Ein beeindruckende Meldung wird derzeit durch das Internet gereicht (momentan noch hauptsächlich im englischsprachigen Raum): Die NASA hat einen neuen Antrieb für Raumfahrzeuge entwickelt. Er braucht keinen Treibstoff, funktioniert nach irgendwelchen komischen Quantenprinzipien, verletzt die bekannten Naturgesetze, aber funktioniert! Dazu gibt es in den Artikel auch gleich Bilder futuristischer Raumfahrzeuge und den Hinweis, man könne jetzt vielleicht bald in ein paar Wochen zum Mars fliegen und bräuchte auch nur noch ein paar Jahrzehnte zum nächsten Stern. So ein “Science-Fiction”-Antrieb wäre natürlich eine tolle Sache. Das, was die Raumfahrt so schwierig macht, sind ja vor allem zwei Dinge: Die großen Distanzen im All und die hohen Kosten die anfallen, wenn man ausreichend Treibstoff von der Erde in den Weltraum befördern will, um diese Distanzen zu überbrücken. Ein neues Antriebskonzept, das keinen Treibstoff mehr braucht wäre da natürlich super. Aber ist das der NASA wirklich gelungen?
Was die NASA definitiv nicht gebaut hat, ist ein neuer Antrieb. Es gibt kein neues Raumschiff; nicht einmal irgendein Testmodell oder sonst irgendwas in der Art. Es gibt allerdings tatsächlich einen kurzen Bericht, der anlässlich einer Konferenz über Antriebssysteme kürzlich veröffentlicht wurde. Er trägt den Titel “Anomalous Thrust Production from an RF Test Device Measured on a Low-Thrust Torsion Pendulum” und beschäftigt sich mit einem Konzept, das ursprünglich auf den sogenannten EmDrive zurück geht. So hat der britische Ingenieur Roger J. Shawyer ein von ihm entwickeltes Gerät genannt, das ohne Treibstoff eine Antriebskraft erzeugen soll. Vereinfacht gesagt geht es dabei um einen Hohlraum, in dessen Innerem Mikrowellen hin und her reflektiert werden. Durch eine nicht näher spezifizierte Wechselwirkung mit Quantenfluktuationen und virtuellen Teilchen soll eine Kraft entstehen.
Das klingt schon mal ein klein wenig seltsam und auch die restlichen Umstände, die diese Geschichte umgeben sind nicht unbedingt geeignet, um Vertrauen zu erwecken. Shawyer wurde zum Beispiel (und durchaus zu Recht) dafür kritisiert, dass er seine Arbeit nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht hatte. Woraufhin er sie im “New Scientist” publizierte, einer Zeitschrift die zwar über Wissenschaft berichtet, aber keine Fachzeitschrift ist, in der Wissenschaftler die Beiträge vorab prüfen. Und eine nachträgliche Prüfung brachte einige Fehler in Shawyers Arbeit zu Tage (was Shawyer natürlich ganz anders sah).
Dann aber gab es Experimente chinesischer Wissenschaftler, die behaupteten, den EmDrive getestet und dabei tatsächlich eine Antriebskraft gemessen zu haben. Auch diese Ergebnisse wurden angezweifelt. Und das ist kein Wunder: Einerseits war der Effekt nur sehr klein und andererseits würde er dem, was man bisher über die Physik weiß, widersprechen. Eine Antriebskraft ohne den Einsatz von Treibstoff auf die Art wie sie vom EmDrive erzeugt werden soll, wäre ein Widerspruch zur Impulserhaltung und dieser Erhaltungssatz gehört zu den am besten geprüften und bestätigten Konzepten der Physik.
Nun haben auch die oben schon angesprochenen Wissenschaftler der NASA den Effekt im Labor geprüft. Sie fanden ebenfalls eine Kraft, die aber viel kleiner war als im chinesischen Experiment. Sie haben auch eine zweite Variante so eines treibstofflosen Antriebs geprüft, den “Q-Drive” der Firma Cannae, der ebenfalls nach Prinzipien arbeiten soll, die mit derzeitigen wissenschaftlichen Theorien nicht zusammenpassen (und das die Homepage der privaten Firma die den Antrieb verkaufen will nicht zu erreichen ist, macht die Sache nicht vertrauenswürdiger).
In ihrem Artikel (zumindest dem, der allgemein zugänglich ist) sind die NASA-Techniker auch nicht sehr ausführlich. Sie sprechen von verschiedenen Test die sie gemacht haben, um zu verifizieren, dass kein anderer Effekt für das Messergebnis verantwortlich ist. Und kommen am Ende zu dem Schluss:
“Test results indicate that the RF resonant cavity thruster design, which is unique as an electric propulsion device, is producing a force that is not attributable to any classical electromagnetic phenomenon and therefore is potentially demonstrating an interaction with the quantum vacuum virtual plasma.”
Laut den Aussagen der Forscher lässt sich die gemessene Kraft durch keine klassischen elektromagnetischen Phänomenen erklären und demonstriere daher möglicherweise eine “Interaktion mit dem virtuellen Quantenplasma”. Auf eine genauere Erklärung lassen sie sich aber auch nicht ein und beschränken sich auf die reinen Messungen ohne den Versuch, sie irgendwie physikalisch zu begründen.
Das ist auch durchaus in Ordnung. Wenn ein Effekt vorhanden ist, dann spielt die Erklärung erst mal keine Rolle. Wenn die treibstofflose Antriebskraft existiert, dann werden die Theoretiker eben eine neue Erklärung finden müssen. Wenn… Denn die Autoren schreiben im letzten auch noch:
“Future test plans include independent verification and validation at other test facilities.”
Die Sache ist immer noch zu konfus und zu wenig eindeutig, um irgendeine Aussage machen zu können. Der Effekt muss unabhängig und deutlich bestätigt werden, bevor man sich Gedanken um irgendwelche Widersprüche zu bekannten Naturgesetzen machen kann. Bis jetzt ist das alles noch zu wenig.
Ich persönlich finde zum Beispiel folgenden Hinweis in der kurzen Version des Artikels ein wenig irritierend:
“Thrust was observed on both test articles, even though one of the test articles was designed with the expectation that it would not produce thrust.”
Die NASA-Forscher haben also ein Antriebsgerät nach den Spezifikationen von Cannae gebaut und bei einem zweiten die Konstruktion so verändert, dass es – zumindest laut Cannae – nicht funktionieren sollte. Gemessen wurde der Effekt trotzdem bei beiden. Die NASA-Leute führen das auf eine fehlerhafte Erklärung des Effekts durch Cannae zurück: Das Gerät könne nicht nach den theoretischen Grundlagen funktionieren, wie Cannae sich das dachte. Es müsse irgendein anderes Phänomen geben, die auf beide Geräte wirkt. Für mich dagegen sieht das eher so aus, als wäre da irgendwas im Setup der Experimente nicht so, wie es sein soll, weswegen man immer einen Effekt ist, egal ob man das “richtige” oder “falsche” Gerät benutzt.
Es scheint mir ein wenig so zu sein wie damals bei den überlichtschnellen Neutrinos. Da hatten Wissenschaftler am CERN ebenfalls sehr spektakuläre Ergebnisse gemessen die den Naturgesetzen zu widersprechen schienen. Aber die Daten schienen eben auch sehr robust zu sein und man begann schon über diverse Neuformulierungen der entsprechenden Theorien zu spekulieren. Aber kein anderes Experiment konnte die CERN-Ergebnisse reproduzieren und am Ende stellte sich nach langer Prüfung heraus das ein kaputtes Kabel für die spektakulären Ergebnisse verantwortlich war. Und obwohl viele Wissenschaftler vorher lange über das Problem nachgedacht und die Experimente geprüft hatten, hatten sie diesen speziellen Fehler eben doch übersehen. Sowas kommt vor…
Und es würde mich nicht überraschen, wenn das hier auch passiert ist. Der gemessene Effekt ist klein, noch nicht reproduziert und widersprecht dem, was wir schon seit langer Zeit und sehr gut wissen. Das ist keine gute Ausgangslage. Sollte der Effekt wieder Erwarten doch stabil reproduziert werden können, wird es aber natürlich interessant. Dann werden wir nicht nur eine neue Möglichkeit des Antriebs im Weltraum zur Verfügung haben (obwohl es dann trotzdem noch SEHR lange dauern wird, bis aus diesem Laborexperiment ein funktionierendes Raumschiff wird). Wir werden vor allem auch einen experimentellen Hinweis auf eine neue Physik haben! Und genau das ist es ja, was alle Wissenschaftler bei ihren Experimenten gerne finden wollen: Etwas, was man mit dem das man schon kennt nicht erklären kann. Etwas, zu dessen Erklärung völlig neue Gedanken nötig sind. Etwas, dass uns am Ende ein komplett neues Stück des Universums zeigen kann. Normalerweise rechnet man Entdeckungen dieser Art eher an den großen Teilchenbeschleunigern. Aber es spricht nichts dagegen, dass sie auch im Labor einiger NASA-Ingenieure stattfinden können. Derzeit spricht allerdings auch nicht allzu viel dafür, das diese Entdeckung tatsächlich stattgefunden hat.
Die Geschichte des “neuen NASA-Antriebs” ist spannend und man sollte die Angelegenheit definitiv weiter verfolgen. Aber ein Hype und die Hoffnung auf bald verfügbare Science-Fiction-Raumschiffe ist trotzdem nicht angebracht…
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