Der Sternhaufen der Plejaden gehört zu den schönsten Anblicken am Nachthimmel. Das “Siebengestirn”, dass tatsächlich aber aus etwa 1000 Sternen besteht, hat in der Vergangenheit nicht nur jede Menge Mythen inspiriert, sondern ist auch aus wissenschaftlicher Sicht äußerst interessant. Die Sterne des Haufens sind alle noch recht jung und erst ungefähr 100 Millionen Jahre alt. Wenn man untersuchen will, wie Sterne entstehen und sich entwickeln, dann sind die Plejaden dafür ein ziemlich guter Ort. Denn der Haufen ist vergleichsweise nahe an der Erde. Aber das ist genau das große Problem: Man weiß nicht, wie weit die Plejaden tatsächlich entfernt sind.
Es gibt viele Methoden, um die Entfernung von Himmelskörpern zu bestimmen (ich habe das hier genauer erklärt). Manche davon funktionieren indirekt; manche sind aber auch direkte Messungen. Im Idealfall sollten die Ergebnisse aller Methoden aber ungefähr übereinstimmen und das ist normalerweise auch so. Nur bei den Plejaden nicht…
Dieses Diagramm zeigt eine Übersicht über die bisherigen Entfernungsmessungen:
Man sieht die verschiedenen Methoden und die damit gewonnenen Ergebnisse; inklusive Fehlergrenzen. Im großen und ganzen passt das alles recht gut zusammen und ergibt eine Entfernung von etwa 136 Parsec (444 Lichtjahre). Wenn da nicht die Entfernungsmessung des Hipparcos-Satelliten wäre… Dessen in blau eingezeichneten Messungen liegen deutlich außerhalb dieses Bereichs und geben eine Entfernung von etwa 120 Parsec an und auch innerhalb der Fehlergrenzen gibt es keine Übereinstimmung mit den anderen Daten.
Hipparcos war jetzt aber nicht einfach nur irgendein Satellit. Es war die bis jetzt genaueste, umfassendste und größte Sternvermessung aller Zeiten (ich habe ihre Geschichte hier erzählt). Der Satellit hat die Positionen von knapp einer Million Sterne gemessen und daraus ihre Entfernungen bestimmt. Das geschah mit Hilfe der Parallaxen-Methode: Wenn sich die Erde im Laufe eines Jahres um die Sonne bewegt, blickt sie von unterschiedlichen Positionen aus unterschiedlichen Winkeln auf die fernen Sterne. Die scheinen sich dann vor den Hintergrundsternen leicht zu verschieben und je näher sie sind, desto größer ist die Verschiebung. Mit der Messung der Parallaxe kann man die Entfernung direkt und sehr genau messen.
Trotzdem passte der Abstand der Plejaden nicht zu den anderen Messungen. Und das war nicht nur an sich recht ärgerlich. Vom Abstand hängt in der Astronomie quasi alles ab: Wenn wir mehr über die Eigenschaften eines Sterns erfahren wollen; wissen wollen, wie alt er ist; wie hell er leuchtet; wie er zusammengesetzt ist; wie heiß er ist; kurz gesagt: Wenn wir wissen wollen, wie ein Stern funktioniert, dann müssen wir zuerst wissen, wie weit er weg ist. Nur dann können wir seine Helligkeit korrekt interpretieren und daraus die restlichen Informationen ableiten.
Wären die Hipparcos-Messungen tatsächlich korrekt, dann passen sie nicht zu den Vorstellungen, die wir bis jetzt über die Entstehung und Entwicklung von jungen Sternen haben. Die Sterne der Plejaden müssten dann zum Beispiel aus wesentlich mehr Helium bestehen, als normalerweise üblich ist (bis zu 40 Prozent mehr!). Und es wäre vielleicht sogar nötig, komplett neue physikalische Vorgänge zu postulieren, um erklären, warum die Sterne so aussehen, wie sie aussehen, wenn sie nur 120 Parsec entfernt sind.
Wären die Plejaden dagegen 136 Parsec weit weg, wie es die anderen Messungen nahe legen, dann müsste man nicht auf exotische Erklärungen und unbekannte Physik zurück greifen. Dann würde sich die Sterne wunderbar in das bestehende Wissen einfügen. Es ist natürlich prinzipiell möglich, dass wir bei den Plejaden etwas entdeckt haben, zu dessen Beschreibung man völlig neue Theorien braucht (es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Wissenschaft…). Aber es ist angesichts der vielen anderen Messungen doch ein wenig unwahrscheinlich.
Um den Streit aufzulösen, haben Forscher um Carl Melis von der University California komplett neue Messungen gemacht und dazu das VLBA benutzt, das Very Large Baseline Array; eine Gruppe von Radioteleskopen die sich zu einem Riesenteleskop kombinieren lassen (“A VLBI Resolution of the Pleiades Distance Controversy”). Neben dem VLBA kamen auch noch andere Teleskope überall auf der Welt zum Einsatz (unter anderem das Radioteleskop Effelsberg in Deutschland). All diese Geräte wurden zusammengeschaltet um möglichst genaue Ergebnisse zu bekommen. Gearbeitet wurde auch hier mit der Parallaxen-Methode, denn man kann die Sterne und ihre Bewegung ja auch im Radiolicht beobachten. Zusätzlich kann man mit diesen Teleskopen aber auch ferne Galaxien anpeilen und sie als Referenz für die parallaktische Bewegung und die Entfernungsmessung benutzen.
Genau das haben Melis und seine Kollegen getan und ihre Ergebnisse sind ziemlich klar. Die Entfernung zu den Plejaden beträgt 136,2 Parsec (plus/minus 1,2 Parsec). Das passt (siehe auch das Diagramm oben) gut zu den restlichen Messungen und bestätigt diese. Die Hipparcos-Messungen scheinen dagegen tatsächlich falsch zu sein. So oder so ist die Sache ein wenig beunruhigend. Hipparcos war eine sehr gründlich und genau durchgeführte Mission die mit ihren Ergebnissen wichtige neue Erkenntnisse geliefert hat. Es ist überraschend, dass man dabei so einen großen Fehler gemacht haben soll und einige der Hipparcos-Mitarbeiter sind auch weiterhin davon überzeugt, dass ihr Satellit alles richtig gemacht hat und führen den Unterschied in den Messungen tatsächlich auf ein noch nicht ganz korrektes Verständnis der Vorgänge im Inneren der Sterne zurück. Die Mehrheit der Forscher geht aber davon aus, dass Hipparcos in diesem Fall falsch gemessen hat.
Und das könnte auch in der Zukunft Probleme schaffen. Denn bis jetzt weiß niemand, warum Hipparcos diesen Fehler gemacht hat. Und demnächst wird GAIA mit seinen Messungen beginnen; das Nachfolge-Teleskop von Hipparcos. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber wenn man den Fehler bei Hipparcos nicht erkannt hat, dann könnte er bei GAIA ebenso auftreten. Vielleicht aber auch nicht – das weiß eben zur Zeit niemand.
GAIA und Hipparcos benutzen zwar beide die Parallaxen-Methode. Aber GAIA kann, so wie auch Melis und seine VLBA-Messungen, ferne Galaxien als Referenz für die Entfernungsbestimmung benutzen während Hipparcos das nicht konnte. Vielleicht stammt der Fehler aus dieser Quelle und tritt bei GAIA nicht auf. Die Wissenschaftler werden wohl ganz genau hinsehen, wenn GAIA die ersten Resultate liefert und sie mit Radiomessungen von der Erde aus überprüfen müssen…
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