Die Frage nach der dunklen Materie ist definitiv eine der großen unbeantworteten Fragen in der aktuellen Astronomie. Wir wissen seit den 1930er Jahren, dass es im Universum eine Form von Materie geben muss, die sich von der uns bekannten Form der Materie grundlegend unterscheidet. Die ganz normale Materie, also all das Zeug, aus dem wir und unsere Welt bestehen, ist in der Lage elektromagnetische Strahlung, und damit auch Licht, zu reflektieren, zu absorbieren und auch auszusenden. Das ist auch der Grund, warum wir diese Materie sehen können. Es gibt aber auch Materie, die mit dem Elektromagnetismus nichts am Hut hat. Neutrinos zum Beispiel: Diese Elementarteilchen werden von der elektromagnetischen Strahlung absolut nicht beeinflusst. Deswegen interagieren Neutrinos auch so gut wie gar nicht mit normaler Materie. Und selbst wenn man es hin bekommen würde, einen ganzen Haufen Neutrinos auf einem Fleck festzuhalten, würde man sie nicht sehen können, da sie ja mit Licht nicht wechselwirken. Materie dieser Art nennen wir “dunkle Materie”. Und auch wenn sie nicht direkt zu sehen ist, heißt das nicht, dass man sie nicht doch bemerken kann. Die Neutrinos hat man ja irgendwann schließlich auch entdeckt. Und bei der dunklen Materie könnte es auch bald so weit sein…
Bis jetzt haben wir unser Wissen über die dunkle Materie hauptsächlich über die Gravitation gewonnen. Denn auch wenn sie nicht der elektromagnetischen Kraft unterliegt, so spürt sie doch die Gravitation und übt auch selbst eine Gravitationskraft aus. Und genau das beobachten wir seit Jahrzehnten. Überall im Universum bewegen sich Galaxien und Sterne nicht so, wie sie es tun würden, wenn sie nur rein von der sichtbaren Materie beeinflusst würde. Sie bewegen sich so, als würde zusätzlich zu der Materie, die wir sehen können, noch jede Menge dunkle Materie existieren. Ich habe die ganze Geschichte der Entdeckung und Erforschung der dunklen Materie ja schon in meiner Serie zu diesem Thema zusammengefasst und möchte das nicht nochmal wiederholen.
Aber neben der gravitativen Wirkung der dunklen Materie gibt es in den letzten Jahren auch immer mehr Hinweise aus anderen Experimenten und Beobachtungskampagnen. In Teilchenbeschleunigern und Detektoren ist man auf der Suche nach einem direkten Nachweis der dunklen Materie. Die meisten Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass es sich dabei um eine bisher noch unbekannte Form von Elementarteilchen handelt, den sogenannten WIMPs (“Weakly Interacting Massive Particles”). Man hofft, diese Teilchen in den nächsten Jahren am Beschleuniger LHC entdecken zu können (ich habe hier mehr darüber geschrieben). Vielleicht findet man sie aber auch in speziellen Detektoren, die schon seit einiger Zeit auf der Suche sind. Man hofft aber auch, die Spuren der dunklen Materie im Weltall entdecken zu können.
Wenn die dunkle Materie tatsächlich aus WIMPs besteht, und wenn die dunkle Materie tatsächlich riesige Wolken bildet, die sich überall im All befinden und in die die sichtbaren Galaxien eingebettet sind, dann sollten dort immer wieder mal ein paar dieser WIMPs kollidieren und sich dabei selbst auslöschen. Die dunkle Materie wird in Energie umgewandelt und diese Energie wird in Form von Strahlung sichtbar, die wir theoretisch beobachten können. Das Problem an der Sache ist natürlich, dass es im All jede Menge Strahlung gibt und es nicht so einfach ist, herauszufinden, welcher Anteil nun woher stammt.
Trotzdem probiert man es und die Ergebnisse werden von Jahr zu Jahr vielversprechender. Kürzlich haben sich Astronomen um Tansu Daylan von der Universität Harvard nochmal die Daten des FERMI-Weltraumteleskops angesehen (“The Characterization of the Gamma-Ray Signal from the Central Milky Way: A Compelling Case for Annihilating Dark Matter”). FERMI ist ein Teleskop, das Gammastrahlung beobachten kann. Diese hochenergetische Form des Lichts wird bei vielen astrophysikalischen Prozessen erzeugt – und dazu gehört auch die sich auslöschende dunkle Materie. Und wenn das wirklich so ist, dann sollte man die besonders gut im galaktischen Zentrum finden.
Von der dunklen Materie muss sehr viel mehr existieren als von der normalen Materie. Deswegen ist es auch die dunkle Materie, die unser Universum geformt hat. Die großen Wolken in denen sie sich im frühen Universum gesammelt hat, haben mit ihrer Gravitation die normale Materie angezogen und in ihren Zentren verdichtet. Dort entstanden die ersten Galaxien und Sterne und in den Zentren der Galaxien sollte man auch die meiste dunkle Materie finden.
Die Detailarbeit ist natürlich knifflig. Man muss zuerst einmal genug Gammastrahlung beobachten. Und dann muss man davon all die Gammastrahlung abziehen, die aus bekannten Quellen kommt. Wenn tatsächlich nur die Himmelskörper Gammastrahlung produzieren, die man auch sehen kann, sollte nach dieser Subtraktion nichts mehr übrig bleiben. Aber genau das passiert nicht, wie diese Bilder zeigen:
Man sieht hier das galaktische Zentrum im Gammalicht mit drei verschiedenen Intensitäten. Links ist alles das, was man beobachtet. Rechts sieht man, was übrig bleibt, wenn man die bekannten Quellen abzieht. Und das ist definitiv nicht Nichts. Ganz im Gegenteil: Die Strahlung die man nach der Subtraktion dessen, was man kennt, immer noch empfängt, sieht ziemlich genau so aus, wie es zu erwarten wäre, wenn da jede Menge WIMPs von genau der Art sind, wie sie in den Modellen der Teilchenphysiker auftauchen.
Natürlich ist das kein Beweis für die Existenz dunkler Materie. Aber die Wissenschaftler um Daylan sind optimistisch, dass ihre Daten besser sind als die bisherigen Hinweise. Es gab ja auch früher immer schon diverse Beobachtungen, die einen Überschuss an Strahlung gesehen haben, der auf die Auslöschung dunkler Materie zurückzuführen sein könnte. Aber dabei handelte es sich meistens nicht um Gammastrahlung, sondern andere Strahlung, die wesentlich komplizierter zu bearbeiten ist. Gammastrahlung wird zum Beispiel nicht durch kosmische Magnetfelder abgelenkt und es viel leichter, die entsprechende Modelle der bekannten Quellen zu erstellen, als wenn man zum Beispiel kosmische Strahlung oder Positronen beobachtet. Bei der Gammastrahlung gibt es “weniger Knöpfe, die man drehen muss”, sagen die Autoren in ihrem Fachartikel und die Wahrscheinlichkeit, hier die Strahlung bekannter astrophysikalischer Prozesse mit dem Effekt der dunklen Materie zu verwechseln ist viel kleiner als bei anderen Beobachtungen. Außerdem konnte man mit FERMI sehr viel Gammastrahlung beobachten und den Effekt ziemlich gut und detailliert beschreiben. Auch das Modell der dunklen Materie, auf das die Daten hinweisen gehört zu den simpelsten Modellen, die im Arsenal der Teilchenphysiker existieren. Und schließlich gibt es bis jetzt auch noch keine plausiblen alternativen Modelle, die erklären könnten, wo diese Extrastrahlung her kommt, wenn nicht von dunkler Materie.
Eine solche Alternative hätten Pulsare sein können. Diese kompakten Sternüberreste, die nach großen Supernova-Explosionen übrig bleiben, gibt es überall in der Milchstraße und vor allem im Zentrum. Und auch sie senden Gammastrahlung aus. Bisher hatte man vermutet, dass ein etwaiger Gammastrahlungsüberschuss auch von noch unentdeckten Pulsaren im galaktischen Zentrum stammen könnte. Aber das scheint den Daten von FERMI zu widersprechen. Die Forscher haben sich angesehen, wie die Energie der Gammastrahlung in anderen Kugelsternhaufen verteilt ist, die man schon ziemlich genau beobachtet hat:
Dieses Bild zeigt die Energieverteilung der Gammastrahlung. Die Datenpunkte sind die realen Messwerte. Die gepunkteten und gestrichelten Linien zeigen die Verteilung in den verschiedenen Sternhaufen bzw. von all den Pulsaren die man im Zentrum der Milchstraße kennt. Die durchgezogene Linie zeigt dagegen die zu erwartende Verteilung, wenn sie von der Auslöschung dunkler Materie stammt. Im rechten Teil des Diagramms bieten die Pulsare eine ebenso gute Erklärung wie die dunkle Materie. Aber im linken Teil weicht die von den Pulsaren zu erwartende Verteilung von den Daten deutlich ab und nur die dunkle Materie passt zu den Beobachtungen. Daylan und seine Kollegen zeigen außerdem, dass man so viele unentdeckte Pulsare benötigen würde, um die Daten zu erklären, dass FERMI bzw. andere Teleskope schon längst einige davon gefunden haben müssten.
Wie gesagt: Diese Beobachtungen sind keine direkte Beobachtung dunkler Materie. Aber sie sind ein ziemlich guter Hinweis auf ihre Existenz und Natur. Tansu Daylan und seine Kollegen erhoffen sich in Zukunft viel von der Beobachtung anderer Galaxien. Die sind zwar weiter weg und Daten schwerer zu bekommen. Aber wenn man sie hat, dann sollten sie eigentlich die gleiche Art von überschüssiger Gammastrahlung zeigen, die man auch in unserer eigenen Galaxie beobachtet. Und der LHC wird ja auch demnächst wieder den Betrieb aufnehmen und nach neuen und unbekannten Teilchen suchen. Auch hier kann man auf weitere Hinweise hoffen. Die Kreise um die dunkle Materie ziehen sich immer enger. Lange kann sie uns nicht mehr entkommen…
Kommentare (37)