Dieser Gastartikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb. Alle eingereichten Beiträge werden im Lauf des Septembers hier im Blog vorgestellt. Danach werden sie von einer Jury bewertet. Aber auch alle Leserinnen und Leser können mitmachen. Wie ihr eure Wertung abgeben könnt, erfahrt ihr hier.
Dieser Beitrag wurde von Pterry eingereicht.
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Der kleine Unterschied bei Autoimmunität
Vor ein paar Jahren wurde bei einer Freundin eine Autoimmunkrankheit festgestellt: Hashimoto-Thyreoditis. Autoimmunkrankheit bedeutet, dass das Immunsystem des Körpers, welches normalerweise u.a. für die Abwehr von Pathogenen zuständig ist, plötzlich Gewebe des eigenen Körpers angreift. Die Trigger dafür sind unklar bzw. vielfältig. Neuere Ergebnisse (hier besprochen) postulieren z.B. einen Zusammenhang mit einer vorhergehenden Krebserkrankung, bei der ein bestimmtes Protein so mutiert und so exzessiv in der Krebszelle produziert wird, dass der Körper immunologisch dagegen vorgeht, aber durch die Ähnlichkeit zum körpereigenen Protein nachfolgend gesunde Zellen, die das Protein herstellen abgetötet werden. Allerdings wurde dafür nur eine Krankheit und wenige Patienten untersucht, so dass die Faktenlage eher dünn ist. Abgesehen vom langsamen Verschwinden der Schilddrüse klagt die Freundin bisher allerdings kaum und empfindet es nur als nachteilig, dass sie nach dem Schlucken von Thyroxin am Morgen noch eine halbe Stunde nüchtern bleiben und zweimal im Jahr beim Arzt Blut ins Röhrchen spenden muss. Allerdings treibt sie das Thema “Warum ausgerechnet ich?” seitdem um, und die Antwort “Sie ist halt durch viele Faktoren prädestiniert.” gefällt ihr nicht unbedingt. Welche Faktoren prädestinieren denn für eine Autoimmunkrankheit? Da wären:
Erstens: Es gibt eine genetische Prädisposition für diese Krankheiten. Da in ihrer Familie Schilddrüsenunterfunktion schon diagnostiziert wurde und u.a. ihre Schwester ebenfalls betroffen ist, liegt sie vermutlich auch bei ihr vor.
Zweitens: Wir leben in Deutschland und in den Industrieländern kam es in den letzten Jahren zu einem Anstieg von Autoimmunkrankheiten, wofür Umweltfaktoren verantwortlich gemacht werden. Allerdings hat sich auch die Diagnostik weiterentwickelt und einige bisher als psychosomatisch eingestufte Krankheiten werden aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse jetzt eher den Autoimmunerkrankheiten zugeordnet. Nichtsdestotrotz häufen sich derzeit im Bekanntenkreis (Altersgruppe: 25-40 Jahre) die “Verkündigungen” von Betroffenen, die an Hashimoto, Morbus Crohn, rheumatoider Arthritis oder multipler Sklerose erkrankt sind.
Drittens: Sie ist eine Frau. Ein weiterer “understudied” (wie es in diesem Review so schön heißt) Aspekt ist nämlich, dass bei vielen Autoimmunkrankheiten Frauen überproportional häufig betroffen sind z.B. bei Hashimoto-Thyreoditis beträgt der Geschlechterbias 10:1. Zusätzlich besteht eine Altersabhängigkeit d.h. Frauen erkranken nicht nur im Mittel eher, sondern der Geschlechtsunterschied bei z.B. rheumatoider Arthritis sinkt von 4:1 in den mittleren Jahren zu etwa 1:1 im Alter. Die Vermutung liegt daher nahe, dass das körpereigene Level an Geschlechtshormonen ein Rolle spielt, welches im Laufe des Lebens verschiedensten Veränderungen unterworfen ist. Man hat u.a. festgestellt, dass Schwangerschaften eine positive Auswirkung auf Autoimmunkrankheiten haben können und das im Alter absinkende Testosteron-Level könnte erklären, warum der Geschlechterbias im Alter verschwindet. Im Tierversuch konnte man das außerdem nachweisen, denn in männlichen kastrierten Mäusen wurde eine höhere Rate erkrankter Tiere nach der Induktion von Thyreoditis oder Arthritis festgestellt. Das gleiche Ergebnis wurde durch das Injizieren von Östrogen während der Induktion (bei nicht-kastrierten Mäusen) erreicht.
Eine neuere Publikation mit dem Titel “Sex Differences in the Gut Microbiome Drive Hormone-Dependent Regulation of Autoimmunity sieht den protektiven Effekt von Testosteron u.a. darin, dass damit die Zusammensetzung der körpereigenen Darmflora beeinflusst wird. Dazu wurde ein bestimmtes Maus-Model gewählt, die sogenannte NOD-Maus. “NOD” steht für non-obese diabetes, d.h. das Immunsystem dieser Maus ist so gestört, dass sie spontan Diabetes entwickelt, weil ihre Immunzellen die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeichdrüse zerstören. Die Forscher schauten sich hier die Inzidenz an, mit der die Mäuse erkrankten und stellten fest, dass unter spezifisch pathogen-freien (SPF) Bedingungen gehaltene Weibchen zweimal häufiger an Diabetes entwickelten als die Männchen. Unter keimfreien (GF) Bedingungen war der Effekt verschwunden. Die Testosteron-Level im Blut ergaben, dass die weiblichen SPF-Mäuse weniger Testosteron im Blut hatten als die GF-Mäuse, während das bei den Männchen genau umgekehrt war. Daraus schlossen die Forscher, dass die Besiedlung des Darms mit spezifischen Keimen die Produktion und den Verbrauch von Testosteron beeinflusst, und damit auch das Metabolom, d.h. alle Stoffwechsel(zwischen)produkte und letztendlich die Erkrankungsrate. Als nächstes wurde bei Mäusen verschiedener Altersgruppen (gerade entwöhnt, in der Pubertät, adult) der Darm entkeimt und danach das Mikrobiom erwachsener Tiere übertragen. In der Publikation wird von “gavage of diluted cecal contents” gesprochen, d.h. verflüssigter Blinddarminhalt wurden per Sonde verabreicht. Dabei stellte man fest, dass bei Weibchen, solange sie die Pubertät noch nicht komplett durchlaufen hatten (bei Labormäusen etwa 6-7 Wochen nach der Geburt) die Übertragung männlicher Darmflora dazu führte, dass diese Tiere mehr Testosteron produzierten und somit weniger oft an Diabetes erkrankten. Um das Diabetes-auslösende Potential der Immunzellen von unmanipulierten Weibchen und Weibchen, denen männliche Darmflora übertragen wurde zu prüfen, wurden diese isoliert und in immundefiziente Mäuse übertragen wurden. Die Immunzellen unmanipulierter Weibchen induzierten 6 Wochen eher eine Diabetes-Erkrankung. Daraus kann man ableiten, dass Testosteron Effekte des Darm-Mikrobioms an die Stoffwechselkette und das Immunsystem weiterleitet. Wie genau, darüber kann man derzeit nur spekulieren. Die Steroidhormone wirken direkt auf die Produktion bestimmter Proteine, da sie im Zellkern wie eine Ampel Stop- oder Go-Signale für deren Herstellung geben. Außerdem können sie noch dafür sorgen, dass die DNA epigenetisch so modifiziert wird, dass die Erbinformation häufiger oder seltener abgelesen wird, d.h. sie wird entweder in den molekularen Dornröschenschlaf geschickt oder daraus aufgeweckt.
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