Man könnte zum Beispiel mal einen Wissenschaftler fragen, wie das mit den Neutrinos funktioniert. Zufälligerweise (es war wirklich Zufall) habe ich erst kürzlich über ein Projekt zur Neutrinobeobachtung berichtet und auch eine Podcastfolge zur “Neutrinoastronomie” veröffentlicht. Darin habe ich das erwähnt, was vermutlich auch jeder zur journalistischen Recherche herangezogene Experte sagen würde: Neutrinos wechselwirken so gut wie gar nicht mit normaler Materie. Es sind höchst flüchtige Elementarteilchen, von denen in jeder Sekunde viele Billiarden ungestört und unbemerkt durch die Erde hindurch rasen. Man braucht deswegen auch die gewaltigen Detektoren und muss einen enormen technischen Aufwand betreiben, um wenigstens ein paar davon nachweisen zu können. Nur aus Spaß an der Freude und der frischen Luft haben die Forscher ja sicher keinen kubikkilometergroßen Detektor tief unter dem Eis der Antarktis gebaut. Wenn dann eine Firma, ohne Angabe von Details, behauptet, diese Teilchen nicht nur ohne diese komplexe Technik nachweisen, sondern aus ihnen auch noch irgendwie Energie extrahieren kann, dann sollte man durchaus ein wenig skeptisch werden.
Natürlich klingt es super, wenn man behauptet, man können Batterien für Elektrautos bauen, die 2000 Kilometer ohne nachladen schaffen (wie im Focus (WebCite) berichtet). Und vielleicht lässt sich der eine oder andere engagierte Investor von diesen wunderbaren Versprechungen beeindrucken. Aber Journalisten sollten da vielleicht doch ein wenig kritischer sein. Sie sollten recherchieren, was es mit der Geschichte auf sich hat. Und wenn sie das tun, würden sie feststellen, dass der Geschäftsführer der Firma kein Wissenschaftler ist; es keinerlei wissenschaftliche Basis für die behauptete Technik gibt und die Welt der Esoterik und Pseudowissenschaft voll ist mit ähnlichen Firmen und Versprechungen, die alle behaupten, den Schlüssel zur unerschöpflichen Energiequelle zu haben ohne das es dafür auch nur den Hauch eines wissenschaftlichen Belegs gibt.
Vielleicht hat man bei der Bundespressekonferenz diese Recherche angestellt (Nachtrag: Wohl eher nicht – siehe hier). Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man hat erkannt, dass es für die spektakulären Behauptungen ihres Partners “Neutrino Inc.” keine wissenschaftliche Basis gibt, diese Erkenntnis ignoriert und sich trotzdem sponsern lassen. Oder man hat es nicht erkannt, was – genau so wie die verbleibende Möglichkeit, das überhaupt nicht recherchiert wurde – nicht unbedingt Vertrauen weckt, wenn es um die Aufgabe der Journalisten geht, objektiv und mit “Mehrwert” über wissenschaftliche Themen zu berichten.
Natürlich sind in der BPK vermutlich wenig Wissenschaftsjournalisten organisiert und vielleicht ist es unfair, wenn ich die Aussage von Wormer vom Beginn meines Artikels nun aufgrund der Auswahl der Sponsoren des Bundespresseballs kritisiere. Aber wenn man schon pauschal vom Mehrwert des Journalismus spricht, dann kann man den Journalismus auch mal eben so pauschal betrachten.
Ich will mich ja eigentlich gar nicht in die ewige und ermüdende Debatte “Journalismus vs. Blogs” einmischen. Vor allem weil es ein absolut dumme Debatte ist. “Journalismus” ist eine Tätigkeit und ein “Blog” ist ein Medium. Das lässt sich nicht vergleichen. Man kann in Blogs journalistisch arbeiten. Wer will kann auch tatsächlich einfach nur das in ein Blog schreiben, was einem morgens unter der Dusche eingefallen ist. Im Blog steht das, was man dort veröffentlicht. Aber das Medium bestimmt nicht die Qualität! Nur weil ein Beitrag in einer “normalen” Zeitung oder einer “normalen” Fernsehsendung erschienen ist, ist er deswegen nicht automatisch besser als ein Text in einem Blog oder ein Video auf YouTube. Es kommt darauf an, wer den Beitrag erstellt und vor allem wie das geschieht. Und da können es oft gerade die Blogger sein, die sich nicht an Redaktionsschluss, vorgegebene Artikellängen oder “quotenrelevante” Themen halten müssen und stattdessen lange, ausführlich und detailliert recherchierte Texte schreiben, die man in einer Zeitung niemals unterbringen würde.
Ein Blog ist einfach nur ein Medium. Ob dort Journalismus stattfindet, hängt nur von den Autoren ab! Der “Mehrwert” taucht nicht automatisch auf, nur weil der Text von einem offiziellen Journalist erstellt worden ist. Den “Mehrwert” gibt es dann, wenn man gute Arbeit leistet – egal ob man Blogger oder Journalist ist. Und wenn man nicht ordentlich arbeitet, dann gibt es eben keinen Mehrwert, sondern Unsinn. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass sich die Bundespressekonferenz von “Neutrino Inc.” unterstützen lässt. Ob die Entscheidung dazu wohl jemand morgens während des Duschens gefällt hat?
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