Mit der Beobachtung der B-Moden sind wir aber in der Lage, das Universum zu einer Zeit zu betrachten, als es von einer Energie erfüllt war, die über alles hinaus geht, was in unseren Beschleunigern stattfindet. Die Beobachtungsdaten sagen uns, dass es hier um Energien in der Größenordnung von 2 × 1016 Gigaelektronenvolt geht bzw. fast eine Billion mal mehr, als im Teilchenbeschleuniger LHC möglich ist! Das ist verdammt viel, und wir können hier Dinge lernen, die wir sonst nirgendwo lernen können!
Zum Beispiel, dass die Quantengravitation tatsächlich existiert! Die primordialen B-Moden sind ein direkter Hinweis darauf, dass im frühen Universum vor der Inflation die Gravitation tatsächlich eine quantisierte Kraft war, denn nur wenn sich die Quantenfluktuationen auch auf die Gravitation auswirken, können die primordialen B-Moden entstehen.
Es handelt sich bei dieser Beobachtung aber auch um den ersten Nachweis der Hawking-Strahlung! Die kennt man ja normalerweise nur im Zusammenhang mit schwarzen Löchern. Hier hat Stephen Hawking den Einfluss der enormen Gravitation auf die Quanteneffekte berechnet und dabei entdeckt, dass von den schwarzen Löchern eine Strahlung ausgeht. Das trifft aber auch auf das junge Universum zu. Auch das war vergleichbar mit einem schwarzen Loch; war enorm klein und enorm dicht und gab Hawking-Strahlung ab, deren Auswirkung auf die Verteilung der Materie heute in Form der B-Moden zu beobachten ist.
Und schließlich ist diese Entdeckung auch noch ein starkes Indiz für die Existenz des Multiversums. So gut wie alle modernen kosmologischen oder physikalischen Theorien deuten darauf hin, dass unser Universum nicht das einzige ist sondern viele existieren. Ich habe das in einer früheren Blog-Serie ausführlich erklärt und dabei auch über die “ewige Inflation” gesprochen. Die Idee dahinter ist, dass die Inflation kein einmaliges Ereignis ist, sondern immer wieder stattfindet. Die Quantenfluktuationen könnten nicht nur für eine kurz Inflationsphase sorgen, sondern für viele, die immer wieder auftreten und unterschiedlich lang dauern. Der Raum wäre dann vergleichbar mit einem Stück Schweizer Käse, in dem dank Inflation immer wieder Universen in die Existenz “ploppen” und die Blasen im kosmologischen Käse bilden.
Einer der Pioniere bei der Entwicklung dieses inflationären Multiversums ist der Kosmologe Andrei Linde dessen theoretische Vorhersage über die Parameter der Inflation ziemlich gut mit den neuen Beobachtungen überein stimmen. Dementsprechend erfreut war er auch, als ihn ein Kollege ohne Vorwarnung mit den Ergebnissen überrascht hat:
Linde freut sich wahrscheinlich aus mehreren Gründen. Einer davon dürfte die nun realistische Hoffnung auf einen Nobelpreis sein. Zusammen mit Alan Guth gehört er nun zu den heißesten Kandidaten für die nächsten Jahre. Aber er wird sich natürlich auch und vor allem darüber gefreut haben, dass seine theoretische Vorhersage bestätigt wurde. Das ist für einen Theoretiker immer ein tolle Gefühl und um so mehr, wenn es sich um eine Vorhersage handelt, die so weit von allem entfernt war, wie die von Linde.
Man muss sich noch einmal klar machen, dass wir hier über Vorgänge sprechen, die vor 13,8 Milliarden Jahren stattgefunden haben! Über Dinge, die so kurz nach dem Urknall selbst passiert sind, dass es keine Möglichkeit gibt, diesen Zeitraum irgendwie anschaulich zu machen. Über Vorgänge, die in einem Universum stattgefunden haben, das kleiner war als ein Atom. Ein Universum, in dem nichts auch nur annähernd Vertrautes existiert hat, nur ein wildes Gewimmel von Energie, Quantenfelder und anderen seltsamen Sachen. Und trotzdem sind wir Menschen in der Lage, über dieses Universum nachzudenken, Theorien zu dessen Beschreibung zu entwickeln und diese Theorien dann auch noch mit Beobachtungen zu überprüfen!
Die Entdeckung der primordialen B-Moden war nur der erste Schritt. Jetzt müssen die Daten erst Mal in Ruhe von der wissenschaftlichen Gemeinschaft geprüft werden. Wir müssen warten, bis auch die anderen Experimente (die Daten der Planck-Mission) ihre Beobachtungen veröffentlicht haben und sehen, ob sie die Erkenntnisse bestätigen oder nicht. Und wir müssen, so wie immer, neue und bessere Instrumente bauen. Aber dann steht uns ein völlig neues Universum offen! Gestern haben wir den ersten Blick in diesen fremden Kosmos geworfen, der irgendwann zu unserem Zuhause werden sollte. Wer weiß, was wir noch alles entdecken werden, wenn wir erst richtig gelernt haben, dieses Universum zu beobachten!
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