Die anfängliche Abhängigkeit der Beamten vom Monarchen entwickelte sich rasch zu einem eher unabhängigen Staatsapparat. Diese Entwicklung war unter anderem der Tatsache geschuldet, daß für die anwachsenden Verwaltungs- und Ordnungsaufgaben auch immer besser geschultes Personal benötigt wurde. Der Monarch geriet gegenüber “seiner” Beamtenschaft letztendlich ins Hintertreffen was die Fachinformationen betraf und mußte seine Entscheidungen damit auf die Informationen stützen, die ihm aus dem jeweiligen Ministerium gegeben worden war. Dabei konnte er gut oder schlecht beraten sein, die Verantwortung für die Entscheidung blieb zumindest in Bezug auf die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit bei ihm.

Ins Reich der historischen Legendenbildung gehört jedoch eindeutig die oftmals zitierte Behauptung, daß das Berufsbeamtentum durch Kaiser Wilhelm I. erfunden worden sei7 – im Gegenteil, gerade die eben gezeichnete Entwicklung schließt eine zäsurale “Erfindung” des Berufsbeamtentums aus.

Zu den wichtigsten Eigenheiten des königlichen Beamten gehörte seine Loyalität zum Staat und zum Reglement, das ihm den Rahmen vorgab, seine finanzielle Unabhängigkeit und seine Sachkenntnis. Verlangt wurde von ihm unbedingter Gehorsam8, Würde und ein auf den Ruf der Überparteilichkeit gerichteter Lebenswandel9.

Alles in allem bildete sich mit diesem Beruf auch ein gewisser Habitus heraus, der letztlich in einer eigenen, bürgerlichen Gesellschaftsklasse mündete10. Wer aber nun gehörte zu dieser Klasse, wer kam hinzu?

Dirk Götschmann hat eine umfangreiche Untersuchung über Herkunft und Karriere der einzelnen Beamten, die heute noch über Akten, welche hier im bayerischen Hauptstaatsarchiv liegen, nachvollziehbar sind, erstellt. Dazu gehört neben einer ausführlichen Vergleichsanalyse einzelner Karrieren insbesondere die Betrachtung der Hintergründe der Beamten – also ihre Schul- und Universitätsbildung, eine Berufsausbildung (sofern vorhanden) aber auch das Elternhaus. Eine vergleichbare Studie für das Königreich Preußen hat der Historiker Bernd Wunder verfasst – seine Ergebnisse werde ich nur vergleichend erwähnen.

Zu den Voraussetzungen für einen Posten im gehobenen Verwaltungsdienst zählte früh ein Studium11, 1803 schrieb eine Verordnung folgenden Weg vor:

Nach Abschluß des Gymnasiums erfolgt ein Studium der Rechtswissenschaften, wenigstens drei Jahre lang. Im Anschluß daran mußte ein mindestens ein Jahr andauerndes Praktikum abgeleistet werden, und zwar einem Gericht. Nach Abschluß dieses Praktikums konnte sich der Kandidat zum “Concurs”, also zur Staatsprüfung anmelden, die von zwei Räten der Behörde abgenommen wurde. Das Ergebnis sowie das Protokoll wurde noch einmal dem Kollegium vorgelegt und von diesem abschließend bewertet, getrennt in den Fächern Administration und Justiz. Die daraus errechnete Gesamtnote bestimmte schließlich die Chance auf eine Anstellung.12

Dieses sehr individuelle System wurde unter anderem wegen der Intransparenz kritisiert, und von daher 1810 zuerst durch eine gleichförmig gestaltete Staatsprüfung und im Rahmen der Reformen von 1830 schließlich durch eine einheitliche Prüfungsordnung mit normierten Prüfungen und einem Prüfungsreglement ersetzt. Auch das Praktikum wurde verlängert.

Diese lange Ausbildungszeit, der nicht selten eine längere Wartezeit auf eine Anstellung folgen konnte, setzte ein hohes Maß an Geduld und finanzieller Flexibilität voraus – tatsächlich war die Ausbildungsphase in aller Regel nicht bezahlt

Eine hohe Zahl von Referenten kam aus Familien, deren Väter ebenfalls akademisch gebildete Beamte gewesen waren. Rund die Hälfte der Referenten in den von Götschmann betrachteten Abteilungen waren die Söhne höherer Beamter.13 Dabei sticht heraus, daß es im Schnitt zwischen 1825 und 1864 etwa 59% waren, deren Väter akademisch gebildete Beamte waren, und noch einmal 7%, deren Väter anderen akademischen Berufen nachgingen.

Betrachtet man aber den Zeitraum zwischen 1848 und 1964 separat, so erhöhen sich diese Zahlen noch einmal Signifikant auf 70% beziehungsweise 10%.14 Diese Zahlen stellen jedoch nur ein Beispiel dar. So ist der Trend, den Götschmann hier nachweisen möchte unter anderen auch darin begründet, daß die Zahl der absoluten Neueinstellungen zwischen 1848 und 1864 lediglich 21 Personen beträgt. Im Vergleich dazu beträgt die Erfassung der gesamten Neueinstellungen der Referenten 71 erfasste Personen

Für die Gruppe der Ministerialräte, mithin die nächsthöhere Besoldungsstufe stellt sich im gleichen Zeitraum von 1825-1864 ein ähnliches Bild ein: rund 70% der Väter sind akademisch gebildete Beamte gewesen, weitere 8% Akademiker mit anderen Berufen. 75% haben überhaupt Beamte als Väter.15 Für die Zeit vor 1848 ergibt sich hier ein anderes Bild: 60,9% akademisch gebildete Beamte, 69% Akademiker generell.16 Nach 1848 beträgt das Verhältnis Akademiker zu bürgerlichen Berufen 80% zu 20%. Allerdings ist auch hier die Aussagekraft des reinen Zahlenverhältnisses einer einzigen Abteilung eher gering einzustufen; Die Zahl der zum Ministerialrat aufgestiegenen Personen zwischen 1848 und 1864 betrug lediglich 10 Personen.

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Kommentare (7)

  1. #1 Crazee
    12. September 2014

    Zunächst einmal das Lob: Ich habe bisher noch nicht einmal geahnt, dass man sich über so ein Thema gedanken machen kann und auch sollte. Eine geschichtliche Veränderung der Gesellschaft/des Staates über die Veränderungen seiner Verwaltung zu bewerten ist sicherlich interessant. Von daher finde ich es prima, dass dieser Artikel hier das Publikum bekommt.

    Aber: Ich habe es leider nicht geschafft, den Artikel bis zum Ende durchzulesen. Für mich sind es vermutlich zu viele Fakten, die mich daran hindern, die Struktur der Veränderungen mitzubekommen. In diesem Rahmen vielleicht schwierig: Vielleicht wäre das Thema in zwei Happen ggf. mit irgendetwas graphischem für jemand themenfremden besser geeignet.

    Aber danke für den Denkanstoß.

  2. #2 Florian Freistetter
    12. September 2014

    Ich fand das Thema auch interessant; hätte aber ebenfalls einen kürzeren Text bevorzugt; am besten mit ein paar Bildern als Auflockerung. In der Form ist der Text dann doch ein wenig zu “akademisch” für den Laien

  3. #3 Crazee
    12. September 2014

    Selbst ein oder zwei Symbolfotos (z.B. vom aktuellen Ministerium) mit einer munteren Bildunterschrift würden schon helfen (macht Florian auch manchmal). Z. B. hier: https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2014/09/08/warum-suchen-wissenschaftler-immer-nur-nach-ausserirdischem-leben-das-dem-auf-der-erde-aehnlich-ist/

  4. #4 Sven
    Berlin
    12. September 2014

    Hey super Text! Echt informativ und spannendes Thema. Die Länge waqr jetzt nicht das Problem, das bin ich gewöhnt. Natürlich schön, dass man anhand der Anmerkungen alles nachvollziehen kann und wenn man will auch den Schneeballeffekt der eigenen Nachforschungen aktivieren…

  5. #5 thomas
    12. September 2014

    Nette Aufarbeitung eines Themas über das ich mir auch noch nie Gedanken gemacht habe. Danke dafür!
    Als Blogartikel IMO ein wenig zu lang…

  6. #6 Dampier
    12. September 2014

    Hallo Last Knight Nik,

    ich muss zugeben, dass ich den Artikel zum Ende hin nur noch quergelesen habe. Ich finde man merkt, dass es ein Vortrag ist, der sich an einen Saal voller Fachleute richtet. (Ich kann fast den Hall im Saal hören, das Rascheln von Kleidung, leises Husten, knarzende Stühle …)

    Von einem Blogartikel würde ich eine direktere Ansprache an die Leser erwarten, hier hätte ich eine Zusammenfassung im Erzählton passender gefunden, die auch ein wenig die Persönlichkeit des Autors durchschimmern lässt und vielleicht dessen Begeisterung für das Thema vermittelt – eher so wie man vielleicht bei einem guten Abendessen im Freundeskreis über sein Fachthema sprechen würde.

    Das macht für mich einen guten Blogartikel aus, wenn ich die Begeisterung des Autors für sein Thema spüre. Deswegen lese ich Florians Artikel so gern und zB. auch Bettina Wurches Meertext, da lasse ich mich gern mitreißen. Das ist hier leider nicht der Fall.

    nix für ungut 😉

    Grüße
    Dampier

  7. #7 Lastknightnik
    16. September 2014

    Hi,

    verstehe ich gut. Ich hatte ihn damals mal online gestellt weil ich das Thema eben interessant fand – undwarum nicht auch mal einen historischen / wissenschaftlichen Vortrag so quasi veröffentlichen.

    Ihr habt aber Recht; Vielleicht bearbeite ich das mal irgendwann und setze es in Häppchen bzw. EInzelartikeln / -ergebnisse um.