Beim Anreichen der Gefäßprothese konnte man sehen, was hochsteril bedeutet. Eine Schwester holte die Schachtel mit der Gefäßprothese aus dem Schrank und öffnete die Plastikverpackung. Darin lag eine weitere Plastikverpackung, in der sich die Prothese befand. Eine zweite Schwester entnahm diese Verpackung, öffnete sie und ließ die Gefäßprothese ohne sie zu berühren auf das OP-Tuch fallen. Von dort wurde die Prothese mit einer Zange gefasst und im Desinfektionsmittel getränkt. Erst dann wurde sie dem Chirurgen übergeben. Dieser musste die Gefäßprothese jetzt an der Aortenklappe annähen. Eine handwerkliche Meisterleistung, vor der ich den allerhöchsten Respekt entwickelt habe. Stellt euch vor, ihr müsstet ein abgeschnittenes Hosenbein wieder annähen, verwendet dafür 20 verschiedene Fäden und Nadeln und fasst die Nadeln nur mit einer Pinzette an. So ungefähr wurde die Prothese rundum angenäht. Jede Naht wurde mit einem Knoten abgeschlossen, der so schnell geknotet wurde, dass ich fast daran gezweifelt hätte, ob es wirklich ein Knoten ist. Bevor es weiterging wurde noch mit Kochsalzlösung die Dichtigkeit der Naht und der Klappe geprüft. Anschließend wurden seitlich in die Gefäßprothese Löcher gebrannt, an die die Koronararterien angenäht wurden. Eine weitere knifflige Arbeit, da diese nur einen Durchmesser von wenigen Millimetern haben. Zum Schluss wurde die Prothese am anderen Ende gekürzt und an die Aorta angenäht. Bei all diesen kniffligen Arbeiten waren die Chirurgen zwar hoch konzentriert, aber gleichzeitig äußerlich unglaublich entspannt. Die ganze Zeit über unterhielten sich die beiden Chirurgen miteinander und den anderen Mitarbeitern; über Paper, die sie kürzlich gelesen haben, über Studien, die sie gerne mal durchführen würden, über Vorträge, die sie gerade gehalten haben oder auch über Fußball.
Zum Schluss musste der Patient nur noch von der Herz-Lungen-Maschine genommen und zugenäht werden. Beim Trennen von der HLM ist darauf zu achten, dass keine Luft aus dem während der OP leeren Herzen in das Gefäßsystem gelangt. Außerdem muss zügig vorgegangen werden, um den Zeitraum klein zu halten, in dem weder von der HLM noch vom Körper für eine Zirkulation gesorgt wird. Die Schläuche aus der Aorta und der Hohlvene wurden entfernt und die Löcher in den Gefäßwänden zugenäht. Das Blut, das jetzt wieder das Herz und die Koronararterien füllte, verdrängte die Kalioplegielösung, wodurch der Herzmuskel wieder zu arbeiten begann. Wegen des langen Stillstands war diese Herzaktivität jedoch unkoordiniert. Jede Faser kontrahierte unabhängig von den anderen. Genau das, was man als Herzflimmern bezeichnet. In diesem Fall war das aber kein Zeichen eines Fehlers, sondern das was zu erwarten war. Durch einige gezielte elektrische Stöße konnte das Flimmern beendet werden und der normale Herzrhythmus setzte wieder ein. Davon konnte ich leider nicht viel sehen, da dabei der Anästhesist das Podest für sich in Anspruch nahm.
Aber wie bekommt man jetzt wieder den Brustkorb zu? Ganz klar, mit Nadel und Faden. Nur dass Nadel und Faden dicker und beide aus Metall sind. Jedes Mal wenn der Chirurg die Nadel durchs Brustbein stach, krachte und knackte es. Wie die Metallfäden verknotet wurden, konnte ich leider nicht sehen, da das Podest bereits abgebaut wurde. Die Haut über dem Brustbein wurde normal vernäht und dann wurde der Patient auf die Intensivstation geschoben. Im Vorbereitungsraum lag bereits der nächste Patient bereit und wurde hinter uns in den OP-Saal geschoben. Das nächste OP-Team stand schon bereit, damit möglichst wenig Zeit verloren geht. Auf der Intensivstation wurde der Patient an die Geräte angeschlossen. Die Betäubungsmittel wurden ihm noch für mehrere Stunden verabreicht, bevor er dann gegen Nachmittag aufwachen sollte. Am nächsten Tag würde er dann auf die Normalstation verlegt werden. Für uns war hier der Tag beendet. Nach über fünf Stunden konnten wir die OP-Bekleidung wieder ablegen. Vorher noch alle Taschen des Kittels kontrollieren, ob man auch nichts vergessen hat, was man sonst am Abend in der Zentralwäscherei aus Tausenden von Kitteln hervorkramen müsste. Nach der langen Zeit des Stehens machten wir uns geschafft auf den Heimweg. Wenn ich mir vorstelle, dass ich während dieser Zeit nicht nur still an einer Stelle stehen muss, sondern auch noch mit beiden Händen im Brustraum eines Menschen lebenswichtige Organe vernähen muss, bekomme ich einen Eindruck, was für ein anstrengender Beruf die Chirurgie sein muss.
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