Wenn man ein Buch schreibt, dann hat man hoffentlich eine Lektorin oder einen Lektor. Bei der Entstehung eines Buches sind das äußerst wichtige Menschen. Denn die wissen im Idealfall, wie ein richtig gutes Buch funktionieren muss; welche Geschichten besser an den Anfang passen und welche ans Ende. Sie wissen, welche Geschichten gekürzt werden müssen und welche man ein bisschen ausführlicher erzählen kann. Sie wissen, wie aus einem guten Manuskript ein wirklich gutes Buch wird. Meinem Lektor beim Hanser-Verlag bin ich immer sehr dankbar für seine Unterstützung bei meiner Arbeit. Auch wenn das manchmal dazu führt, dass ich schon geschriebene Texte wieder verwerfe bzw. oft ganze Kapitel wieder aus dem Buch streiche. Nicht, weil sie schlecht sind. Sondern weil sich oft erst während der Arbeit am Buch herausstellt, welches Konzept am besten ist und manches dann einfach nicht mehr rein passt. Oder weil man bei der kompletten Lektüre des Manuskripts nach allen Korrekturen am Ende merkt, dass ein Abschnitt irgendwie nicht mehr ganz so gut hinein passt, wie man anfangs dachte und nun den Lesefluss stört. Das war bei einem Kapitel meines letzten Buchs der Fall. In “Die Neuentdeckung des Himmels” habe ich über die Erforschung extrasolarer Planeten und die Suche nach außerirdischem Leben geschrieben. Ursprünglich hatte ich darin auch ein Kapitel vorgesehen, in dem ich mich mit den “exotischen” Planeten beschäftige; also all denen, die ein wenig außergewöhnlich sind oder nur in der Theorie existieren.
Dieses Kapitel hat es nicht ins fertige Buch geschafft. Aber ihr könnt es trotzdem lesen, denn ich werde es heute und in den nächsten Tagen hier im Blog veröffentlichen. Viel Spaß damit!
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Doppelsonne und Wechselplaneten (Teil 1)
Seit wenigen Jahren wissen wir: Unsere Milchstraße ist voll mit Planeten. Hunderte Milliarden fremder Welten umkreisen hunderte Milliarden von Sternen und viele davon sind deutlich seltsamer als wir es von unserem eigenen Sonnensystem kennen. Weit draußen im All finden wir all dass, was wir bisher nur aus Science-Fiction-Filmen und Bücher kannten. Zum Beispiel Planeten, die von mehr als nur einer Sonne beleuchtet werden.
Die Doppelsonne ist ein klassisches Science-Fiction-Element. Immer dann wenn man Zusehern oder Lesern deutlich machen möchte, dass man sich definitiv nicht mehr auf der Erde befindet, sondern auf einer fremden Welte, dann setzen Regisseure und Autoren mehrere Sonnen an den Himmel. Mittlerweile wissen wir aber, dass es Planeten mit so einem Anblick tatsächlich gibt.
Unsere Sonne ist ein Einzelstern und damit eigentlich eine Ausnahme in der Milchstraße. Knapp zwei Drittel aller Sterne gehören zu einem Doppel- oder Mehrfachsternsystem. Das liegt an der Art und Weise wie Sterne entstehen. Die großen interstellaren Gaswolken, aus denen sie sich bilden, bieten meistens ausreichend Material für mehr als nur einen Stern. Wenn so eine Wolke kollabiert und sich das Gas zusammenballt, dann hat man Ende meistens eine ganze Gruppe junger Sterne, die sich gegenseitig durch ihre Gravitationskraft beeinflussen. Je nachdem wie nahe bei einander sie entstanden sind, können sich zwei Sterne dann auch umkreisen.
Sirius, der hellste Stern an unserem Nachthimmel, heißt eigentlich „Sirius A“. Denn es gibt auch noch seinen Begleiter „Sirius B“, dessen Entdeckung durch Friedrich Wilhelm Bessel schon in Kapitel 1 beschrieben wurde. Dieser zweite Stern ist 20 Astronomische Einheiten von Sirius A entfernt, also ungefähr so weit wie Uranus von der Sonne. Sirius A und Sirius B umkreisen einander und bilden ein Doppelsternsystem. Auch unser Nachbarstern Alpha Centauri besteht bei genauerer Betrachtung aus den beiden Sternen Alpha Centauri A und Alpha Centauri B die sich in einem Abstand von 24 Astronomischen Einheiten umkreisen. Eventuell ist sogar noch der kleine Stern Proxima Centauri Teil des Systems. Proxima ist knapp 15.000 Astronomische Einheiten von A und B entfernt und die bisherigen Beobachtungen deuten darauf hin, dass er beide Sterne in einem großen Bogen umkreist.
Der helle Stern Castor im Sternbild Zwilling ist in Wahrheit sogar ein System aus sechs einzelnen Sternen, die zu drei Paaren angeordnet sind. Castor Aa und Ab bilden ein sehr enges Doppelsternsystem, genauso wie Castor Ba und Castor Bb. Beide Doppelsterne umkreisen einander und werden ihrerseits von dem engen Doppelsternsystem bestehend aus Castor Ca und Castor Cb umkreist.
Sterne haben also gerne Gesellschaft und ein Einzelstern wie unsere Sonne ist im Universum eher die Ausnahme als die Regel. Aber vielleicht leben auch wir in einem Doppelsternsystem. In den 1980er Jahren behaupteten die beiden Paläontologen David Raup und John Sepkoski, dass die im Laufe der Erdgeschichte immer wieder auftretenden Massensterben einem gewissen Rhythmus folgen würden. Alle 26 Millionen Jahre schien irgendeine gewaltige Katastrophe stattzufinden, die einen Großteil des Lebens auf der Erde auslöschte. Der Astrophysiker Richard Muller stellte darauf die Hypothese auf, dass die Sonne in großer Entfernung von einem kleinen Stern umkreist wird, den er „Nemesis“ nannte. Alle 26 Millionen Jahre sollte Nemesis auf ihrem Weg um die Sonne den äußersten Bereichen unseres Sonnensystems sehr nahe kommen und dabei die Bahnen von Kometen und Asteroiden so verändern, dass sie am Ende auf der Erde landen und dort Katastrophen anrichten. Diese Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen ist nicht einfach, denn Nemesis wäre enorm weit weg; der Abstand zur Sonne würde fast 2 Lichtjahre betragen. Nemesis befände sich also auf halbem Weg zwischen Sonne und ihrem Nachbarstern Alpha Centauri und würde am Nachthimmel auch nicht anders aussehen als all die anderen Sterne. Nemesis wäre ein kleiner, schwacher Lichtpunkt unter vielen und ohne ausführliche Beobachtungen mit denen man die Entfernung aller Sterne am Himmel bestimmen kann, gäbe es keine Möglichkeit, den potentiellen Begleitstern der Sonne zu identifizieren. Solche umfangreichen Beobachtungen waren aber bis jetzt immer viel zu aufwendig und zu kompliziert. Erst die Raumsonde GAIA, die im Dezember 2013 gestartet ist wird den Himmel ausreichend genau kartografieren um Nemesis zu finden, sollte dieser Stern tatsächlich existieren.
Aber selbst wenn unsere Sonne doch kein Einzelkind ist sondern einen Begleitstern hat, ändert sich damit nichts am Anblick, den wir von der Erde aus haben. Wir können nur trotzdem nur eine Sonne zu sehen. Aber die Science-Fiction-Planeten mit der Doppelsonne am Himmel existieren tatsächlich. Dass es sie geben kann, war aber nicht immer klar. Es erscheint auf den ersten Blick ja auch tatsächlich ein wenig unwahrscheinlich. Wenn da zwei oder mehr riesige Sterne einander umkreisen: Wo soll da noch Platz für Planeten sein? Sind die gravitativen Störungen in einem Doppelsternsystem nicht viel zu groß und würde nicht jeder Planet sofort aus dem System geworfen? Diese Frage probierten Wissenschaftler schon zu beantworten, lange bevor überhaupt der erste extrasolare Planet entdeckt wurde.
Schon 1977 stellte der Amerikaner Robert Harrington Berechnungen an die zeigten, dass zumindest theoretisch stabile Planetenbahnen in Doppelsternsystemen existieren können. In den 1980er Jahren nutzte der österreichische Astronom Rudolf Dvorak Computersimulationen, um die Bahnen von Planeten in solchen Systemen detailliert untersuchen zu können. Er fand zwei Regionen, in denen kleine Himmelskörper trotz der gravitativen Störungen von zwei Sternen dauerhaft ihre Bahnen ziehen können. Ein Planet kann entweder außen um beide Sterne herum kreisen oder sich weiter innen nur um einen der beiden Sterne bewegen. Die erste Konstellation wird P-Typ („Planetarer Typ“) genannt, die zweite nennt man S-Typ („Satelliten-Typ“).
Beim P-Typ befindet sich der Planet weit von beiden Sternen entfernt. Aus seiner Sicht macht es keinen Unterschied, ob er nur einen oder mehrere Himmelskörper umkreist. Die Gravitationskraft, die auf ihn wirkt ist die gesamte Kraft beider Sterne und der Planet verhält sich so, als würde sich im Zentrum seiner Bahn nur ein einzelner Stern mit einer Masse befinden, die der Gesamtmasse beider Sterne entspricht. Ein Planet vom S-Typ dagegen ist einem Stern sehr nahe. Für ihn spielt die Gravitationskraft des anderen, weiter entfernten Sterns so gut wie keine Rolle und er umkreist seinen Stern so, als wäre es der einzige.
Nur dort, wo der Planet von beiden Sternen ungefähr gleich stark angezogen wird, kommt es zu Problemen. In diesem Bereich sind die Bahnen chaotisch und instabil und dort können Planeten nicht dauerhaft existieren. Auch Bahnen, die einen Planeten von einem Stern zum anderen Stern führen sind instabil. Ein Himmelskörper kann also zum Beispiel nicht dauerhaft der Form einer Acht folgend mal um den einen und dann um den anderen Stern kreisen. Stabile Bahnen gibt es nur, wenn sie von der Gravitationskraft eines Sterns dominiert werden und man den anderen vernachlässigen kann.
Es spricht also nichts dagegen, dass Planeten in Doppel- oder Mehrfachsternsystemen existieren und es ist daher auch nicht überraschend, dass man schon jede Menge von ihnen gefunden hat. Der Planet 55 Cancri b, der 1996 zu den ersten Entdeckungen überhaupt gehört, ist ein Planet vom S-Typ. Er umkreist zusammen mit vier anderen Planeten den Stern 55 Cancri A. Knapp 1000 Astronomische Einheiten von 55 Cancri A entfernt befindet sich aber noch der rote Zwergstern 55 Cancri B (der vermutlich selbst wiederum ein enges Doppelsternsystem ist). 55 Cancri B hat nur ein Zehntel der Masse von 55 Cancri A und aufgrund der großen Entfernung ist sein gravitativer Einfluss auf das Planetensystem vernachlässigbar gering.
Solche Systeme, in denen Planeten einen Stern umkreisen, der einen sehr weit entfernten Partnerstern hat, gibt es viele. Vermutlich deutlich mehr als wir bisher kennen, denn man macht sich nicht immer die Mühe und sucht bei den Sternen, die Planeten beherbergen nach eventuell vorhandenen Partnersternen. Aus astronomischer Sicht sind diese weiten Doppelsternsysteme auch nicht sonderlich interessant, denn die Planeten verhalten sich genau so, als würden sie einen Einzelstern umkreisen. Wesentlich spannender sind die engen Systeme. Zum Beispiel der Planet Gamma Cephei Ab. Er wurde schon 1988 von einem Team kanadischer Astronomen beobachtet; die Daten waren aber nicht ausreichend um seine Existenz zweifelsfrei zu belegen und erst 2002 konnte die Entdeckung offiziell bekannt gegeben werden.
Gamma Cephei A ist ein Stern der fast fünfmal so groß wie unsere Sonne ist und sein Partnerstern Gamma Cephei B ist nur 20 Astronomische Einheiten von ihm entfernt; also ungefähr so weit wie der Uranus von unserer Sonne. Der Planet quetscht sich zwischen die beiden Sterne und umkreist Gamma Cephei A in einem Abstand von 2 Astronomischen Einheiten. Hier spielt der Einfluss des nahen Partnersterns eine deutlich wichtigere Rolle als bei den weiten Doppelsternsystemen und es gibt nur wenige Bereiche in der Nähe von Gamma Cephei A, in denen sich Planeten auf stabilen Bahnen bewegen können. Neben dem schon bekannten Planeten ist dort nicht mehr allzu viel Platz und es ist nicht damit zu rechnen, dass sich dort ein großes Planetensystem mit vielen Himmelskörpern befindet, so wie bei 55 Cancri A.
Würde man sich auf der Oberfläche eines Planeten vom S-Typ aufhalten, würde der Himmel wahrscheinlich nicht viel anders aussehen als auch hier auf der Erde. Es gäbe eine helle Sonne am Tag und der zweite Stern des Systems würde nicht weiter auffallen. Je nach Konfiguration wäre er einfach nur ein mehr oder weniger heller Lichtpunkt am Nachthimmel. S-Typ-Planeten müssen sich weit genug entfernt vom Einfluss des zweiten Sterns befinden um eine stabile Bahn haben zu können und an ihrem Himmel ist daher nicht mit dem Anblick von Science-Fiction-Doppelsonnen zu rechnen.
Dazu braucht man einen P-Typ-Planeten – aber die waren schwer zu finden. Bis zum Jahr 2011 gab es kaum brauchbare Kandidaten. Man fand 2003 einen Planeten, der ein aus einem weißen Zwerg und einem Neutronenstern bestehendes Paar umkreiste und 2009 beziehungsweise 2010 Planeten, die sich um Paare aus einem Stern und einem weißen Zwerg bewegten. Aber Neutronensternen und weiße Zwerge sind keine echten Sterne mehr; es sind die Überreste die am Ende eines Sternenlebens übrige bleiben. Das heißt natürlich nicht, dass diese Objekte nicht interessant wären! Die 2010 entdeckten Planeten umkreist zum Beispiel das System NN Serpentis. Es besteht aus einem kleinen roten Zwergstern der in nur 600.000 Kilometer Entfernung von einem weißen Zwerg umkreist wird. Der war früher aber auch mal ein normaler Stern und bevor er ein weißer Zwerg wurde, musste er sich erst zu einem roten Riesen aufblähen. Dabei hat er den roten Zwergstern regelrecht verschluckt und der eine Stern bewegte sich eine Zeit lang in der Atmosphäre des anderen bevor der rote Riese schließlich zum weißen Zwerg schrumpfte. Die beiden Planeten die dieses seltsame Sternenpaar umkreisen haben sich vermutlich erst nach dem Tod des einen Sterns aus dessen Überresten gebildet; so wie man es auch bei den Pulsarplaneten vermutet.
Im September 2011 fand dann aber das Weltraumteleskop Kepler den ersten P-Typ-Planeten, der zwei normale Sterne umkreiste. Kepler-16A und Kepler-16B sind beide kleiner als unsere Sonne. A hat 70 Prozent der Sonnenmasse; B nur 20 Prozent. Mit einem Abstand von nur 0,22 Astronomischen Einheiten sind sich die beiden Sterne auch sehr nahe. Der Planet selbst ist nur 0,7 Astronomische Einheiten vom Doppelstern entfernt; also in etwa so weit wie die Venus von der Sonne. Von der Erde aus blicken wir genau auf die Kante des Planetensystems. Alle drei Himmelskörper bedecken einander gegenseitig und das macht die Lichtkurve, die das Kepler-Weltraumteleskop aufgenommen hat, sehr kompliziert. Stehen von uns aus gesehen beide Sterne und der Planet nebeneinander, dann erreicht uns das meiste Licht. Aber wenn der Planet an einem der beiden Sterne vorüber zieht, dann sinkt die Helligkeit ein klein wenig. Die Sterne selbst bewegen sich natürlich auch umeinander und wenn einer den anderen bedeckt ist der Helligkeitsabfall wesentlich stärker als bei einem planetaren Transit.
Die Bewegung der drei Himmelskörper macht die Lichtkurve zwar sehr kompliziert, aber auch sehr aussagekräftig. Aus den wechselseitigen Bedeckungen konnte man die Eigenschaften und Bahnen der Sterne und des Planeten sehr genau bestimmen. Damit war es möglich, am Computer die zukünftige Entwicklung des Systems zu simulieren und es zeigte sich, dass die Astronomen großes Glück gehabt haben. Durch die gegenseitigen gravitativen Störungen verändern sich die Bahnen im Laufe der Zeit; sie werden ein wenig größer beziehungsweise kleiner und sie wackeln ein wenig hin und her. Dadurch ändert sich auch unser Blickwinkel auf das System und von 2014 an ist es von der Erde aus nicht mehr möglich zu sehen, wie der Planet an Kepler-16B vorüber zieht. Von 2018 an gibt es auch keinen Transit bei Kepler-16A mehr zu sehen. Hätte das Kepler-Teleskop den Stern also nicht im Jahr 2011 beobachtet sondern 2019, hätte es keine Anzeichen für einen Planeten entdeckt.
Der P-Typ-Planet von Kepler-16 ist übrigens ein Gasriese von der Größe des Saturn. Er hat also keine feste Oberfläche, von der aus man die beiden Sonnen am Himmel beobachten könnte. Aber vielleicht wird er von einem Mond umkreist. Dort könnte man dann nicht nur zwei Sonnen sondern auch noch einen großen Planeten am Himmel sehen. Nimmt man die Himmelskörper in unserem Sonnensystem als Maßstab, dann wäre das auf keinen Fall unwahrscheinlich. Bis auf Merkur und Venus hat jeder Planet des Sonnensystems einen oder mehrere Monde. Es wäre äußerst seltsam, wenn die fremden Welten nicht ebenso üppig mit Monden ausgestattet sind wie die Planeten bei uns zuhause. Wenn es extrasolare Planeten gibt, dann muss es auch extrasolare Monde geben. Sie werden bei der Entstehung eines Sonnensystems zwangsläufig mitproduziert.
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Weiter geht es dann morgen in Teil 2.
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