Es geht weiter mit dem Astrodicticum-Simplex-Buchclub. Wir lesen gemeinsam ein Buch und zwar “Die Vermessung des Universums” von Lisa Randall (Hinweis: Das hier ist keine komplette Rezension des Buches. Ich erwähne hier nur ein paar interessante Themen und gebe keinen vollständigen Überblick. Ich gehe davon aus, dass jeder der am Buchklub-Projekt mitmacht, das Buch auch selbst gelesen hat und über den Inhalt Bescheid weiß). Im ersten Teil haben wir über Sinn und Unsinn von langen Einleitungen diskutiert und über Randalls Erklärung der wissenschaftlichen Methodik. Im zweiten Teil haben wir gelesen, wie Randall Wissenschaft gegenüber Kunst und Religion abgrenzt. Im dritten Teil gab es eine Einführung in die Grundlagen der Teilchenphysik und die Funktionsweise eines Teilchenbeschleunigers und in Teil 4 hat Randall erzählt, was man mit so einem Beschleuniger alles entdecken kann und wie die Technik dahinter aussieht. Teil 5 handelte von der spannenden Konstruktionsgeschichte des LHC und den angeblichen Gefahren, die von ihm ausgehen. In Teil 6 wurde die Risikoabschätzung vertieft und erklärt, wie man in der Physik eigentlich exakte Messungen anstellen kann. In Teil 7 wurde es konkreter und wir haben erfahren, WIE der LHC Messungen anstellt und wie man sie korrekt interpretiert. Welche Kriterien bei der Erstellung von teilchenphysikalischen Modellen eine Rolle spielen, erörtert Randall in Kapitel 15 und in Kapitel 16 wird endlich der berühmte Higgs-Mechanismus vorgestellt.
In den letzten Kapitel war das Buch ja wieder ein wenig trocken und wir haben viel über die Technik und die Details der Experimente am LHC gelernt. Kapitel 15 hat dagegen wieder ein ganz anderes Thema. Es trägt den vielversprechenden Titel “Truth, Beauty, and Other Scientific Misconceptions”. Randall erzählt die Geschichte von Murray Gell-Mann, der sich in den 1960er Jahren Gedanken über den Wildwuchs im Garten der Teilchenphysik machte. Ständig entdeckten die Physiker neue Elementarteilchen und irgendwie war das ganze sehr verwirrend. Wieso braucht das Universum so viele so verschiedene Teilchen? Gell-Mann fand, dass es ästhetischer wäre, wenn man diese Vielzahl an Teilchen durch ein paar weniger Teilchen erklären könnte, die noch fundamentaler waren. Er entwickelte das Modell der Quarks, die über eine bisher unbekannte Kraft miteinander wechselwirken und je nach dem wie diese Quarks sich miteinander verbinden, entstehen daraus die vielen beobachteten Teilchen.
Gell-Mann brauchte nur noch drei Arten von Quarks um die Vielfalt der Beobachtungen zu erklären und das war doch viel schöner und ästhetischer! Aber muss es deswegen auch richtig sein? Das Konzept der “Schönheit” spielt in der Naturwissenschaft eine überraschend prominente Rolle. Die Wissenschaftler suchen offensichtlich instinktiv nach “schönen” Theorien und Modelle. Mathematiker suchen nach “schönen” Formeln und das es sich dabei nicht um reine Willkür handelt zeigen diverse Umfragen und Statistiken, bei denen regelmäßig die selben Formeln als die “schönsten” gewählt werden (normalerweise landet die Eulersche Formel auf Platz 1).
Randall beschreibt, dass besonders die Symmetrien ein wichtiges Kriterium bei der Suche nach der Schönheit sind. Ich selbst bin mir noch nicht sicher, was ich von der Sache halten soll. Ich bin fest davon überzeugt, dass wissenschaftliche Theorien und mathematische Formeln ebenso “schön” sein können wie es Musik, Gemälde und andere Kunst ist. Auch Wissenschaft ist ein schöpferischer Prozess und die Ergebnisse können ebenso nach ästhetischen Kriterien beurteilt werden wie die der “normalen” Kunst. Die Frage ist nur: Welche Rolle spielt die Schönheit bei der Forschung und vielleicht können wir das mal gemeinsam diskutieren.
Gibt es irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür, dass “schöne” Formeln tendenziell richtiger oder besser sind, als “hässliche” Formeln? Wieso gehen wir so instinktiv davon aus, dass dem Universum irgendwelche Regeln zugrunde liegen, die wir als schön und ästhetisch empfinden? Warum sollte sich das Universum dafür interessieren, was wir schön finden? Verwechseln wir hier Schönheit mit Effizienz bzw. Einfachheit und suchen keine “schönen” Regeln, sondern “einfache” Regeln? Oder sind “schön” und “einfach” vielleicht irgendwie auch wieder das selbe? Und warum sollte das Universum von einfachen Regeln bestimmt werden? Vielleicht ist es ja auch in Wahrheit wahnsinnig hässlich und kompliziert? Und ist die Sache mit der Schönheit vielleicht überhaupt nur Unsinn? Was zum Beispiel ist an der Quantenmechanik schön oder gar einfach?
Das Thema hat auf jeden Fall Potenzial für lange Diskussionen, denn Schönheit ist natürlich Geschmackssache. Und Geschmack wird auch von dem bestimmt, was wir wissen. Ein teilchenphysikalisches Modell kann man nur dann überhaupt “schön” finden, wenn man es versteht. Randall schreibt daher auch, dass sie nicht so sehr eine abstrakte “Schönheit” als Kriterium für “gute” Ideen verwenden will, sondern die Frage, ob jemand, der noch nie vorher von dem Thema gehört hat, verstehen kann, warum die Idee gut ist.
Es ist auf jeden Fall ein kniffliges Problem. Aber im Gegensatz zur Kunst hat die Wissenschaft ja zumindest am Ende immer noch ein ultimatives Kriterium um zu bestimmen, ob etwas richtig ist oder nicht. Egal wie schön oder hässlich eine Idee ist: Wenn sie nicht durch Beobachtungen und Experimente bestätigt werden kann, muss man sie verwerfen! Ein Modell, dass vermutlich von den meisten (die darüber Bescheid wissen) als “schön” oder aber zumindest als “elegant” bezeichnet werden würde, ist der Higgs-Mechanismus, der in Kapitel 16 vorgestellt wird.
Ich habe in den letzten Jahren schon jede Menge populärwissenschaftliche Erklärungen des Higgs-Mechanismus gelesen. Manche waren wunderbar, manche waren falsch, manche waren unverständlich. Ich will jetzt Randalls Erklärung nicht kommentieren (zumindest noch nicht) und stattdessen lieber die Leserschaft fragen:
Vorausgesetzt ihr habt nicht sowieso schon so wie ich jede Menge andere Erklärungen gelesen: Habt ihr das Gefühl, nach der Lektüre von Kapitel 16 verstanden zu haben, wie der Higgs-Mechanismus funktioniert und wozu er in der Teilchenphysik benötigt wird? Vielleicht könnt ihr probieren, den Mechanismus in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Ich denke, es wäre ganz interessant zu sehen, wie verschiedene Leserinnen und Leser dieses wichtige Kapitel aufgenommen haben.
In meiner Ausgabe des Buches geht es nun mit Kapitel 17 (“The Worlds Next Top Model”) weiter, in dem es um die Supersymmetrie geht. Aber soweit ich weiß findet man in den aktuelleren Ausgaben des Buchs noch ein Extra-Kapitel das von der tatsächlichen Entdeckung des Higgs-Teilchens im Jahr 2012 handelt. Ich würde mich freuen, wenn sich unter denjenigen Leserinnen und Lesern, die dieses Kapitel in ihrem Buch haben, eine Person findet, die eine kurze Zusammenfassung für die nächste Ausgabe des Buchklubs schreibt. Oder vielleicht sogar mehrere Personen? Es wäre sicher auch mal nett, wenn nicht immer nur ich aus dem Buch erzähle und Diskussionsthemen vorschlage, sondern auch mal andere zu Wort kommen. Wir wollen hier ja gemeinsam lesen… Wie gesagt: Euer Text müsste nicht lang sein sondern nur kurz zusammenfassen worum es geht und ein paar Punkte zur gemeinsamen Diskussion herausstellen. Und wenn sich mehrere Leute finden die mir etwas schicken, wäre das um so besser. Und es würde mir auch insofern helfen, als dass ich nächste Woche verreisen muss und nicht weiß, ob ich dazu komme, selbst etwas zu schreiben.
Wie auch immer – es geht auf jeden Fall am 18. April weiter. Hoffentlich mit euren Beiträgen zum Higgs-Sonderkapitel!
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