Es geht weiter mit dem Astrodicticum-Simplex-Buchclub. Wir lesen gemeinsam ein Buch und zwar “Die Vermessung des Universums” von Lisa Randall. Im ersten Teil haben wir über Sinn und Unsinn von langen Einleitungen diskutiert und über Randalls Erklärung der wissenschaftlichen Methodik. Nachdem sie im ersten Kapitel dargelegt hat, wie Wissenschaft funktioniert folgt nun in den Kapiteln 2 bis 4 ein historischer Überblick und die Abgrenzung zu anderen Welterklärungssystemen wie Kunst und Religion.
In Kapitel zwei (“Unlocking Secrets”) spricht Randall von ihrem Besuch in Padua, bei dem sie sich mit der Arbeit von Galileo Galilei beschäftigt hat. Sie gibt einen kurzen Überblick über die sich damals neu entwickelnde Methodik, die durch Galilei vorangetrieben wurde. Er wollte die Natur selbst erforschen; machte Experimente und war der erste, der den Wert des gerade neu erfundenen Teleskops für die Wissenschaft erkannte (über seine Erkenntnisse habe ich hier schon mal ausführlich geschrieben). Randall schreibt über den Konflikt zwischen den grundlegenden Weltbildern – heliozentrisch vs. geozentrisch – und wie Galileis Beobachtungen eine Unterscheidung ermöglicht haben.
Wer sich schon länger mit solchen Themen beschäftigt hat, für den ist in diesem Kapitel wenig Neues zu finden (obwohl ich zum Beispiel noch nicht wusste, dass Galilei auch Mikroskope gebaut hat und auch das schöne Experiment mit den Glocken hab ich hier zum ersten Mal gesehen). In den Kontext des Buchs passt es aber meiner Meinung nach recht gut, weil es immer gut ist zu wissen, wie sich die Dinge entwickelt haben. Und der riesige Teilchenbeschleuniger LHC um den es im Rest des Buches gehen wird, ist in letzter Konsequenz eine Resultat der Entwicklung die begann, als Galileo Galilei 1609 sein erstes Teleskop zum Himmel richtete.
Wesentlich kontroverser als die eher konservative historische Betrachtung in Kapitel 2 ist das Thema in Kapitel 3: Wo grenzt sich Wissenschaft von Religion ab und wieso ist es so schwer, dass beide friedlich nebeneinander existieren? Zuerst aber spricht Randall noch von Kunst, die ja ebenso wie die Wissenschaft probiert die Welt zu erklären. Allerdings auf ganz andere Weise:
“Art allows us to explore the universe through a filter of human perception and emotions. (…) Science, on the other hand, seeks objective and verifiable truth about the world.”
Selbstverständlich kann man auch durch Kunst viel über die Welt lernen. Aber wenn es darum geht, objektives und verifizierbares Wissen über die reale Welt zu erlangen, dann ist man mit Wissenschaft besser dran. Das führt zu einer Diskussion des Materialismus, den Randall als fundamental für die wissenschaftliche Methode ansieht und als definierenden Unterschied zur Religion.
Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Welt tatsächlich da ist, dass alles was ist, aus Materie aufgebaut ist und alles was passiert durch eine konkrete Interaktion zwischen dieser Materie passiert. Bei der Religion sieht das anders aus, hier spielt der Einfluss eines “Gottes” eine wichtige Rolle und dann stellt sich – aus Sicht der Wissenschaft – sofort die Frage: WO findet dieser Einfluss statt und WIE findet er statt? Wenn “Gott” im Rahmen des wissenschaftlichen Weltbildes wirkt, dann muss er irgendwo konkret wirken. Er muss zum Beispiel Atome bewegen und dafür irgendeine konkrete physikalische Kraft benutzen. Wenn er in unser Leben eingreifen will um zum Beispiel eine Krankheit zu heilen, dann muss “Gott” die Zellen in unserem Körper manipulieren; wenn “Gott” unsere Gedanken verändert um uns zum Beispiel glücklich zu machen, muss er unsere Neutonen beeinflussen; wenn er unsere Gebete erhört, dann muss irgendwie eine reale Kommunikation stattgefunden haben, und so weiter.
Man merkt, dass man bei so einer wissenschaftlich-materialistischen Beschreibung von “Gott” schnell in der Absurdität landet. Und deswegen – so Randall – muss man als Gläubiger zwangsläufig auch nicht-wissenschaftliche Überzeugungen verinnerlichen. Man muss daran glauben, dass “Gott” eben nicht physisch mit der Welt wechselwirkt, sondern irgendwie anders. Aber das führt zu Konflikten:
“Even if science doesn’t necessarily tell us why things happen, we do know how things move and interact. If God has no physical influence, things won’t move.”
In letzter Konsequenz ist es daher auch nicht möglich, die beiden Einflussbereiche von Religion und Wissenschaft zu trennen (“nonoverlapping magisteria”). Es ist zwar – und das sagt Randall auch ganz explizit – möglich ganz individuell religiöse UND wissenschaftliche Weltbilder zu vereinen und es gibt durchaus jede Menge religiöse Wissenschaftler. Aber die Widersprüche verschwinden deswegen nicht – man kann sie nur für sich selbst irgendwie rationalisieren bzw. ignorieren.
Ein materialistisch-wissenschaftliches Weltbild muss übrigens nicht heißen, dass man die Welt nur noch im Spiegel von Elementarteilchen und Fundamentalkräften sieht. “Aber was ist mit der Liebe! Das kann die Wissenschaft nicht erklären!” lautet ja ein oft gehörter Einwand. Aber das geht am Thema vorbei und Randall erklärt das auch im Buch. Hier muss man wieder die emergenten Phänomene und effektiven Theorien aus Kapitel 1 berücksichtigen. Musik zum Beispiel ist, auf fundamentaler Ebene, ein Wechselspiel von Atomen in der Luft; von Luft die schwingt und unser Trommelfell zum schwingen bringt; von elektrischen Strömen und Neuronen im Gehirn, und so weiter. Aber so reden wir nur sehr selten über Musik; wenn wir es tun, dann meistens im Rahmen einer effektiven Theorie, wo wir über Harmonien sprechen, über Melodien und Gefühle. Genau so ist es bei vielen anderen Themen: Wir wissen zwar, dass tief unten alles mit Elementarteilchen, Kräften und Energien zu tun hat und wissen, dass sich deren Interaktion mit diversen physikalisch-mathematischen Theorien beschreiben lässt. Aber wir wissen auch, dass wir bestimmte Phänomene eben NICHT auf diese fundamentale Art beschreiben wollen, sondern dazu effektive Theorien benutzen, die unseren menschlichen Ansprüchen besser genügen.
In der Religion funktioniert das aber nicht mehr; hier muss man irgendwann zwangsläufig den Boden des wissenschaftlichen Weltbildes verlassen (siehe auch hier):
“The religious part of your brain cannot act the same time as the scientific one. They are simply incompatible.”
Im vierten Kapitel geht es dann schließlich noch um die Frage, wer überhaupt “berechtigt” ist, sich über die fundamentalen Fragen dieser Welt Gedanken zu machen. Die Wissenschaft ist ja mittlerweile in der Lage, sich mit Fragen zu beschäftigen, die in das traditionelle Territorium der Religion eindringen: Wo kommt alles her? Wie ist alles entstanden? Warum ist da etwas und nicht nichts? Wie wird alles enden? Und so weiter. Und es ist nicht verwunderlich, dass das für die Kirchen manchmal problematisch ist, denn es geht ja bei der Frage auch um Autoritäten. Galilei, so Randall, wurde von der Kirche nicht nur verurteilt, weil seine Erkenntnisse der vorherrschenden Lehre widersprochen habe, sondern auch, weil er es überhaupt gewagt hat, selbst die Welt zu erklären und nicht auf das Urteil der Kirche zu vertrauen.
“For those in charge, God can always be invoked as the trump card that justifies their point of view. Independent inquiry of any kind is clearly a potential threat. Prying into God’s secrets might furthermore undermine the moral power of the church and the secular authority of the rulers on Earth.”
Es ist also nicht verwunderlich, wenn die religiösen Autoritäten ein Problem mit der Wissenschaft haben. Aber, und das ist eine sehr interessante Frage, warum ist das auch bei Individuen so? Randall fragt:
“But why do individuals align themselves with this point of view? The real question for me is not what the differences are between science and religion. Those can be reasonably well delineated as we argued in the previous chapter. The important question to answer are these: Why do people car so much? Why are so many people suspicious of scientists and scientific progress? And why does this conflict over authority erupt so often and even continue to this day?”
Randall spricht auf den letzten Seiten dieses Kapitels über den “anti-ego, anti-progress trend” der zu der starken Ablehnung der Wissenschaft führt, aber eine wirklich befriedigende Antwort auf die aufgeworfenen Fragen hat sie meiner Meinung nach gegeben. Das ist vermutlich auch nicht so einfach und deswegen möchte ich diese Fragen einfach an die Leserschaft zur Diskussion weitergeben. Warum stehen so viele Menschen der Wissenschaft mit Skepsis gegenüber? Warum kümmert es so viele (religiöse) Menschen so sehr und wieso ist der Konflikt so heftig?
Damit ist der erste Teil des Buchs auch schon wieder vorbei und in Teil zwei geht es dann um die Grundlagen der Teilchenphysik. Ich würde vorschlagen, dass wir bis zum nächsten Mal die Kapitel 6 und 7 lesen und uns hier am 7. März 2014 wieder treffen. Dann geht es zwar nicht mehr um die kontroverse Frage zwischen Religion vs. Wissenschaft – aber um die nicht minder kontroverse Quantenmechanik…
P.S. Das letzte Mal haben viele sich über den sperrigen Stil des Buchs beschwert. Ich kann mich erinnern, dass es mir bei Randalls erstem Buch ebenso ging. Das habe ich damals aber in der deutschen Übersetzung gelesen; jetzt lese ich das Original und das kommt mir wesentlich besser vor. Vielleicht liegt das Problem hier nicht bei der Autorin sondern der Übersetzung?
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