben. 26,2 Prozent aller sonnenähnlichen Sterne haben erdgroße Planeten mit einer Umlaufzeit von 100 Tagen oder weniger. Und so weiter. Der Zusammenhang ist ziemlich klar und deswegen haben Petigura und seine Kollegen das Diagramm einfach weiter extrapoliert um so auch die Bereiche bis zu Umlauzeiten von 400 Tagen abdecken zu können wo sie kaum echte Daten haben. Durch diese Extrapolation kommen sie zu dem Schluss, dass 5,7 Prozent aller sonnenähnlichen Sterne erdgroße Planeten haben, deren Umlaufzeiten zwischen 200 und 400 Tagen liegen.
Das ist aber immer noch nicht das Ergebnis, um das es in all den Medienberichten geht. Da geht es um die Planeten in der habitablen Zone, also den Bereich um einen Stern, in dem die Temperaturen im Prinzip genau richtig sind, um Leben auf der Oberfläche eines Planeten zu ermöglichen. Wo die Grenzen einer habitablen Zone liegen, hängt natürlich von der Temperatur des Sterns ab. Aber auch von der Definition selbst. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es jede Menge unterschiedliche Definitionen. Die habitable Zone eines sonnenähnlichen Sterns kann bei 0,38 Astronomischen Einheiten (AE) beginnen, also noch innerhalb der Bahn des Merkurs. Und sie kann bis zu 10 AE hinaus reichen, also bis hinter die Bahn des Saturn. Das Problem sind die vielen anderen Faktoren die eine Rolle spielen. Die Atmosphäre zum Beispiel: Sowohl Mars als auch Venus würden den meisten Definitionen nach in der habitablen Zone der Sonne liegen und beide sind von der Größe her erdähnliche Planeten. Trotzdem ist die Venus eine lebensfeindliche Hitzehölle und der Mars eine ebenso lebensfeindliche Kältewüste und beide Male ist die Atmosphäre schuld. Venus hat zu viele Treibhausgase und sich dadurch enorm aufgeheizt und Mars hat so gut wie keine Atmosphäre und kann deswegen auch kaum Wärme speichern. Die Zusammensetzung der Atmosphäre hängt wiederrum von vielen anderen Dingen hab: Der Größe des Planeten, seinem inneren Aufbau, dem Vorhandensein vob Vulkanismus und Plattentektonik, und so weiter. Ohne über all diese Dinge Bescheid zu wissen ist es im Wesentlichen unmöglich vorherzusagen, ob es irgendwo Leben geben kann oder nicht.
Petigura und seine Kollegen haben die habitable Zone für sonnenähnliche Sterne als den Bereich zwischen 0,5 und 2 AE definitiert. In unserem Sonnensystem beginnt diese Zone also kurz hinter der Bahn des Merkurs und reicht bis hinter die Bahn des Mars. Venus, Erde und Mars liegen nach dieser Definition also innerhalb der habitablen Zone obwohl weder Mars noch Venus lebensfreundliche Planeten sind bzw. “erdähnlich” so wie man sich das normalerweise, nach der nicht-wissenschaftlichen Definition vorstellt.
Wenn man nun die Daten von Kepler nach der Methode von Petigura und seinen Kollegen entsprechend extrapoliert und nachsieht, wie viele Planeten mit der ein- bis zweifachen Größe der Erde in der habitablen Zone zwischen 0,5 und 2 AE liegen, dann sind das bei den sonnenähnlichen Sternen 22 Prozent, mit einer Fehlergrenze von 8 Prozent. Mindestens jeder siebte Stern der Milchstraße hat also eine Planeten mit der ein- bis zweifachen Erdgröße der zwischen 0,5 und 2 AE entfernt ist. Das klingt nicht mehr ganz so spektakulär wie “Jeder fünfte Stern hat einen erdähnlichen Planeten”, ist aber dafür auch korrekt.
Abgesehen davon dass dieses Ergebnis für unser Verständnis von extrasolaren Planeten sehr wichtig ist: Was können wir daraus über die echten erdähnlichen Planeten lernen? Sagt diese Arbeit irgendwas über die Existenz einer “zweiten Erde” oder die Existenz von außerirdischem Leben aus? Ja und nein. Die Ergebnisse bestätigen das, was wir schon wussten: Planeten sind völlig normal und man findet sie überall. Sie bestätigt auch: Planeten von der Größe der Erde sind völlig normal und man findet sie überall. Und sie erweitert diese Erkenntnis zu: Planeten von der Größe der Erde sind völlig normal und man findet sie überall und in allen möglichen Abständen von ihrem Stern; also auch im gleichen Abstand den die Erde zur Sonne hat.
Daraus kann man aber vorerst nichts über die Bedingungen auf diesen Planeten aussagen! Wir wissen nicht, wie wahrscheinlich Planeten mit der Atmosphäre der Erde sind; Planeten mit den gleichen Bedingungen wie sie auch auf der Erde herrschen. Vielleicht ist die Galaxie voll mit erdgroßen Planeten von denen die meiste der Venus ähneln oder dem Mars und Planeten wie die Erde sind ein Spezialfall? Vielleicht ist die Erde aber auch völlig normal – wir wissen es eben momentan noch nicht. Dazu müssen wir noch mehr über Planeten lernen und mehr Daten sammeln. Aber wir wissen nun zumindest, dass das Potential vorhanden ist: Es gibt da draußen genug passende Planeten im passenden Abstand zu ihrem Stern um die Suche nach einer echten “zweiten Erde” zu einem sinnvollen und erfolgsversprechenden Projekt zu machen. Wenn sie irgendwo da draußen ist, dann haben wir gute Chancen, sie bald zu finden!
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