Als ich am Sonntag in Berlin einen Vortrag über die Suche nach extrasolaren Planeten und außerirdischem Leben gehalten habe, stellte das Publikum am Ende wie üblich Fragen. Und wie immer wenn ich über dieses Thema spreche, wurde auch gefragt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass auf einem anderen Planeten Leben existiert. Die Antwort, die ich gegeben habe, war die, die ich immer gebe. Kurz gefasst lautet sie: Im Prinzip kann man sich jede beliebige Wahrscheinlichkeit ausdenken, da wir noch nicht genug Daten haben, um eine konkrete Wahrscheinlichkeit anzugeben.
Die Frage nach der Häufigkeit von außerirdischem Leben beinhaltet eigentlich zwei Fragen: 1) Wie wahrscheinlich ist es, dass anderswo noch ein Planet existiert, auf dem Leben möglich ist. Und 2): Wie wahrscheinlich ist es, dass auf einem solchen Planeten Leben auch tatsächlich entsteht? Die erste Frage können wir mittlerweile einigermaßen beantworten. Die zweite Frage allerdings überhaupt nicht. Aber das hindert die Leute natürlich nicht, es immer wieder zu probieren. Zum Beispiel Amri Wandel von der Universität Jerusalem, der darüber in seiner Arbeit “On the abundance of extraterrestrial life after the Kepler mission” spekuliert.
Die Frage geht natürlich auf die Drake-Gleichung zurück, die schon im Jahr 1960 vom Astronomen Frank Drake aufgestellt worden ist. In diese Formel muss man nur 7 Zahlen einsetzen und bekommt am Ende die Anzahl aller intelligenten Zivilisation in unserer Milchstraße, mit denen wir theoretisch Kontakt aufnehmen könnten. Die Formel an sich ist kein Problem. Sie ist mathematisch exakt und würde auch ein exaktes Ergebnis liefern, wenn die eingesetzten Zahlen exakt wären. Allerdings kannte man 1960 gerade mal eine dieser Zahlen (die Sternentstehungsrate in der Milchstraße). Mittlerweile wissen wir ein wenig mehr und können auch angeben, wie viele Sterne Planeten besitzen und wie viele dieser Planeten sich in der habitablen Zone befinden, also dem Bereich um einen Stern, in dem Leben auf der Oberfläche eines Planeten prinzipiell möglich sein kann (Und um die jetzt unweigerlich aufkommenden Frage “Aber was ist mit Leben, das nicht so funktioniert wie unser Leben und ganz andere Bedingungen braucht?” zu beantworten, verweise ich auf diesen Artikel). Dank der Ergebnisse der verschiedenen Planetensuchprogramme der letzten Jahre wissen wir heute, das Planeten genau so häufig sind wie Sterne selbst und können auch brauchbare Schätzungen angeben, wie viele Planeten sich in der habitablen Zone befinden.
Das ändert aber nichts daran, dass wir über die weiteren Parameter der Drake-Gleichung nichts wissen und einer dieser Parameter ist die Wahrscheinlichkeit, mit der Leben auf einem Planeten entstehen kann. Amri Wandel hat die Drake-Gleichung in seiner Arbeit ein wenig modifiziert. Er hat sich (vorerst) nur einmal auf Leben an sich konzentriert und das intelligente Leben ignoriert. Die ganzen astronomischen Parameter hat er zu einem einzigen Term zusammengefasst, der angibt, wie viele Sterne pro Jahr entstehen, die einen Planeten besitzen, auf dem sich Leben entwickeln kann. Mit den aus den aktuellen Beobachtungen abgeleiteten Werten kommt er auf eine Rate von 0,1 bis 10 solcher Sterne pro Jahr. So weit, so gut: Dass potentiell lebensfreundliche Planeten durchaus häufig sein können, ist seit einigen Jahren bekannt. Interessanter wird es bei “biotischen Parametern”: Der Wahrscheinlichkeit, dass sich Leben auch tatsächlich entwickelt und der durchschnittlichen Dauer, während der Leben auf einem Planeten existiert. Hier haben wir nur einen einzigen Datenpunkt zur Verfügung: Unsere Erde. Hier entstand Leben vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren und ist seitdem auch nicht mehr verschwunden.
Amri Wandel hat die ganzen Zahlen und Wahrscheinlichkeiten in eine neue Formel umgearbeitet, die den durchschnittlichen Abstand zu einem “biotischen Planeten”, also einem Planeten mit Leben (Leben, kein intelligentes Leben) liefert. Je nachdem, welche Werte man für die – unbekannte! – Wahrscheinlichkeit der Lebensentstehung einsetzt, kommt er dabei auf Distanzen zwischen 10 und 100 Lichtjahren. Das klingt natürlich sehr beeindruckend. Wenn das wirklich so wäre, dann kann man davon ausgehen, das Leben in unserer Milchstraße sehr häufig ist und sehr viele belebte Welten existieren. Und vielleicht ist das ja auch wirklich so. Vielleicht aber auch nicht. Denn das ist das Problem, das ich mit der Drake-Gleichung (und all ihren Variationen) habe: Ihr numerischen Ergebnisse täuschen eine Präzision vor, die in der Realität nicht existiert. Wir wissen eben nicht, wie wahrscheinlich es ist, das Leben auf einem Planeten entsteht. Ja, auf der Erde ist Leben entstanden und das schon ziemlich bald nachdem die Entstehung von Leben prinzipiell möglich war. Aber ist das nun ein Zeichen dafür, dass Leben immer entsteht, wenn es die Möglichkeit dafür gibt? Genau so gut kann es sein, dass sehr viele, sehr spezielle Bedingungen erfüllt sein müssen und vielleicht nur ein oder zwei Planeten in der ganzen Galaxie Leben beherbergen.
Wir haben zwar viele gute Ideen, wie und unter welchen Bedingungen das Leben entstanden sein könnte. Aber Ideen sind keine konkreten Belege und ohne die kann man auch keine konkrete Wahrscheinlichkeit angeben. Jede Drake-Gleichung liefert also beliebige Resultate; es kommt ganz darauf an, welche Wahrscheinlichkeit man aussucht. Solange wir nicht mehr Daten haben, bringt es nichts, darüber zu spekulieren (abgesehen davon, dass es natürlich sehr interessant ist). Das gilt um so mehr, wenn man irgendwelche Zahlenspielereien zur Frage nach intelligenten Lebewesen anstellt. Hier ist die Datenlage noch schlechter. Und pessimistischer… Auf der Erde ist das Leben während des Großteils der Milliarden Jahre seiner Existenz wunderbar ohne Intelligenz ausgekommen. Wir Menschen sind erst eine neue und nach kosmischen Maßstäben sehr kurzfristige Erscheinung. Es ist nicht im geringsten belegt, das sich Leben zwangsläufig irgendwann zu intelligentem Leben weiter entwickeln muss. Hier mit Formeln berechnen zu wollen, wie häufig so eine Entwicklung anderswo vorkommen kann, ist müßig (weswegen ich den zweiten Teil von Wandels Arbeit, in dem er genau das macht, auch gar nicht weiter besprechen will).
Uns helfen nur mehr Daten weiter! Aber die werden wir hoffentlich bald kriegen. Wenn die neuen großen Teleskope (wie das European Extremly Large Telescope) fertig werden, können wir die Planeten in der näheren kosmischen Umgebung genauer unter die Lupe nehmen; ihre Atmosphären analysieren und nach den Anzeichen von Leben suchen. Je nachdem, wie viele und wie gute Hinweise wir da finden, können wir dann endlich daran gehen, Zahlen für die Drake-Gleichung abzuchätzen, die über reines Raten und Wunschdenken hinaus gehen! Erst dann machen die ganzen Zahlespielereien Sinn. Bis es soweit ist, werden wir noch ein oder zwei Jahrzehnte warten müssen (es sei denn, es findet zufälligerweise demnächst eine Alien-Invasion statt – dann hätte sich die Sache schon früher geklärt). Aber das Warten lohnt sich. Daten sind immer besser als Spekulationen…
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