“Der Klimawandel ist doch völlig normal. Früher hat sich das Klima noch viel stärker geändert!” lautet eine oft gehörte Replik, wenn vor den Gefahren des aktuellen Klimawandels gewarnt wird. Und es stimmt auch: Das Klima der Erde ist ständig in Veränderung begriffen. Klimawandel ist tatsächlich normal. Aber aus dieser Tatsache folgt nicht, dass jeder Klimawandel natürliche Ursachen haben muss. Aus der Existenz vergangener Klimaänderungen folgt vor allem nicht, dass der aktuelle Klimawandel nicht vom Menschen verursacht worden ist und es folgt daraus schon gar nicht, dass uns ein verändertes Klima nicht schaden kann. Es folgt daraus allerdings, dass es sich lohnt, das Erdklima der Vergangenheit zu erforschen, wenn man wissen will, was die Zukunft bringen kann.
Bis zu einer Million Jahre kann man das Klima der Vergangenheit im Eis der Polarregionen zurück verfolgen, erklärt mir Dr. Lester Lembke-Jene vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Eingeschlossen im gefrorenen Wasser ist die Atmosphäre früherer Zeiten, aus der sich ablesen lässt, welches Klima damals geherrscht haben muss. Wenn wir wissen wollen, wo die Reise in Zukunft hingeht, wenn wir so weiter machen wie bisher, dann können wir das im Eis der Vergangenheit ablesen.
“Wir wollen das System Ozean in seiner natürlichen Variabilität erfassen”, sagt Lembke-Jene. Das dient nicht nur zur Grundlagenforschung, sondern auch, um eben diese natürliche mittel- bzw. langfristige Variabilität vom menschengemachten Einfluss trennen zu können. Die paläoklimatische Forschung zeigt uns, wozu das Klima und das gesamte Ökosystem fähig ist, wenn keine Menschen beteiligt waren. Und je besser man das versteht, desto besser kann man auch verstehen, wie groß unser Einfluss tatsächlich ist.
Und man kann sehen, zu was das gesamte System prinzipiell fähig ist. Und gibt es durchaus Überraschung. Vor knapp 10 Jahren hat man herausgefunden, dass im Pliozän, vor knapp 2,5 Millionen Jahren der komplette westantarktische Eisschild abgeschmolzen ist. Auch damals änderte sich das Klima sehr rasch und die großen Gletscher des südlichsten Kontinents tauten auf. “Es war einer der Paradigmenwechsel in der glaziologischen Forschung”, erklärt Lembke-Jene. Bisher ging man davon aus, dass die Antarktis im wesentlichen immer gefroren bleiben würde. Dort ist es so kalt, dass es auf ein paar Grad mehr oder weniger nicht ankommt. Aber das war offensichtlich falsch. Durch die Veränderungen der Erdbahn ändert sich im Laufe der Jahrzehntausende die Intensität der Sonneneinstrahlung und das kann zu (geologisch gesehen) schnellen Klimaänderungen führen. Wie die Bohrkerne aus der Antarktis eindrucksvoll belegen: Die Küstengletscher in der Antarktis können sehr schnell kollabieren und auch jetzt beobachtet man dort äußerst schnelle Abflussraten. Es reicht offensichtlich, einen bestimmten Schwellenwert der Temperatur zu überschreiten, um eine schlagartige Enteisung hervorzurufen. Damals gab es einen Anstieg des Meeresspiegels von zwei bis sechs Metern. Und sollte die Vergangenheit ein Maßstab für die Zukunft sein, dann könnte das größere Probleme schaffen… Wie schnell die antarktisches Gletscher damals verschwunden sind, lässt sich mit den bisher vorliegenden Daten nicht sagen. 50 Jahre, 100 Jahre oder 1000 Jahre – alles ist möglich. “Aber da wir es nicht wissen, ist das ein großer Unsicherheitsfaktor”, sagt Lembke-Jene und wenn wir ihn eliminieren wollen, brauchen wir mehr Daten.
Es lohnt sich also, das Klima der Vergangenheit zu untersuchen. Je genauer, desto besser. Dazu braucht es möglichst viel altes Eis und das wird beim AWI im Eislabor gelagert und untersucht. Und wie der Name vermuten lässt, ist es dort eiskalt. Man könnte ja auf die Idee kommen, das Eis irgendwo im Eis zu lagern, also auf Grönland oder Spitzbergen (wo im “Global Seed Vault” ja auch eine Saatgutdatenbank eingerichtet worden ist) wo es von Natur aus kalt ist und man keinen Strom zum kühlen braucht. Aber das mit der Temperatur ist eben das Problem: Der Permafrostboden in den Polarregionen taut ebenfalls langsam auf und es ist zweifelhaft wie lange es dort noch kühl genug ist. Außerdem will man mit dem Eis ja auch arbeiten und das ist im Labor vor Ort wesentlich einfacher. Bis jetzt ist in den Archiven der Wissenschaftler jedenfalls noch kein Eiskern aus Versehen weggetaut, versichert Lester Lembke-Jene, bevor wir den -20 Grad kalten Kühlraum betreten. Die Wissenschaftler dort müssen dick vermummt an ihren Proben arbeiten (die bei noch kälteren -60 Grad gelagert werden) und in unserer sommerlichen Kleidung halten wir es darin aber nicht lange aus und wechseln nach nebenan, wo die restlichen Kerne bei etwas wärmeren Temperaturen gelagert werden.
Denn nicht nur im Eis stecken Informationen über die Vergangenheit. Die Forscher bohren auch in den Meeresboden und holen Kerne aus Sediment und Gestein heraus. Aus den darin befindlichen geologischen Spuren und den Fossilien lässt sich ebenfalls viel über das vergangene Klima lernen. Sogar Stalagmiten aus Höhlen werden benutzt, um die Vergangenheit zu erforschen. Alle diese Archive müssen aufeinander abgestimmt und gemeinsam datiert werden, um am Ende ein verlässliches Bild des Paläoklimas zu bekommen.
Fest steht auf jeden Fall: Das Klima hat sich immer schon geändert. Die Erde hat kein “Normklima”; normal ist nur der Wandel selbst. Aber “normal” sind auch Erdbeben, Waldbrände und Asteroideneinschläge. Unser Planet ist eben nun mal kein gottgeschaffenes Paradies für uns Menschen. Er ist ein gefährlicher Ort und ob die Gefahr “natürlich” ist oder von uns Menschen gemacht wurde, spielt am Ende keine Rolle.
Denn fest steht auch: Das Klima ändert sich zur Zeit wieder und diesmal sind wir Menschen mit dafür verantwortlich. Wenn wir herausfinden wollen, was uns bevor steht, müssen wir die Vergangenheit so gut verstehen, wie es uns möglich ist. Dann haben wir die Gefahren vielleicht nicht verhindert – aber können uns vielleicht entsprechend darauf vorbereiten…
Alle Artikel aus meiner Serie zum Klimawandel gibt es hier.
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