Eine andere Sache wäre es, wenn die Daten überhaupt nicht veröffentlicht würden. Das wäre zu Recht zu kritisieren. Aber das ist nicht der Fall. Es gibt nur eine gewisse Periode, in der außer den Projekt-Mitarbeitern niemand auf die Daten zugreifen darf. Danach werden sie dem Rest der Welt zur Verfügung gestellt und wer damit arbeiten möchte, kann das tun. Es ist auch schwierig, nur die Veröffentlichung von Daten “ohne hohen wissenschaftlichen Wert” zu fordern, wie das im offenen Brief getan wurde. Wer kann schon spontan entscheiden, wo der wissenschaftliche Wert liegt? Dazu braucht es erst einmal Zeit, die Daten zu analysieren und die muss man den Wissenschaftlern zugestehen.
Ich verstehe vollkommen den Wunsch, möglichst schnell und möglichst umfassend über die Ergebnisse von faszinierenden Missionen wie Rosetta informiert zu werden! Ich verstehe, dass Wissenschaftsjournalisten so schnell wie möglich Zugriff auf die Daten haben wollen und Raumfahrt-Fans so schnell wie möglich tolle Bilder sehen wollen. Ich selbst bin genau so begeistert von dem, was die Raumsonde macht und genau so gespannt auf das was sie entdecken wird, wie alle anderen. Aber bei all der Faszination dürfen wir nicht vergessen, dass diese Daten eben nicht nur für die Faszination der Öffentlichkeit gesammelt werden, sondern um Wissenschaft zu betreiben. Und wenn man den Astronomen die Möglichkeit nimmt, von ihren eigenen Investitionen wissenschaftlich zu profitieren, werden sie irgendwann auch nichts mehr investieren. Welche Doktorandin setzt sich monate- oder jahrelang an den Schreibtisch um ein komplexes Programm zur Datenauswertung und Bildbearbeitung für eines der Rosetta-Instrumente zu schreiben, wenn sie danach damit rechnen muss, dass die Daten sofort öffentlich gemacht werden? Wenn dann eine andere Arbeitsgruppe damit die wissenschaftlichen Ergebnisse produziert, mit der sie eigentlich ihre Doktorarbeit abschließen wollte?
Es kann ja auch niemand einfach so in ein Labor auf der Erde spazieren und den Leuten dort in “Echtzeit” bei der Arbeit und Datenproduktion über die Schulter schauen. Es wäre absurd, wenn Mitglieder der einen Arbeitsgruppe einfach in die Büros der anderen Arbeitsgruppe kommen dürften um sich dort deren aktuelle Messergebnisse zu besorgen und für die eigene wissenschaftliche Arbeit zu verwenden (ich habe über dieses Problem schon früher geschrieben). Natürlich sollte am Ende maximal mögliche Transparenz stehen. Ergebnisse und Daten müssen publiziert werden; Methoden müssen veröffentlicht oder zumindest ausreichend erklärt werden. Und die Veröffentlichungen sollen gefälligst für alle frei zugänglich und nicht nur in kostenpflichtigen Zeitschriften verfügbar sein! Aber es gibt meiner Meinung nach keinen Grund, warum wissenschaftliche Daten SOFORT und in ECHTZEIT veröffentlicht werden müssen.
Es wäre schön, wenn wir dauerhaft Live-Bilder von Rosetta sehen könnten. Bei manchen Missionen wie zum Beispiel dem Sonnenobservatorium SOHO ist das sogar möglich. Aber es geht eben nicht immer. Und gerade bei Rosetta gibt sich die ESA ja auch besonders viel Mühe was die Öffentlichkeitsarbeit angeht (siehe zum Beispiel die Aktion “Wake Up, Rosetta” oder die aktuelle Aktion “Are we there yet?”). Man kann bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeitsarbeit immer etwas kritisieren; die Zusammenarbeit der vielen europäischen Länder und Teams funktioniert nicht immer so, wie sie funktionieren sollte. Aber dass die Wissenschaftler zuerst ihre Daten analysieren wollen, bevor sie publiziert werden, ist meiner Meinung nach normal, verständlich und auch gut so.
Die Rosetta-Mission gehört zu den faszinierendsten Weltraumprojekten der letzten Jahrzehnte. Wir alle sind zu Recht begeistert von den tollen Bildern, die uns die Raumsonde liefert und wir werden noch viel begeisterter sein, wenn Rosetta am 6. August in eine Umlaufbahn um den Kometen schwenkt oder im November die Landeeinheit Philae dort absetzt. Und wir werden bei diesen spektakulären Ereignissen auch live zusehen können. Dass wir in der Zwischenzeit nicht alle von der Sonde aufgenommenen Bilder sofort sehen können, sondern den Wissenschaftlern den ersten Blick auf ihre Daten überlassen, sollte kein großer Skandal sein. Die Bilder werden ja veröffentlicht. Im Rosetta-Blog, auf Rosettas Twitter-Account, bei Facebook oder YouTube erhalten wir ständig Neuigkeiten über die Aktivitäten der ESA (und viele Forschungseinrichtungen könnten sich an diesem Engagement in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ein Beispiel nehmen!). Man kann der Europäischen Weltraumagentur nicht vorwerfen, dass sie die an Raumfahrt und Wissenschaft interessierten Menschen vernachlässigt. Man darf ihr aber auch nicht vorwerfen, dass sie es ihren Wissenschaftlern ermöglicht, ihre wissenschaftliche Arbeit zu erledigen. Denn ohne sie würden wir überhaupt nichts zu sehen bekommen…
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