Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Stuff Matters: Exploring the Marvelous Materials That Shape Our Man-Made World”* von Mark Miodownik. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier.
In “Stuff Matters” haben wir Stahl, Papier, Beton und Schokolade kennengelernt. Im letzten Kapitel hat uns das Aerogel gezeigt wie die Zukunft aussehen könnte. Und in Kapitel 6 führt uns Mark Miodownik in die Vergangenheit und erklärt uns die Wild-West-Vergangenheit des Plastiks.
Ich habe ja schon erwähnt, dass die einzelnen Kapitel des Buchs stilistisch durchaus unterschiedlich sind; je nach der Thematik von der sie handeln. Kapitel 6 ist besonders speziell: Es kommt in Form eines Drehbuchs daher…
Das liegt an einem Ereignis aus Miodowniks Studienzeit. Dort wollte er sich einen Vorstellung von “Zwei Banditen” (“Butch Cassidy and the Sundance Kid”) ansehen; geriet in der Warteschlange vor dem Süßigkeitenstand aber mit einem anderen Kinobesucher in Streit. Der hatte sich über die Plastikverpackung des Süßkrams beschwert und war nicht begeistert von Miodowniks Einwurf: Wenn es einen Ort gibt, an dem man nicht über Plastik meckern sollte, dann doch wohl im Kino! Sein Gegenüber wollte das allerdings nicht einsehen und Miodownik sparte sich eine weitere Diskussion. Aber für sein Buch hat er in Erinnerung an diese Episode die Form eines Western-Drehbuchs gewählt, um über Plastik zu erzählen.
Die Story beginnt ganz typisch in einem Saloon, mit zwei Billiard spielenden Cowboys. Allerdings geht eine der Kugeln plötzlich mit einem lauten Knall in Rauch auf und in der folgenden Schießerei stirbt einer der Spieler. Und weil das doch ein wenig seltsam klingt, hat Miodownik zwischendurch immer wieder ein paar Erklärungen eingeschoben. In denen erfahren wir, dass es diese “explodierenden” Billiardkugeln früher tatsächlich gab. Ursprünglich waren die Kugeln aus Elfenbein gemacht, das als einziges Material formbar, stabil und spielbar genug für Billiard war. Aber eben auch enorm teuer; zu teuer um den Bedarf zu stillen. Deswegen schrieb ein Hersteller von Billiardtischen einen Preis aus für denjenigen, der das Problem löst und einen billigen Ersatz findet.
Das war John Wesley Hyatt und er entwickelte Holzukugeln, die mit einem auf Nitrozellulose basierenden Material überzogen waren. Damit konnte man zwar Billiard spielen – aber wegen der Nitrozellulose (die nicht umsonst auch “Schießbaumwolle” genannt wird), knallten die eben öfter mal. Hyatt experimentierte weiter und entwickelte am Ende ein Verfahren mit dem der neue Kunststoff “Zelluloid” industriell hergestellt werden konnte.
Miodowniks Drehbuch verfolgt Hyatt weiter bei seiner Arbeit; aber auch den Bruder des toten Cowboys, der auf Rache sinnt und den Erfinder der knallenden Billiardkugeln umbringen will. Hyatt aber wird immer erfolgreicher; es finden sich immer neue Anwendungen für den neuen, formbaren Kunststoff. Man macht Kämme daraus, Schmuckstücke und sogar Gebisse. Irgendwann taucht dann George Eastman mit der Idee auf, die unhandlichen und schweren Fotoplatten aus Glas durch Zelluloid zu ersetzen. Das leichte und flexible Material kann aufgerollt werden und anstatt große Kameras und schwere und teure Glasplatten durch die Gegend zu schleppen könnten Fotografen nun kleine Geräte mit einem aufgerollten Zelluoidfilm benutzen. Fotografie wäre dann etwas, was sich jeder leisten könnte…
Die Technik funktioniert und die neuen Kodak-Kameras sind der Hit. Jetzt ist es auch möglich, so viele Bilder auf einen Film zu bannen, dass bewegte Bilder praktikabel werden. Der Siegeszug des Kinos – und der Westernfilme – beginnt…
Und wie endet das Drehbuch von Miodownik? Kann sich der Cowboy an Hyatt und seinem Plastik rächen? Lest das Buch selbst – ich will nicht alles verraten 😉 Klar ist auf jeden Fall, dass es ohne Plastik kein Kino gegeben hätte; auch wenn mittlerweile fast alles digital läuft. Aber immer noch spielt Plastik eine große Rolle in unserer Welt. Und wenn man sich bewusst wird, WO überall Plastik verwendet wird (zum Beispiel in vielen Medikamenten) und berücksichtigt, dass zur Herstellung des Plastiks so gut wie immer Erdöl benötigt wird, dann ist es eigentlich vollkommen absurd, das wir diesen wertvollen (und begrenzten!) Rohstoff einfach verbrennen. Darüber sollte man sich aufregen und nicht über die Plastikverpackung von Kino-Süßkram!
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