So. Nachdem ich heute Vormittag noch schnell mein eigenes neues Buch vorgestellt haben, geht es jetzt endlich los mit dem Astrodicticum-Simplex-Buchclub. Wir lesen gemeinsam ein Buch und zwar “Die Vermessung des Universums” von Lisa Randall. Für heute standen die Einleitung und das erste Kapitel auf dem Plan. Ich bin schon gespannt, was die Leserinnen und Leser zu erzählen haben!
Die Einleitung des Buchs werde ich hier erstmal ignorieren. Ich bin sowieso kein großer Freund von Einleitungen bei Sachbüchern. Ein paar Seiten zur Motivation sind ok; damit man so in etwa weiß, was einen erwartet. Obwohl man das ja eigentlich auch schon aus dem Klappentext wissen sollte. Viel interessanter finde ich es zu erfahren, warum der Autor oder die Autorin das Bedürfnis hatte, das Buch zu schreiben und die Geschichten zu erzählen, die dort erzählt werden. In “Die Vermessung des Universums” ist die Einleitung aber eher klassisch: Randall fasst die einzelnen Teile und Kapitel des Buchs zusammen und erklärt, was sie darin erzählen wird. Das halte ich meistens für überflüssig (ganz besonders bei wissenschaftlichen Vorträgen!) – denn was passieren wird, lese ich dann ja sowieso, wenn ich es lese. Das muss nicht unbedingt vorher angekündigt werden. Aber das ist nur meine persönliche Meinung; vielleicht geht es euch ja anders? Das wäre dann auch schon der erste Punkt, über den wir diskutieren können:
- 1) Haben solche ausführlichen Einleitungen in Sachbüchern eurer Meinung nach einen nützlichen Zweck? Man findet sie ja überall: Bei wissenschaftlichen Vorträgen, bei populärwissenschaftlichen Vorträgen, in Facharbeiten, usw. Mir persönlich geben diese Beschreibungen dessen, was im Buch geschrieben steht, nicht viel – und ich verzichte in meinen Büchern auch immer darauf. Aber vielleicht schätze ich die Lage ja auch falsch ein und solche Einleitungstexte sind für die Leserinnen und Leser nützlich?
Richtig interessant fand ich dagegen das erste Kapitel, das in meiner englischen Ausgabe des Buchs den Titel “What’s so small to you is so large to me” trägt. Über konkrete Teilchenphysik ist darin noch nichts zu lesen; auch nicht über neue Forschungsergebnisse, etc. Aber wir sind ja auch erst am Anfang des Buches und ein Buch über Wissenschaft das sich an die breite Öffentlichkeit richtet tut gut darin, erst mal ein paar grundlegende Dinge zu erklären und ein paar grundlegende Missverständnisse aus der Welt zu schaffen.
Randall beschäftigt sich in diesem ersten Kapitel mit der Vorstellung der Wissenschaft als eine Tätigkeit, die “ewige Wahrheiten” schafft. Bzw. mit der gegenteiligen Vorstellung, dass Wissenschaft andauernd ihre Meinung ändert; andauernd alte “Wahrheiten” über den Haufen wirft und deswegen im Endeffekt überhaupt nichts allgemein gültiges aussagen kann.
Beide Vorstellungen sind Missverständnisse; aber beide sind auch nicht völlig falsch. In der Wissenschaft will man tatsächlich “fundamentale” Erkenntnisse über die Welt erlangen und dieser Wunsch nach dauerhaften Wahrheiten war es auch, der Randall dazu gebracht hat, Wissenschaftlerin zu werden. Aber Wissenschaft ist auch ständig im Fluss und verändert sich immer. Dass die beiden Ansichten trotzdem nicht in Widerspruch zueinander stehen müssen, hat mit der Art und Weise zu tun, wie Wissenschaft die Welt betrachtet.
Es kommt immer auf die Skala an. Wenn ich herausfinden will, wie ein Biber seinen Damm baut, dann muss ich dafür den Biber, die Bäume und das Wasser im Fluss betrachten und kann das tun, ohne mir dabei Gedanken darüber machen zu müssen, dass Biber, Baum und Wasser aus Atomen bestehen, die wiederum aus Elementarteilchen bestehen und so weiter. Für das Verständnis der Biologie des Bibers sind die Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen egal. Genauso muss sich ein Chemiker keine Gedanken darüber machen, dass die chemischen Elemente aus Quarks aufgebaut sind. Und für die Astronomen, die wissen wollen, wie sich der Jupiter um die Sonne bewegt, ist es ebenso egal, ob die Sonne nun aus einem Plasma aufgebaut ist, oder ein brennendes Stück Kohle oder eine riesige Glühbirne ist. Es kommt immer auf die Skala an, bei der man die Dinge betrachtet. Und es ist immer diese Skala auf der die physikalischen Gesetz gültig sind.
Und wenn man dann bei der Erforschung von einer Skala zu einer anderen wechselt, kann es vorkommen, dass Weltbilder gestürzt und Theorien über den Haufen geworfen werden. Aber auf der alten Skala behalten die alten Theorien weiterhin ihre Gültigkeit. Also Newton sich überlegte, wie die Gravitation funktioniert, kam er zu einem Ergebnis, das bei bestimmten Skalen sehr gut funktioniert. Als Albert Einstein dann andere Skalen betrachtete, höhere Geschwindigkeiten und größere Massen untersuchte als Newton, kam er zu einem anderen Ergebnis. Aber wenn man sich auf die Skalen beschränkt, die Newton erforscht hat, funktionieren Newtons Ergebnisse immer noch wunderbar und werden immer noch eingesetzt.
Randall schreibt
“Scientific theories grow and expand to absorb increased knowledge, while retaining the reliable parts of ideas that came before.”
und das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Dazu auch mein Diskussionsvorschlag Nummer 2:
- 2) Wird bei der Kommunikation von Wissenschaft zu sehr auf die reinen Fakten und Ergebnisse geachtet? Ist das Wechselspiel zwischen den Skalen und gleichzeitige Beibehaltung alter Erkenntnisse und neuer Modifikationen in der breiten Bevölkerung ausreichend bekannt? Oder herrscht hier noch die “Wissenschaft ändert dauernd die Meinung und weiß deswegen nichts sicher”-Meinung vor? Und wenn ja, was kann man dagegen tun?
Randall spricht auch über ein weiteres weit verbreitetes Vorurteil: “Weil die Wissenschaft noch nicht alles weiß, kann sie auch nicht mit Sicherheit sagen, das manche Dinge unmöglich sind”. Diese Einstellung findet man ja in der Esoterik sehr oft. “Weil die Quantenmechanik komisch ist und weil die Wissenschaft sie noch nicht komplett verstanden hat, kann es seltsame Effekte geben, die dazu führen das Homöopathie wirkt!”, wird da oft behauptet. Aber verkennen die Leute dann die Auswirkung der Skalen. WENN Homöopathie wirkt, dann wirkt sie. D.h. sie hat relevante Auswirkungen auf den Gesundheitsszustand von Menschen und das sind Effekte, die wir heute relativ leicht messen können. Die Skalen um die es geht, sind menschliche Skalen und die haben wir in den letzten paar Jahrhunderten der Wissenschaft gut verstanden. Natürlich kann es sein, dass bei der Untersuchung sehr kleiner Skalen noch diverse seltsame und völlig neue Effekte auftauchen. Dinge, die wir noch nicht verstanden haben und die unser Weltbild komplett umwerfen werden. Aber WENN diese Effekte so stark sind, dass Auswirkungen auf die menschliche Skala haben, dann würden wir sie JETZT schon sehen und bemerken können. Aber da wir das nicht tun, können wir davon ausgehen, dass diese neuen, noch zu entdeckenden Effekte eben nur Auswirkungen auf entsprechend kleinen Skalen haben, aber nicht das beeinflussen, was wir jetzt schon wissen.
Die seltsame Welt der Quantenmechanik ist tatsächlich seltsam. Aber die seltsamen Effekte beschränken sich auf die Größenordnungen der Mikrowelt, der Atome und subatomaren Teilchen. Die Quantenmechanik ist nicht geeignet um Gespenster, Telepathie, Homöopathie oder diversen anderen esoterischen Kram zu erklären – obwohl die Vertreter der Pseudowissenschaft uns das gerne glauben machen wollen.
“‘Impossible’ things can happen – but only in environments that we have not yet observed.”
schreibt Randall und meint damit, dass in der Physik noch jede Menge Überraschungen auf uns warten, wir diese Überraschungen aber nicht dort suchen dürfen, wo wir schon jahrzehntelang geforscht haben. Große Forschungsanlangen wie der LHC in CERN oder neue Weltraumteleskope müssen sich in den Augen der Öffentlichkeit ja oft rechtfertigen. “Wozu braucht man solche riesigen Maschinen, nur um ein paar Atome noch ein bisschen genauer anzusehen oder noch ein paar Galaxien mehr zu betrachten?”, fragt da die Öffentlichkeit oft. Und die Antwort lautet: Wenn wir neue “unmögliche” Dinge sehen wollen, dann müssen wir dorthin schauen, wo wir bis jetzt noch nicht hin geschaut haben. Dann müssen wir weiter hinaus ins All blicken als je zuvor. Oder größere Energien in Teilchenbeschleunigern untersuchen. Wir müssen die Welt auf anderen Skalen betrachten! Vielleicht gibt es irgendwelche Zusatzdimensionen oder andere schräge Effekte. Aber in unserer Alltagswelt werden wir sie nicht finden…
Randall schreibt auch ausführlich über die “effektiven Theorien” und hier habe ich meine dritte Diskussionsanregung:
- 3) Ich erinnere mich nicht daran, irgendwo in der Schule oder später an der Universität von “effektiven Theorien” gehört zu haben. Natürlich war mir irgendwann klar, wie das mit den Skalen läuft und das neue Erkenntnisse nicht alles verschwinden lassen, was davor war. Ich habe mitbekommen, dass man nicht beliebig weit ins Detail gehen muss, um konkrete Aussagen über die Welt machen zu können. Aber offiziell war das nie ein Thema. War das bei euch vielleicht anders? Bzw. sind sich die Wissenschaftler eigentlich darüber im Klaren, dass sie eigentlich immer nur effektive Theorien entwickeln, unter denen aber prinzipiell immer noch eine fundamentalere Theorie stecken kann? Vor allem: Ist ihnen das bewusst, wenn sie mit der Öffentlichkeit über ihre Arbeit sprechen?
Ich fand das erste Kapitel des Buchs schon mal recht viel versprechend. Ok, es waren nur allgemeine Aussagen über Wissenschaft. Aber das ist wichtig, wenn man Wissenschaft vermitteln will.
Wie ist eure Meinung? Was fandet ihr interessant, diskussionswürdig oder vielleicht auch fragwürdig und schlecht? Die Diskussion ist eröffnet und meine drei Punkte sind natürlich nur Vorschläge, die aufgegriffen, ignoriert und erweitert werden können!
Wir können eine Woche lang in Ruhe diskutieren – am 28. Februar werde ich hier den nächsten Artikel veröffentlichen und die nächste Diskussionsrunde mit neuen Themen eröffnen. Schaffen wir bis dahin die Kapitel 2, 3 und 4? Bei mir im Buch sind das 40 Seiten, was in einer Woche durchaus zu machen ist (für mich auf jeden Fall). Dann hätten wir nämlich auch schon Teil 1 des Buchs komplett abgeschlossen…
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