Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Stuff Matters: Exploring the Marvelous Materials That Shape Our Man-Made World”* von Mark Miodownik. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier.
Die ersten vier Kapitel des Buchs haben alle mehr oder weniger bodenständige Materialien behandelt: Stahl, Papier, Beton und Schokolade. In Kapitel 5 aber wird es nun so richtig abgehoben und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Es geht um Aerogele.
Den ersten Kontakt zu diesem besonderen Material hatte Miodownik, als er in einem Labor der amerikanischen Regierung arbeitete. Für ihn als Briten war dort das meiste geheim und als er einmal zufällig einen Blick auf die Arbeit eines Kollegen werfen konnte, wurde ihm schnell klar gemacht, dass es hier nichts weiter zu sehen gibt und er am besten vergessen sollte, dass da überhaupt etwas zu sehen war. Erst 2004 fand Miodownik heraus, an was man damals dort gearbeitet hatte. Denn da wurde in den Medien über die Stardust-Raumsonde der NASA berichtet, die sich daran machte, Staubpartikel eines Kometen einzufangen und zur Erde zu bringen. Das Material das dabei eine wichtige Rolle spielte, war genau das, das Miodownik damals gesehen hatte: Ein Aerogel.
Die Geschichte der Entdeckung dieses ganz besonderen Stoffs könnte absurder nicht sein. Sie beginnt mit Wackelpudding. Was, so hat sich der amerikanische Chemiker Steven Kistler Anfang des letzten Jahrhunderts gefragt, ist Wackelpudding eigentlich? Das Zeug ist nicht flüssig, aber so richtig fest ist es auch nicht. Er kam zu dem Schluss, dass es sich um eine Flüssigkeit handeln muss, die in einem dünnen, festen Netzwerk eingesperrt ist. Beim Wackelpudding besteht dieses Netzwerk aus langen Gelatine-Molekülen und ist in der Lage, Flüssigkeiten einzuschließen. Kistler wollte nun wissen, ob man das Wasser aus diesem Netzwerk irgendwie rausbekommen kann. Und wenn ja, wäre das übrigbleibende Gitternetz stabil? Die Antwort veröffentlichte er 1930 in der Fachzeitschrift Nature und das Resultat seiner Experimente war die Erfindung des Aerogels. Mit einem komplizierten Prozess (den ich nicht im Detail beschreiben will – ihr sollt das Buch ja auch noch selbst lesen 😉 ) gelang es ihm tatsächlich, die Flüssigkeit zu entfernen so dass nur ein stabiles Netz übrig blieb. Obwohl “stabil” im Falle von Gelatine natürlich relativ ist. Besser lief es, wenn man statt der Gelatine Siliciumdioxid verwendet. Damit kann man ein Silicat-Aerogel herstellen und das ist wahrhaftig außergewöhnlich. Es besteht zum Großteil aus Luft (bis zu 99,98 Prozent!), ist der leichteste bekannte Feststoff und sieht so aus:
Man kann kaum erkennen, wo das Aerogel aufhört und die Luft anfängt. Und es schimmert blau – obwohl da eigentlich nichts ist, das eine blaue Farbe hat. Wie Miodownik erklärt, ist es aus dem gleichen Grund blau, aus dem auch der Himmel blau ist. Das Sonnenlicht wird an den Molekülen der Luft gestreut und der blaue Anteil stärker als der rote und die anderen Farben. Weil das blaue Licht viel öfter hin und her gestreut wird, kommt es aus allen möglichen Richtungen in unsere Augen und wir sehen einen blauen Himmel. Das funktioniert aber nur, wenn genug Luft da ist – die Luft in einem Raum ist ja ganz offensichtlich nicht blau. In einem Aerogel aber existieren Milliarden kleiner interner Oberflächen die die Luft umschließen so dass auch dort ausreichend Streuung stattfinden kann.
Aerogele sind auch die besten Isolatoren: Sie wirken wie ein doppelt verglastes Fenster – nur existiert in ihnen eben nicht nur eine Luftschicht, sondern Milliarden. Da die Energie zur damaligen Zeit aber enorm billig und Aerogele enorm teuer waren, wurde es nie zur Isolierung eingesetzt und auch zu sonst nicht viel. Erst in der Raumfahrt konnte das Material sein volles Potential entfalten. Die Kosten spielten da keine so große Rolle und wenn man irgendwas gegenüber dem eiskalten All isolieren will, dann sind Aerogele ideal. Es kam das erste Mal bei der Mars Pathfinder Mission im Jahr 1997 zum Einsatz und dann immer wieder. Unter anderem bei der anfangs erwähnten Stardust-Sonde.
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