Volker Wittmann hat ein Problem mit der Astronomie. Und er hat darüber einen Artikel geschrieben, der unter dem Titel “Alienscheu der Astrophysik” (WebCite) am 31.12.2014 bei Telepolis erschienen ist. Der Untertitel sagt deutlich, worauf Herr Wittmann hinaus will: “Vierhundert Jahre Leugnung des belebten Weltraums”.
Früher, so diese These des Artikels, hat die Kirche gnadenlos alle verfolgt und verbrannt, die sich für die Existenz außerirdischer Lebewesen ausgesprochen haben. Giordano Bruno dient hier wie üblich als Beispiel, auch wenn in seinem Fall weniger die Aliens das Problem waren, sondern die kirchliche Interpretation seiner Philosophie, die angeblich kein Platz für ein “jüngstes Gericht” Gottes lassen würde. Aber die Geschichten von Kirche und Ketzern dienen Wittmann nur als Einleitung. Denn er ist der Meinung, dass heute gerade die Astronomen diejenigen sind, die den Glauben an außerirdische Lebewese unterdrücken wollen:
“Statt Klerikern predigen heute geschmerzte Astrophysiker in verständlich gemeinten Sendungen des Fernsehens mühsam beherrscht wie gegenüber uneinsichtigen Kindern, dass für fremde Wesen im All keine Beweise vorlägen. Das hat freilich viel damit zu tun, dass sie gar nicht danach suchen.”
Diese Aussage ist natürlich nicht nur enorm absurd, sondern auch falsch. Schon seit 2000 Jahren beschäftigen sich die Wissenschaftler mit der Frage nach der Existenz außerirdischer Lebewesen und machen sich Gedanken darüber, wie man sie finden könnte (ich habe darüber ausführlich in meinem Buch “Die Neuentdeckung des Himmels” berichtet). Und da nun mal eben keine “Beweise” für die Existenz von außerirdischem Leben vorliegen, können die Wissenschaftler auch im Fernsehen nichts anderes berichten (und mir wäre übrigens nicht bekannt, dass sie das “geschmerzt” oder “mühsam beherrscht” tun würden).
Herr Wittmann meint auch herausgefunden zu haben, warum wir Astronomen angeblich so eine große Abscheu vor der Existenz von außerirdischen Lebewesen verspüren. Wir beschäftigen uns nämlich nur mit der kalten und herzlosen Physik:
“Die Scheu berufsmäßiger Sterngucker vor außerirdischem Leben hat auch mit ihrem Herkommen zu tun. Astronomie ist fast ausschließlich Sache der Physik. Das ist die Kunde von der unbelebten Natur. Physikern erscheint das All als eine Art Vakuum-Wüste, nur sehr spärlich durchsetzt mit Staub und Strahlung in wechselnder Gestalt. Für die berückende Vielfalt sterblicher Geschöpfe ist in ihrem abweisenden Reich der Kälte kein Platz.”
Die “berückende Vielfalt sterblicher Geschöpfe” ist aber eben nun mal das Arbeitsgebiet der Biologie. Ich verstehe den Vorwurf hier nicht ganz. Stört sich Herr Wittmann daran, dass die Astronomen Astronomie betreiben und keine Biologen sind? Abgesehen davon schreibt er ja selbst gleich im nächsten Absatz von der Disziplin der Astrobiologie, die beide Wissenschaften verbindet. Er behauptet allerdings:
“Noch haben Astrobiologen keinen Eingang an den Hochschulen gefunden.”
Das ist natürlich ebenfalls so nicht korrekt. Eine kurze Internetsuche nach Schlüsselwörtern wie “Astrobiology University” oder “Astrobiologie Universität” liefert eine Vielzahl von astrobiologischen Forschungseinrichtungen an Universitäten überall auf der Welt. Es gibt überall – und auch in Deutschland (hier ist nur ein Beispiel von vielen) – Vorlesungen zur Astrobiologie; es gibt Konferenzen, Forschungsprojekte, Doktorarbeiten, Bücher, usw. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie Herr Wittmann auf die Idee kommt, die Astrobiologie wäre an den Hochschulen nicht präsent.
Der Artikel geht dann mit den üblichen Vorurteilen gegenüber der Wissenschaft weiter. Die Forscher wären alle konservativ und nur auf ihre Karriere bedacht. Ergebnisse, die nicht in ihr Weltbild passen, müssen ignoriert oder uminterpretiert werden. Und als Beispiel für so einen Prozess bringt Wittmann dann gerade die Entdeckung der Pulsare durch Jocelyn Bell-Burnell. Ich habe von dieser faszinierenden Geschichte schon ausführlich berichtet. Pulsare sind die extrem verdichteten Kern großer Sterne die am Ende deren Lebens übrig bleiben. Sie rotieren extrem schnell und geben aufgrund starker Magnetfelder ihre elektromagnetische Strahlung in eng fokussierten Bündeln an; ein wenig so wie das Licht eines Leuchtturms. Durch die Rotation sehen wir die Pulsare von der Erde aus “blinken” und das tun sie genau so regelmäßig, wie sie regelmäßig um ihre Achse rotieren.
Die regelmäßigen Signale der Pulsare waren etwas, mit dem man nicht gerechnet hatte, als man sie entdeckte. Der erste Pulsar bekam den Spitznamen “LGM” verpasst, was für “Little Green Man” stand, weil man – nicht ernsthaft! – eine Verbindung zu Radiobotschaften von Außerirdischen gezogen hat. Es war allerdings allen beteiligten Forschern ziemlich schnell klar, dass man es hier mit einem natürlich und keinem künstlichen Phänomen zu tun hat. Und in den Jahrzehnten die seitdem vergangen sind, haben wir viel mehr über die Pulsare gelernt und dank ihnen die Entwicklung von Sternen viel besser verstanden. Aber für Wittmann scheint das irgendwie alles nicht richtig zu sein. Er vermutet hier anscheinend eine groß angelegte Vertuschungsaktion:
“Doch es war nur eine Studentin namens Jocelyn Bell, die den Aufsehen erregenden Fund machte. Sie weilte gerade zu Übungen an der Sternwarte im englischen Cambridge. Hochrangige Astrophysiker wiegelten ab. Sie ließen eine vordergründige Theorie zusammen klempnern, wonach es sich nur um dicht gepackte Brocken handle, Reste einstiger Sonnen.”
Der ganze Artikel bei Telepolis ist sehr verwirrend. Es wird zumindest mir nicht richtig klar, was und wen Volker Wittmann hier eigentlich kritisieren will. Beschwert er sich anfangs noch darüber, dass die Wissenschaftler die Existenz von Aliens mit Unbehagen betrachten und sich nicht ausreichend um die Forschung auf diesem Gebiet kümmern würden, zitiert er am Ende seines Textes jede Menge Wissenschaftler, die sich zur Frage des außerirdischen Lebens geäußert haben, nur um zu erklären, dass ihre Sicht der Dinge ebenfalls falsch ist…
Wer tatsächlich Ahnung von der modernen Astronomie hat, kann eigentlich nicht zu dem Schluss kommen, dass man sich nicht ausreichend mit der Suche nach außerirdischen Leben beschäftigen würde. Die Suche nach extrasolaren Planeten; die Suche nach dem Ursprung des Lebens auf der Erde (das war zum Beispiel eines der Ziele der Rosetta-Mission); die Charakterisierung Planeten anderer Sterne und die Suche nach lebensfreundlichen Himmelskörpern; theoretische Überlegungen zur Astrobiologie; die Suche nach Lebensspuren auf Planeten unseres Sonnensystems; und so weiter: All das gehört zu den aktivsten Forschungsbereichen der Gegenwart. Die Frage nach der Existenz von außerirdischem Leben ist (gemeinsam mit einigen anderen Problemen) DAS große aktuelle Forschungsgebiet der Astronomie. Zu behaupten, dass die Astrophysik eine “Scheu” gegenüber diesem Thema hegen würde, ist so weit von jeder Realität entfernt, dass es nicht einmal mehr falsch ist, sondern einfach nur noch absurd.
Mir kommt es so vor, als wäre Herr Wittmann einfach nur ein wenig beleidigt, dass die Astronomie Wissenschaft betreibt und keine Science-Fiction. Natürlich ist es enorm spannend, sich über all das Gedanken zu machen, was man bei Star Trek, Perry Rhodan und Co lesen und sehen kann. Aber die Realität ist eben nun mal die Realität. Und solange die Existenz von außerirdischem Leben nicht nachgewiesen ist, wird kein ernstzunehmender Wissenschaftler etwas anderes behaupten. Weil es eben Wissenschaft ist und keine Science-Fiction. Ich kann den Frust in gewissem Sinne auch nachvollziehen. Bei meinen Vorträgen und im Gespräch mit den Lesern meines Blogs treffe ich oft auf enthusiastisch Science-Fiction-Fans, die (völlig zu Recht) von Raumfahrt, außerirdischen Lebensformen, Warp-Antrieben und anderen ähnlichen Themen begeistert sind. Und es sind ja auch begeisternde Themen, die zum Nachdenken anregen. Wer wünscht sich keine neue, spannende Welt in der wir mit Wesen von anderen Welten Kontakt haben und vielleicht sogar selbst zu anderen Welten fliegen können? Und wenn dann die Wissenschaft kommt und zeigt, dass die Realität eben anders ist als die Visionen der Science-Fiction-Autoren, dann kann das durchaus enttäuschend sein.
Aber nur, wenn man vergisst, dass die Realität gegenüber der Science-Fiction den großen Vorteil hat, tatsächlich real zu sein! Die Entdeckung extrasolarer Planeten mag auf den ersten Blick nicht so spannend sein, wie zum Beispiel die Kinoabenteuer der Raumfahrer bei “Interstellar” und ihrem Flug ums schwarze Loch. Aber die Exoplaneten die von den Astronomen mittlerweile fast täglich gefunden werden, sind tatsächlich dort draußen im Weltraum! Es sind echte Welten die wir ganz real erforschen können und das auch tun.
Die Astronomen tun im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr, sehr viel um die uralte Frage nach der Existenz fremder Lebewesen zu beantworten. Und ja, natürlich könnte man da noch mehr tun. Man könnte noch mehr Zeit, Geld und Ressourcen für diese Forschung aufwenden und ich bin durchaus der Meinung, dass wir das auch tun sollten! Aber wenn wir als Gesellschaft diesen Weg gehen wollen, dann sollten wir uns bemühen, die Faszination dieser realen Erforschung des Universums zu vermitteln. Artikel wie der von Volker Wittmann erreichen genau das Gegenteil. Wenn Herr Wittmann wirklich an der Suche nach außerirdischen Lebewesen interessiert ist, dann sollte er sich vielleicht ein wenig intensiver mit der aktuellen astronomischen Forschung beschäftigen anstatt sich utopische Science-Fiction-Welten herbei zu wünschen und sich darüber zu beschweren, dass die Wissenschaft sich mit der Realität beschäftigt.
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