Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Die perfekte Theorie: Das Jahrhundert der Genies und der Kampf um die Relativitätstheorie”* (im Original “The Perfect Theory: A Century of Geniuses and the Battle over General Relativity”* von Pedro Ferreira. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier
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Im ersten Kapitel des Buchs haben wir erfahren, was eigentlich das allgemeine an der Allgemeinen Relativitätstheorie ist und wie Albert Einstein überhaupt auf die Idee kam, sie zu entwickeln. Im zweiten Kapitel hat Einstein dann mühsamer Rechnerei endlich herausgefunden, wie er diese Theorie formulieren kann. Das dritte Kapitel hat gezeigt, dass wir aus der allgemeinen Relativitätstheorie überraschend viel über die Entstehung des Universums lernen können. Kapitel 4 hat erklärt, dass man aus ihr auch faszinierende Erkenntnisse über sterbende Sterne erhalten kann. In Kapitel 5 ging es um Einsteins Gegner und die zweifelten in Kapitel 6 sogar den Urknall an; den größten Erfolg der Relativitätstheorie.
In der Mitte des 20. Jahrhunderts war die Relativitätstheorie bei weitem nicht mehr so populär wie in den Jahrzehnten davor. Die Quantenmechanik dominierte mit ihren Erfolgen und ständig auftauchenden neuen Erkenntnissen die Physik und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie wurde als zu abstrakt und mathematisch angesehen, um wirklich eine wichtige Rolle zu spielen.
Niemand wusste damals so wirklich, was man mit dieser Theorie anfangen sollte. Im Gegensatz zur Quantenmechanik gab es keine Experimente die man durchführen konnte, um bei der Relativitätstheorie weiter zu kommen und wenn man sich zwangsläufig rein mathematisch mit den Feldgleichungen beschäftigte, kamen doch immer nur wieder irgendwelche komischen Lösungen raus. Einer, der sich mit diesen Lösungen und der mangelnden Attraktivität der Theorie nicht abfinden wollte, war John Wheeler.
Er wollte nicht akzeptieren, dass der von Oppenheimer und Snyder vorhergesagte völlige Kollaps der Raumzeit tatsächlich stattfinden könnte, wenn ein großer Stern stirbt. Wheeler fand das Konzept der “Singularität” bei der nichts mehr den Zusammenfall eines Sterns aufhält absurd und war davon überzeugt, dass irgendeine Kraft dafür sorgen muss, dass kein kompletter Kollaps stattfindet. Wheeler beschäftigte sich daher intensiv mit der Relativitätstheorie; machte sich Gedanken darüber, wie man auch den Elektromagnetismus als Resultat eines gekrümmten Raums erklären kann und schuf im Zuge dieser Arbeit das Konzept der “Wurmlöcher”. Auch diese esoterischen Gebilde sind laut Einsteins Feldgleichungen zulässig und verbinden durch eine Art “Tunnel” zwei weit entfernte Regionen der Raumzeit.
Anstatt das Problem der Singularitäten zu lösen – was Wheeler nicht gelang – fand er nur noch absurdere Phänomene in der Relativitätstheorie. Und interessanterweise war es ein noch absurderes Konzept, dass mitverantwortlich für den langsamen Wiederaufstieg der Relativitätstheorie war. Ferreira erzählt die Geschichte eines Kollegen von Wheeler, der ein wenig Geld für den Kauf eines Hauses brauchte. Dieser Kollege, Bryce DeWitt, beschloss, an einem Wettbewerb der “Gravity Research Foundation” teil. Diese von einem Unternehmer gegründete Stiftung wollte die Schwerkraft “nutzbar” machen und insbesondere die “Antigravitation” entwickeln. Die Foundation schrieb einen fortlaufenden Aufsatzwettbewerb aus, für alle, die zu diesem Thema etwas beizutragen hatten. Das waren natürlich hauptsächlich eher “seltsame” Menschen und keine seriösen Wissenschaftler.
DeWitt allerdings war ein seriöser Wissenschaftler und obwohl er in seinem Aufsatz in sehr direkten Worten erklärte, dass die Antigravitation nichts ist, was man mal so eben erfinden kann und es handfeste wissenschaftliche Gründe gibt, warum so etwas niemals klappen wird, gewann DeWitt den Preis. Trotzdem war das Thema natürlich sehr gut in den Medien verwertbar. In den 1950er Jahren begann man sich gerade ernsthaft mit der Raumfahrt zu beschäftigen und warum sollte man nicht in Zukunft auch Raketen und Flugzeuge entwickeln, die irgendwie die Gravitationskraft manipulierten? Immerhin war es ja noch gar nicht so lange her, dass man den Elektromagnetismus unter Kontrolle brachte und für den Menschen nutzbar machte. Warum also nicht auch die Gravitation?
Das Problem war, dass man über die Gravitation noch nicht wirklich gut Bescheid wusste. Aber das wollte man ändern und diverse Luftfahrt- und Raumfahrtunternehmen investierten in die Gravitationsforschung. Die dort beschäftigten Wissenschaftler stürzten sich also in die Grundlagenforschung und die Allgemeine Relativitätstheorie gewann wieder an Aufwind. Bryce DeWitt organisierte im Jahr 1957 eine große Konferenz zum Thema “Die Rolle der Gravitation in der Physik” und die damalige Prominenz der theoretischen Physik – inklusive Richard Feynman – nahm teil. Man war sich einig, dass es bei der Relativitätstheorie noch viel zu erforschen gibt; dass sich die Erforschung lohnt und das man lernen muss, mit dem Mangel an möglichen Experimenten umzugehen (zum Beispiel durch Gedankenexperimente, wie Feynman vorschlug).
Trotz all dem neuen Schwung war man aber immer noch eher der Meinung, dass die Relativität eher ein “rein mathematischer Formalismus” ist, der wenig Bezug zur beobachtbaren Realität hat. Aber das sollte sich bald ändern! Den Durchbruch brachten die “Radiosterne”, die im letzten Kapitel schon eine wichtige Rolle bei der Kontroverse zwischen Urknall und Steady-State-Universum spielen.
Bei diesen seltsamen Objekten wusste man in den 1960er Jahren immer noch nicht, was sie eigentlich sein sollte. Sie strahlten jede Menge Radiowellen ab und waren im normalen Licht kaum zu sehen. Viele von ihnen waren sehr weit weg. Aber mehr wusste man nicht. 1963 gelang es dem Astronom Maarten Schmidt aber, eine enorm hohe Rotverschiebung bei einem dieser Radiosterne zu messen. Das bedeutete, dass sich dieses Objekt wahnsinnig weit entfernt befinden musste; ein paar Milliarden Lichtjahre. Wenn man sie aber dann trotzdem noch im Radiobereich und sogar im normalen Licht sehen konnte, dann mussten sie unvorstellbar hell sein und gigantische Mengen an Energie abgeben; mehr als ein paar hundert normale Galaxien auf einmal. Und um alles noch ein wenig verwirrender zu machen, mussten diese Objekte auch noch vergleichsweise klein sein; viel kleiner als eine normale Galaxie.
Als sich 1963 eine Gruppe Relativitätsforscher in Texas zu einer Konferenz trafen, wollte sie auch die Astronomen einladen um über die komischen Radiosterne zu diskutieren. Sie veranstalten also ein “Symposium zur relativistischen Astrophysik” und an die 300 Teilnehmer kamen um mehr über die Radiosterne zu lernen. Während dieser Konferenz hörte man auch auf, sie “Radiosterne” zu nennen und verwendete stattdessen den Begriff, den wir auch heute noch benutzen: “Quasar”, für “quasistellares Objekt”. Und weil niemand von den Astronomen wusste, was das für Dinger sein sollten, konnte man sich ja auch mal anhören, was die Relativistiker dazu zu sagen hatten…
Und die hatten viel zu sagen. Enorm viel Masse und Energie auf vergleichsweise kleinem Raum. Und alles enorm weit weg – um das zu erklären, schien man tatsächlich die Allgemeine Relativitätstheorie zu brauchen. Auch John Wheeler nahm an dieser Konferenz im Dezember 1963 teil und hielt dort einen Vortrag, der zeigte, dass Relativität doch mehr war, als nur eine reine mathematische Spielerei. Wollte man das Universum und seine seltsamen Bewohner, wie zum Beispiel die Quasare, verstehen, dann musste man auch die Relativitätstheorie verstehen. Einsteins Theorie war wieder da!
(Und wer unbedingt jetzt schon wissen will, was Quasare sind, kann sich meine Folge der Sternengeschichten zu diesem Thema anhören).
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