In den Medien macht gerade ein “Planet, den es nicht geben darf” die Runde. Ich bin bei solchen Formulierungen immer ein wenig skeptisch, denn wenn es den Planeten nicht geben sollte, dann kann es ihn auch nicht geben. Die Naturgesetze lassen sich nicht umgehen; da gibt es keinen Spielraum für Verhandlungen. Wenn wir etwas finden, dass eigentlich nicht existieren sollte, dann sind wir es, die etwas falsch verstanden haben und unsere Theorien erweitern müssen. “Der Planet, den es nicht geben sollte” ist also eher ein “Planet den es ganz offensichtlich gibt, von dem wir uns aber noch nicht erklären können wo er her kommt”. Es handelt sich um den Planet HD 106906b der von Vanessa Bailey von der Uni Arizona und ihren Kollegen entdeckt wurde (“HD 106906 b: A planetary-mass companion outside a massive debris disk”).
Dieser Planet ist aus mehreren Gründen etwas ganz Besonderes. Er ist noch sehr jung und gemeinsam mit seinem Stern den er umkreist ist er erst knapp 13 Millionen Jahre alt. Er gehört zu den ganz wenigen Planeten, die man bisher direkt beobachten konnte, d.h. zu den Planeten, die nicht mit einer indirekten Methode gefunden wurden sondern von denen ein Bild existiert. Und er befindet sich enorm weit von seinem Stern entfernt. Der Abstand beträgt ganz 650 Astronomische Einheiten; also das 650fache des mittlerwen Abstands zwischen Sonne und Erde. In unserem Sonnensystem würde sich HD 106906b weit hinter allen bekannten Planeten befinden und auch noch weit hinter dem Kuiper-Asteroidengürtel der sich hinter der Bahn des Neptun bis ca. 100 Astronomische Einheiten erstreckt. Und dann gibt es noch eine Trümmerscheibe aus Staub die von Asteroiden bevölkert wird und sich näher am Stern befindet; ungefähr zwischen 20 und 120 Astronomischen Einheiten. Und das ist das besondere: Warum befindet sich der Planet so enorm weit von der Scheibe entfernt? Wie kann er dort draußen, so weit von Stern und Scheibe entfernt überhaupt entstanden sein?
Alter und Abstand vom Stern hängen direkt mit der Tatsache zusammen, dass der Planet direkt abgebildet werden konnte. Normalerweise ist es so gut wie unmöglich, einen kleinen und dunklen Himmelskörper wie einen Planeten neben seinem hellen Stern zu sehen. Das klappt nur in Ausnahmezuständen, nämlich dann, wenn Stern und Planet noch recht jung sind. Junge Sterne leuchten schwächer und werden erst im Alter hell. Junge Planeten dagegen sind noch warm weil sie erst vor Kurzem durch jede Menge Kollisionen entstanden und werden im Laufe der Zeit kälter und dunkler. Je jünger das ganze System, desto mehr Chancen hat man also, dass man das (Infrarot)Licht eines Planeten noch sehen kann. Und natürlich klappt das umso besser, je weiter entfernt sich der Planet vom Stern befindet und je größer er ist. Deswegen sind auch fast alle der direkt beobachteten Planeten sehr massereiche Himmelskörper und hart an der Grenze zum braunen Zwerg (die bei ungefähr 13 Jupitermassen liegt).
HD 106906b hat 11 Jupitermassen; mit einer Unsicherheit von 2 Jupitermassen. Kann also ein Planet sein; es kann aber vielleicht auch ein brauner Zwerg sein. Das Problem bei der direkten Beobachtung ist die fehlende Information was die Masse angeht. Die indirekten Methoden sind zwar indirekt, aber sie erlauben es zumindest Masse und Größe des Planeten aus den Daten abzuleiten. Bei der direkten Beobachtung hat man ein Bild und mehr nicht. Man sieht das Licht das der Planet vom Stern reflektiert, aber keinerlei dynamische Informationen die eine direkte Bestimmung der Masse erlauben. Man muss die Masse des Planeten aus Computermodellen bestimmen, die simulieren wie Sterne und Planeten entstehen und im Laufe der Zeit abkühlen und dunkler werden und nachsehen, welches Modell am besten zu den beobachteten Werten passt. Das ist ein fehleranfälliger Prozess und nicht so einfach wie bei den anderen Methoden.
Zumindest ist bei HD 106906b sicher gestellt, dass es sich um einen Begleiter des Sterns handelt. Denn auch das ist nicht sicher; nur weil man einen kleinen Lichtpunkt neben dem Stern sieht muss das ja noch lange kein Planet sein. Es könnte ja auch ein Stern im Hintergrund sein, der nur zufällig gerade dort zu sehen ist. Aber das kann man überprüfen, wenn man den Stern für ein paar Jahre bzw. Monate beobachtet. Jeder Stern bewegt sich durch die Milchstraße und wenn der kleine Lichtpunkt ein echter Begleiter ist, dann bewegt er sich mit ihm mit. Genau das war hier der Fall und deswegen weiß man, dass es sich nicht um einen Hintergrundstern handeln kann. Eine Bewegung des Planeten um den Stern kann man allerdings nicht sehen. Bei einem Abstand von 650 Astronomischen Einheiten würde ein Umlauf des Planeten um den Stern mehr als 15.000 Jahre dauern und nach nur ein paar Jahren Beobachtung ist diese langsame Bewegung natürlich noch nicht zu sehen.
Aber wie kommt der Planet nun so weit nach draußen? Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er entstand weiter innen und wurde nach draußen geschleudert. Das ist nicht außergewöhnlich; so etwas kommt bei der Entstehung von Planeten ständig vor. Es entstehen fast immer mehr Planeten als aus dynamischer Sicht Platz haben und der Überschuss fliegt eben raus. Aber dann sollte man eigentlich auch entsprechende Störungen in der Staubscheibe um den Stern sehen. Ein Planet der sich von innen ganz nach außen bewegt und die Staubscheibe kreuzt sollte die Asteroiden durcheianderbringen die diesen Staub produzieren. Davon aber sieht man nichts.
Der Planet kann auch direkt dort draußen entstanden sein. Dass er dort aber auf die “typische” Art von Planeten ensteht ist eher unwahrscheinlich. Denn normale Planeten bilden sich aus Kollisionen von kleinen Staub- und Gesteinsbrocken und wachsen im Laufe der Zeit an. So weit draußen würde sich das ganze Zeug aber so enorm langsam um den Stern bewegen, dass niemals genug Kollisionen stattfinden können, um einen ausgewachsenen Planeten zu produzieren. Das sieht man ja auch schon in unserem Sonnensystem, wo die weiter außen gelegenen Planeten Uranus und Neptun deutlich kleiner sind als Jupiter und Saturn.
HD 106906b müsste dann also eher nach Art eines Sterns entstanden sein; also aus dem Kollaps einer großen Gaswolke. Auch das ist nicht ungewöhnlich, denn es entstehen immer wieder Doppel- und Mehrfachsternsysteme in denen die Partner mehrere hunderte oder tausende Astronomische Einheiten voneinander entfernt sind. Aber das sind eben Doppelsterne und keine Planetensysteme. Vielleicht ist HD 106906b ja doch eher ein brauner Zwerg (die durchaus so weit entfernt von nem Stern aus dem Kollaps einer Gaswolke entstehen können).
Ich persönlich glaube, dass es noch deutlich zu früh ist, hier jetzt großartig zu spekulieren; neue Theorien zur Planetenentstehung zu entwerfen, und so weiter. Was die direkt beobachtbaren Himmelskörper angeht, befinden wir uns derzeit in einer ähnlichen Situation wie die gesamte Exoplanetenforschung Ende der 1990er Jahre. Damals hatte man gerade eine Handvoll Planeten entdeckt und die waren alle ziemlich seltsam. Auch das waren Planeten, die eigentlich nicht da sein sollten, wo man sie fand (ganz dicht an ihrem Stern) und es gab jede Menge Spekulationen. Heute wissen wir, dass diese seltsamen Planeten tatsächlich nur eine Ausnahme darstellen und die Mehrheit der Himmelskörper deutlich normaler ist. Aber um das zu erkennen brauchten wir erst die Weltraumteleskope die Daten über hunderte neue Exoplaneten gesammelt haben.
Aus den wenigen direkt beobachteten Planeten die wir bis jetzt kennen, können wir kaum irgendwas brauchbares ableiten. Sie sind alle zwangsläufig seltsam, weil wir nur die seltsamen Fällen der großen und weit entfernten Planeten beobachten können. Auch hier werden wir warten müssen bis die neuen Teleskope im nächsten Jahrzehnt einsatzbereit sind und wir dann nicht nur die Spezialfälle direkt beobachten können, sondern alle. Dann werden wir auch besser verstehen können, wo Planeten wie HD 106906b herkommen!
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