In der Juli-Ausgabe des empfehlenswerten Jodcast wurde über das National Astronomy Meeting der britischen Astronomen berichtet. Neben jeder Menge rein astrophysikalischer Forschung habe ich dort auch von einem Projekt gehört, dass sich an der Grenze zwischen Wissenschaft, Geschichte, Philosophie und Kunst bewegt und das sich gut dazu eignet, an einem Sonntagnachmittag wie heute darüber nachzudenken: Die Kosmologie des Theologen Robert Grosseteste.
Grosseteste lebte im 13. Jahrhundert und war nicht nur der Bischof von Lincoln, sondern auch ein Philosoph, der sich über viele Dinge Gedanken machte. Zu seinen Hauptwerken gehört die Schrift “De Luce”, die sich mit der Metaphysik des Lichts beschäftigt und einige der ersten konkreten kosmologischen Gedanken der westlichen Welt enthält.
Normalerweise beschränkte man sich im Mittelalter ja darauf festzustellen, dass die Erde das Zentrum des Universums sei und umgeben von verschiedenen Kristallsphären, an denen sich die Planeten und die Sterne befinden. So hatte es schon Aristoteles verkündet und was “die Alten” sagten, war korrekt. Die “Wissenschaft” bestand nicht darin, irgendwelche neuen Dinge herauszufinden, weil man davon überzeugt war, dass die Alten sowieso schon alles gewusst hatten, was es zu wissen gibt und die einzige Aufgabe darin besteht, dieses Wissen in den alten Schriften wiederzufinden.
Genau so beschäftigte man sich eher wenig mit der Entstehung der Welt sondern mehr mit ihrer Beschreibung. Die Welt war von Gott geschaffen und wenn der Kristallsphären wollte, dann gab es eben Kristallsphären. Grosseteste aber hat sich ein bisschen mehr Mühe gegeben und probiert sich vorzustellen, wie all diese Sphären entstehen konnte. Sein Ursprung der Welt war eine große Explosion aus Licht, das sich ausbreitet und aus dem dann Materie quasi auskristalliert. Licht und Materie sind gekoppelt und wenn das Licht sich von seinem Ursprung ausbreitet, wird die Materie immer weiter verdünnt. Das führt zu einer natürlichen Grenze, die das Licht bei seiner Ausbreitung nicht überschreiten kann. Denn in der Welt von Grosseteste durfte es kein Vakuum geben, das war in der damaligen Philosophie nicht vorgesehen. Wenn Licht und Materie also bis zu einer bestimmten Grenze ausgedünnt waren, ging es nicht mehr weiter mit der Expansion. So entstand die äußere Grenze des Universums, an der Licht und Materie den laut Grosseteste “perfekten” Zustand erreicht haben und die erste Kristallsphäre bildeten.
Diese Kristallsphäre strahlt nun selbst wieder Licht aus, nach innen zurück zum Ursprung des Universums. Und auch dieses Licht untergeht Wechselwirkungen mit der Materie, im Zuge deren weitere Kristallsphären entstehen. Irgendwann bleibt nicht mehr genug übrig, um eine “perfekte” Sphäre zu produzieren und man erhält in der Mitte die imperfekte Materie der Erde. Durch diese Wechselwirkung von Licht und Materie konnte Grosseteste das damalige kosmologische Bild der ineinander verschachtelten Kristallsphären erklären. Natürlich war es keine wissenschaftliche Arbeit im heutigen Sinn, sondern eine philosophisch-religiöse Abhandlung. Ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam um Richard Bower von der Universität Durham hat sich aber überlegt, wie Grossetestes Arbeit aussehen würde, wenn man sie auf moderne wissenschaftliche Weise formulieren würde (“A Medieval Multiverse: Mathematical Modelling of the 13th Century Universe of Robert Grosseteste”).
Dazu haben sie zuerst den Text aus dem Lateinischen ins Englische übersetzt und dann versucht seine Kosmologie in ein mathematisches Modell zu übersetzen. Sie haben Feldgleichungen aufgestellt, die die Interaktion zwischen Licht und Materie beschreiben und die Gleichung zusammen mit Grenzwerten aus Grossetestes Text am Computer simuliert. Dabei haben sie festgestellt, dass die mittelalterliche Kosmologie das gleiche Problem hat, das auch in der modernen Kosmologie auftaucht: Wie sich das Universum entwickelt hängt enorm stark von den Anfangsbedingungen bzw. der “Feineinstellung” der Parameter ab. In ihren Simulationen konnten sie jede Menge “falsche” Universen beobachten, wo sich zum Beispiel einzelne Kristallsphären durchdringen. Aber – bei der richtigen Wahl der Parameter – auch Universen, die dem damaligen Weltbild entsprachen. Diese stabilen Universen waren aber recht selten. So wie in der modernen Kosmologie muss man also auch in Grossetestes Universum von weiteren und noch unbekannten physikalischen Gesetzen ausgehen, die erklären, warum gerade eine bestimmte Wahl der Parameter realisiert ist und noch dazu genau die Wahl, die zu einer der wenigen “freundlichen” Universen führt.
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