Da Richer und Cassini den Mars von zwei unterschiedlichen Orten der Erde aus anvisierten und daher auch aus zwei leicht unterschiedlichen Richtungen in den Himmel blickten, mussten sie den Mars auch an leicht unterschiedlichen Positionen im Vergleich zu den viel weiter entfernten Fixsternen beobachten. Das ist der Parallaxeneffekt, den jeder selbst ausprobieren kann. Dazu muss man nur den Daumen der ausgestreckten Hand einmal mit dem linken und einmal mit dem rechten Auge betrachten und wird bemerken, dass sich dessen Position vor dem Hintergrund ein wenig zu verändern scheint. Cassini und Richer waren quasi die beiden Augen und der Mars war der Daumen. Aus den Positionsdaten und dem bekannten Abstand zwischen Cayenne und Paris ließ sich dann mit ein bisschen Geometrie der Abstand zwischen Mars und Erde berechnen. Und daraus dann auch der Abstand zwischen Erde und Sonne, also der Wert der Astronomischen Einheit.
Die Beobachtungen der beiden französischen Astronomen verlief erfolgreich. Die Daten wurden aber erst 1679, also 7 Jahre später publiziert (“Observations astronomiques et physiques faites en l’isle de Cayenne”). Das hat vermutlich dazu geführt, dass die Bedeutung dieser Beobachtungskampagne in der Öffentlichkeit nicht so wirklich zur Geltung gekommen ist und auch heute noch kaum jemand außerhalb der überschaubaren Szene der Astronomen und Astronomiehistoriker von der Arbeit der beiden Franzosen spricht. Dabei war ihre Messung wirklich revolutionär. Sieht man von diversen Schätzungen ab, war der damals allgemein gültige Wert für den vermuteten Abstand zwischen Erde und Sonne immer noch der, der in der Antike durch Ptolemäus übermittelt worden ist und der lag bei ungefähr 7 Millionen Kilometer. Cassini und Richer konnten mit ihren Beobachtungen aber zeigen, dass die Astronomische Einheit deutlich größer ist und gaben einen Wert von 140 Millionen Kilometer an. Das Sonnensystem war also auf einen Schlag 20 Mal größer geworden!
Natürlich war mit den damaligen Instrumenten zur Positions- und Zeitmessung nur eine bedingte Genauigkeit möglich. Die späteren Beobachtungen während des Venustransists und noch spätere Radarmessungen haben den Wert viel genauer bestimmt und gezeigt, dass es ungefähr 150 Millionen Kilometer sind. Natürlich ändert sich der Abstand zwischen Erde und Sonne auch ständig (da die Erde keiner exakten Kreisbahn folgt) und heute hat man daher die Astronomische Einheit offiziell auf einen Wert von 149.597.870.700 Metern festgelegt. Die Zahl wurde 2012 auf der Tagung der Internationalen Astronomischen Union in Peking als mittlerer Abstand zwischen Erde und Sonne bestimmt. Zuvor gab es diverse andere Definitionsansätze; zum Beispiel die Größe der Umlaufbahn die ein fiktiver Planet mit einer Umlaufzeit 2 π / k Tagen hat, wobei “k” die Gaussche Gravitationskonstante ist oder auch anders herum als Länge, bei der die Gaussche Konstante exakt 0,01720209895 beträgt, vorausgesetzt sie wird in bestimmten Massen-, Zeit- und Längeneinheiten ausgedruckt. Aber das war alles ein wenig verwirrend und nicht sonderlich praktisch, weswegen man letztlich einfach einen Wert für die Astronomische Einheit definiert hat. Die Länge der Astronomischen Einheit ist nun als ein exakt definiertes Vielfaches des fundamentalen Meters bestimmt und damit unabhängig von all astronomischen Unregelmäßigkeiten.
Diese Definition wurde allerdings am 30. August 2012 beschlossen. Das nächste Mal sollten wir also diesen Tag als “Tag der Astronomischen Einheit” feiern. Ich habe mir das schon mal im Kalender notiert…
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