Es war so ein schönes Wochenende. Die Sonne schien, es war nicht zu kalt aber weil überall in der Stadt gerade die Weihnachtsdekoration aufgehängt wurde, kam trotzdem schon ein wenig Adventsstimmung auf. Ich war auf dem Weg in den großen Buchladen von Jena um einen literarischen Großeinkauf zu tätigen und war guter Stimmung. Bis ich dieses Plakat hier gesehen habe:
Ich habe mich ja an die allgegenwärtige Homöopathie-Werbung in Apotheken, Zeitschriften, Buchläden, etc ja mitterweile gewöhnt und achte da gar nicht mehr drauf. Wenn man sich da jedes Mal aufregen würde, käme man zu sonst nichts mehr. Aber über dieses Plakat habe ich mich ausnahmsweise mal wieder wirklich geärgert.
Nicht, weil dieser Vortrag von zwei Jenaer Apotheken veranstaltet wird. Wie gesagt: Apotheken zu finden, die darauf verzichten für Homöopathie Werbung zu machen, gibt es vermutlich mittlerweile nicht mehr. Ich habe mich auch nicht geärgert, weil da ein “Arzt für Homöopathie” angekündigt und damit suggeriert wird, “Homöopathie” sei etwas, was der echten Medizin die von normalen Ärzten ausgeübt wird, gleichgestellt ist. Ich habe mich nicht einmal darüber geärgert, dass die Veranstaltung in den Räumen der Universität stattfindet. Auch daran, dass Hochschulen und ähnliche Einrichtungen ihre Räumlichkeiten wahllos an jeden vermieten (an Kreationisten genau so wie an Astrologen beispielsweise), der möchte ohne sich über die Außenwirkung Gedanken zu machen, habe ich mich leider gewöhnen müssen.
Tatsächlich ganz massiv aber ärgert mich an diesem Plakat die durch den Titel der Veranstaltung suggerierte Selbstgefälligkeit der Homöopathen. “Homöopathie bei Schulstress” – Klingt nett und praktisch, oder? Das Kind ist schlecht in der Schule? Kein Problem – man muss einfach nur die richtigen Globuli schlucken, dann passt alles wieder!
Das regt mich wirklich auf. Und es demonstriert wunderbar, wie wenig die Homöopathie das ist, was sie immer vorgibt zu sein: Nämlich “ganzheitlich”. Angeblich ist es ja die böse “Schulmedizin”, die immer “nur die Symptome” behandelt und den “Menschen hinter der Krankheit” ignoriert. Aber bei genauerer Betrachtung gibt es kaum etwas ganzheitlicheres als die echte Medizin. Für die Homöopathie ist der Mensch im wesentlichen eine Black Box; es werden Symptome abgefragt und entsprechende Zuckerpillen ausgewählt. Dass im Inneren des Menschen ein kompletter Organismus steckt, mit all der komplexen Biochemie und den wechselwirkenden Organen, wird ignoriert.
Wenn Kinder Stress in der Schule haben, dann kann es dafür so viele verschiedene Gründe geben. Vielleicht sind die Klasssenkameraden unfreundlich und das Kind wird gemobbt? Vielleicht sind die Lehrer unfreundlich oder überfordert? Vielleicht hat das Kind Liebeskummer oder irgendeines der vielen anderen Probleme, die Pubertierende regelmäßig befallen? Vielleicht hat das Kind eine konkrete Lernschwäche? Vielleicht wird es von den Eltern nicht richtig unterstützt? Vielleicht braucht das Kind halt auch einfach gerade nur ein bisschen länger, um einen bestimmten Teil des Lernstoffs zu verstehen? Und so weiter – ich könnte noch seitenweise mögliche Gründe auflisten, warum ein Kind Stress in der Schule haben könnte. Es sind viele verschiedene Probleme die nichts miteinander gemein haben, bis auf eines: Keines davon lässt sich mit der Einnahme von Zuckerkugeln lösen!
Aber es ist halt so schön einfach: Das Kind hat Stress und anstatt sich der mühsamen Aufgabe widmen zu müssen, die Ursachen des Stress des herauszufinden und als Elternteil gemeinsam mit dem Kind nach einer Lösung zu suchen, lässt man sich vom Homöopathen einfach ein paar Globuli verschreiben! Keine langwierige Nachhilfe; keine langen Diskussionen mit Lehrern; keine störenden Gedanken an Schulwechsel oder gar noch störendere Gedanken an potentiell eigenes falsches Verhalten als Elternteil. Ist alles nicht nötig, denn wozu gibt es schließlich die praktischen Zuckerpillen. Und das Kind lernt ganz nebenbei eine wichtige Lektion fürs Leben: “Egal was mir fehlt und egal was für Probleme ich habe – es gibt immer eine passende Pille, die alles wieder in Ordnung bringt.”
Der Vortragende, Markus Wiesenauer, ist übrigens der Autor einer großen Zahl an Homöopathie-Ratgeber und ein sehr großer Fan der Zuckerkugeln bei allen Gelegenheiten. Das kann man auch in einem Interview mit der Zeitschrift “Homöopathie Heute” (pdf) nachlesen kann. Auf die Frage, ob Menschen sich per Homöopathie selbst medikamentieren sollen, sagt Wiesenauer:
“Meine Patienten beginnen zumal bei den akuten Beschwerden, auch ihrer Kinder, erst einmal selbst die Kügelchen auszuwählen. Im weiteren Verlauf – wenn notwendig – werde ich konsultiert. Auch bei den Patientenveranstaltungen wird diese Frage oft gestellt: Was kann ich selbst tun, welche Kügelchen sollte ich einnehmen? Deshalb gilt grundsätzlich meine Empfehlung: Erst mal Homöopathie nehmen, dann sieht man weiter!”
Genau! Immer rein mit den Zuckerpillen! Was soll schon schief gehen!
P.S. Ich würde die Veranstaltung am Dienstag ja gerne besuchen um zu berichten, was dort alles gesagt wurde – aber ich bin an diesem Tag gerade in Frankfurt bei einer anderen Veranstaltung. Falls aber jemand anderes dort dabei ist und danach in meinem Blog darüber berichten möchte: Meldet euch einfach bei mir!
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