Dieser Gastartikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb. Alle eingereichten Beiträge werden im Lauf des Septembers hier im Blog vorgestellt. Danach werden sie von einer Jury bewertet. Aber auch alle Leserinnen und Leser können mitmachen. Wie ihr eure Wertung abgeben könnt, erfahrt ihr hier.
Dieser Beitrag wurde von Peter Hank eingereicht.
———————————————————————————————————————–
Diese Frage ist der Titel eines Vortrags, den ich vor kurzem für die Volkshochschule München gehalten habe. Bevor ich die Frage beantworte, möchte ich kurz die Vorgeschichte zur Frage (und zum Vortrag) erzählen.
Ich selber komme aus der Physik und dort stellt sich diese Frage normalerweise nicht. Theorien
werden aufgestellt, Experimente gemacht und am Ende des Tages werden Theorien, die den Experimenten widersprechen, verworfen. Wie Thomas H. Huxley gesagt hat:
Oft schmerzlich, wenn die eigene Lieblingstheorie den Bach runter geht, aber mit dem Experiment als unbestechlichen Richter hat die Naturwissenschaft die einzigartige Möglichkeit, Theorien objektiv zu prüfen und falsche Theorien zu erkennen und zu entsorgen. Dieser Reinigungsprozess funktioniert sehr gut und so ist die Physik bisher von Pseudowissenschaften weitgehend verschont geblieben. (Hier muss ich gleich einen Seitenhieb loswerden – im Gegensatz zur Medizin werden unbewiesene oder widerlegte Inhalte an den Unis in Physik nicht gelehrt; so gibt es keine Kurse für Astrologie oder Rutengehen an den Hochschulen.)
Vor diesem Hintergrund ist es für mich zutiefst verwunderlich, aber auch faszinierend, warum sich, – in meinen Augen offensichtlich fragwürdige bis hin zu völlig absurde Ideen – Ideologien, Verschwörungstheorien,
Alternativmedizinische Verfahren, Glaubenssysteme – trotzdem weitgehender Anerkennung und Beliebtheit erfreuen.
Und natürlich stellt sich mir die unangenehme Frage: Gibt es eigene Vorstellungen, bei denen ich genauso an absurde Ideen glaube und es nur selber nicht merke, weil mein Hirn mir sagt, dass wäre alles vernünftig und in Ordnung. Kurz:
Kann ich meinem Hirn trauen?
Die Frage hört sich schon mal absurd an; genau so könnte ich mich fragen, ob ich meinen eigenen Augen trauen kann?
Halt – auch wenn
wir Sätze sagen wie „ich habe es mit eigenen Augen“ gesehen, dann haben wir alle schon optische Täuschungen erlebt, die unsere Augen und unser Hirn an der Nase herumführen.
Viele dieser Täuschungen nutzen künstliche Situationen aus, die in der wirklichen Welt nicht vorkommen. Da unser Hirn aber seit Millionen von Jahren darauf eingestellt ist, sich in einer dreidimensionalen Welt zurechtzufinden, kann man diese „eingebauten“ Mechanismen nutzen, um dem Hirn auch eine Scheinwelt vorzuspiegeln.
Ein anderer Typ von Täuschung nutzt die Fähigkeit des Hirns aus, aus unvollständigen Hinweisen komplette Muster zu erkennen.
Für einen Höhlenmenschen ist diese Fähigkeit überlebenswichtig gewesen, schließlich reicht es nicht, den Tiger erst zu erkennen, wenn er aus dem Busch rausgelaufen kommt. Allerdings kann diese, an sich nützliche Fähigkeit dann dazu führen, dass das Gehirn – auf Sicherheit bedacht – auch schon mal Muster erkennt, wo keine da sind. Am schönsten lässt sich dieser Effekt bei Gesichtern demonstrieren (Pareidolie), schließlich ist das Erkennen von Gesichtern besonders überlebenswichtig (könnte ja ein Feind oder Freund bzw. Paarungspartner sein).
Genauso wie diese optischen Täuschungen gibt es kognitive Täuschungen und auch die führen zum Beispiel dazu, dass wir Muster sehen, wo keine sind. Ein klassisches Experiment dazu hat P. C. (On the Failure to Eliminate Hypotheses in a Conceptual Task, The Quarterly Journal of Experimental) durchgeführt. Versuchspersonen wurden dazu gebeten, herauszufinden, nach welchem Gesetz Reihen von drei Zahlen gebildet wurden. Vorgegeben war die Reihe 2, 4, 6 und ein typischer Verlauf war etwa wie auf der Tafel dargestellt:
Nach den ersten Versuchen mit 8, 10, 12 (korrekt), 14, 16, 18 (korrekt) und 1,3,5 (korrekt) hat die Versuchsperson die Regel formuliert, man müsste zur ersten Zahl jeweils 2 addieren – diese Regel, obwohl sie bei allen Versuchen korrekte Zahlenreihen erzeugt war aber nicht die richtige. Auch der zweite Versuch (gleiche Abstände) führte nicht zur richtigen Regel.
Tatsächlich ist es schon ausreichend, wenn die Zahlen aufsteigend aufgereiht sind.
Was man aus diesem Experiment lernt:
– Unser Hirn neigt dazu, nach Mustern zu suchen und diese auch zu finden.
– Dabei schießt es gern über das Ziel hinaus und findet Muster, wo keine sind.
– Nur selten versucht eine Versuchsperson, ihre Regel dadurch zu prüfen, dass es nach Gegenbeispielen zur Regel sucht. Dabei hätte das dazu geführt, aufzudecken, dass die Regel viel zu eng gefasst war. (Eine dementsprechend große Rolle spielt daher auch die Falsifizierbarkeit in der Naturwissenschaft, aber das ist dort – ich möchte sagen – antrainiert, unsere automatischen Reflexe gehen, wie oben gezeigt, in eine andere Richtung.)
Warum ist dieses Experiment für uns auch für unser tägliches Leben relevant?
Weil wir auch dazu neigen, im täglichen Leben Muster zu finden und an diesen festhalten, ohne sie jemals zu prüfen. Wenn wir an die letzte Fußballweltmeisterschaft zurückdenken, dann erinnern wir uns vielleicht
an den deutschen Fußballtrainer Joachim Löw und seinen blauen Glückspulli? Wer hat nicht schon davon gehört, dass bei Vollmond mehr Kinder zur Welt kommen? Wer glaubt, dass bei ihm die Ampel immer rot ist? Wem wurde noch kein Schnupfenmittel angeboten (Hühnersuppe, Zuckerkügelchen, …) mit dem Satz „Bei
mir hat es geholfen!“.
Gemeinsam ist dem, dass unser Hirn eine interne Strichliste führt, die jedes Mal und auch nur dann, wenn unser Muster bestätigt wird, eine zusätzlichen Strich erhält.
Ein Freund von mir hat dazu das Bild geprägt vom
Glauben an ein Phänomen gleicht einer Ratsche
– jedes passende Beispiel dient nur dazu den Glauben fester zu ziehen und
– Gegenbeispiele werden nicht mehr registriert.
Der wissenschaftliche Begriff dafür ist Bestätigungsfehler oder Confirmation Bias und besagt eben gerade, dass wir dazu neigen, nur die Informationen wahrzunehmen und zu berücksichtigen, die unsere vorgefasste Meinung stützen. Warum ist das ein Problem?
Stellen Sie sich bitte vor, sie wären ein Mediziner und kommen 1846 an eine Klinik, etwa Wien. Dort wird nach einem bestimmten Verfahren gearbeitet, für unser Beispiel Geburtshilfe. Wenn Sie rumfragen, ob
die Behandlung etwas taugt, heißt es:
„Ja, wir hatten dieses Jahr 4010 Fälle, in denen es geholfen hat.“
Wenn Sie sich an das obige Beispiel Bestätigungsfehler erinnern, dann erinnern Sie sich auch an die Gefahren, wenn man nur die Beispiele zählt, die zur eigenen Position passen. Deshalb werden Sie auch
nachfragen, in wie vielen Fällen die Mutter die Geburt nicht überlebt hat und wie die Zahlen z. B. für den zweiten Flügel der Wiener Klinik aussehen:
Wenn Sie jetzt alle vier Zahlen vergleichen, dann wird überdeutlich, dass 4010 mal „bei uns hat
es geholfen“, kein Zeichen für eine wirksame Behandlung, sondern für ein katastrophales Problem ist. Und probieren Sie es mal aus – wenn man nur eine der vier Zahlen aus obiger Statistik entfernt, dann können Sie keine klaren Aussagen mehr treffen – also immer aufgepasst, wenn man Ihnen Zahlen ohne Vergleichswerte präsentiert!
Dem Mediziner Semmelweis kam bei der Lösung des Problems, warum sterben soviel mehr Frauen in
der einen Abteilung als in der anderen, ein tragischer Zufall zu Hilfe. Ein Freund von ihm starb, nachdem er sich bei einer Autopsie einer Leiche mit dem Skalpell durch den Handschuh und in die Hand schnitt. Die daraus folgende Infektion entwickelte ähnliche Symptome wie Frauen mit Kindbettfieber. Damit erklärte sich auch der Unterschied zwischen den beiden Kliniken – in der einen arbeiteten Hebammen und in der anderen Medizinstudenten, die regelmäßig mit Leichen arbeiteten. Semmelweis führte darauf hin im Jahr 1847 die Maßnahme ein, dass vor den Behandlungen der Wöchnerinnen die Mediziner sich die Hände desinfizieren mussten und – belegte dann auch den Erfolg der neuen Maßnahme durch Statistik:
Damit gilt Semmelweis nicht nur und völlig zu recht als „Retter der Mütter“ sondern auch als der erste, der die Statistik in die Medizin einführte; und tatsächlich ist das vielleicht sogar noch der größere Verdienst.
Gedankt wurde es ihm nicht von allen – besonders nicht von Kollegen von ihm – der Gedanke, dass ein Arzt unsauber sein könnte, musste sich erst noch durchsetzen. Dabei sollte man aber auch daran denken, wie schwer es wohl einem selber als Arzt gefallen wäre, sich einzugestehen, dass man – wenn auch aus Unwissenheit und
unbeabsichtigt – den Tod vieler Frauen im Kindsbett verursacht hat.
Diese Überlegungen fallen aber dann unter das Phänomen Kognitive Dissonanz und das ist dann ein Thema für einen anderen Beitrag.
Was kann ich Ihnen noch zum Abschied mitgeben?
Lassen Sie sich nicht vom Einzelfall täuschen – gerade eigene Erfahrung wirken immer sehr überzeugend, aber zu groß sind hier Fehlerquellen wie Bestätigungsfehler.
Statistiken wirken kalt und unpersönlich – aber hier sind viele Fehlerquellen ausgeschalten.
Rauchen ist nun mal ungesund – egal wie viele Raucher sich auch auf Helmut Schmidt berufen!
Kommentare (17)