Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Stuff Matters: Exploring the Marvelous Materials That Shape Our Man-Made World”* von Mark Miodownik. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier.
Stahl, Papier, Beton, Schokolade, Aerogel und Plastik waren schon an der Reihe. Aber ein sehr wichtiges Material ohne das unsere Welt nicht auskommen würde, fehlt noch. Das treffen wir in Kapitel 7 des Buchs: Glas.
Glas ist eigentlich schon ein ziemlich seltsames Material. Eigentlich ist es nur geschmolzener Sand – sieht dann aber dem Sand überhaupt nicht mehr ähnlich. Glas ist durchsichtig und Sand nicht. Warum ist das so? Miodownik ist der Meinung, dass das die falsche Frage ist. Besser wäre: Wieso ist eigentlich nicht jedes Material durchsichtig? Denn immerhin ist jedes Atom vor allem sehr viel Nichts. Es besteht aus einem Atomkern in der Mitte und Elektronen in einer Hülle außen drum herum und dazwischen ist sehr viel Leere. Der übliche Vergleich ist hier ein Fußballstadion, dessen Größe dem eines Atoms entspricht. Der Atomkern ist dann so groß wie eine Erbse und liegt im Zentrum des Stadiums. Die Elektronen sind so groß wie Sandkörner und befinden sich an den äußeren Sitzplatzen des Stadiums. Licht hätte also genug Platz, um das Atom ungestört zu durchqueren – bei jedem Material, nicht nur bei Glas. Warum also sind manche transparent und manche nicht?
Das liegt an den Quanten! Wie Max Planck schon 1900 festgestellt hat, kann Energie nur in bestimmten, fest definierten “Paketen” transferiert werden. Licht das auf ein Atom trifft, kann also absorbiert werden. Aber nur dann, wenn die Elektronen genau in der richtigen Position sind, um auch exakt die Energiemenge aufnehmen zu können, die im Licht steckt. So wie Energie nicht beliebig aufgeteilt werden kann, können sich auch die Elektronen nicht an beliebigen Positionen in der Hülle der Atome aufhalten. Und um den Sprung von einer erlaubten Position zur anderen zu schaffen, ist eben eine fest definierte Menge an Energie nötig. Wenn das Licht diese Energiemenge mitbringt, dann wird es absorbiert. Und wenn nicht, dann nicht. Im ersten Fall ist das Material undurchsichtig; im zweiten transparent. Das ist übrigens auch der Grund, warum man in einem Auto keinen Sonnenbrand kriegt: Normales Licht hat nicht genug Energie um die Elektronen ausreichend zu schubsen und dringt durch das Glas. Der höherenergetische UV-Anteil des Lichts (der auch für den Sonnebrand zuständig ist), wird von den Elektronen aber absorbiert und Glas ist für UV-Licht daher nicht transparent.
Wie immer erklärt Miodownik nicht nur die grundlegenden chemischen und physikalischen Eigenschaften des Materials sondern erzählt auch jede Menge andere interessante Geschichten. Zum Beispiel, warum es so schwer ist, Glas herzustellen. Da reicht es nicht, einfach Sand in ein normales Feuer zu werfen. Es muss richtig heiß werden; über 1200 Grad Celsius und das schafft man nicht so einfach. Blitze können das aber problemlos und wenn ein Blitz in der Wüste einschlägt, findet man dort oft sogenannte “Fulgurite”; also lange Glasröhren, die aus dem vom Blitz geschmolzenen Sand erzeugt wurden. Die sind nicht nur cool, sondern auch für die Forschung wichtig: In ihnen eingeschlossen sind Luftblasen, die es möglich zu studieren, wie die Atmosphäre zum Zeitpunkt des Einschlags beschaffen war.
Interessant sind auch Miodowniks Ausführungen zur Kulturgeschichte des Glases. Ägypter und Griechen hatten zwar auch schon ein wenig Glas produziert aber so richtig billig und in größeren Mengen konnten es erst die Römer. In Asien, wo man bei vielen Entwicklungen dem antiken Europa voraus war, hat man dagegen kein Glas hergestellt sondern höchstens ein wenig aus dem Westen importiert. Für die Fensterscheiben verwendete man dort zum Beispiel Papier und kein Glas. Das führt Miodownik zu einer interessanten Spekulation: Hat der Mangel eigener Glasproduktion dazu geführt, dass China und Japan in Sachen Naturwissenschaft gegenüber Europa in Rückstand gerieten? Die wissenschaftliche Revolution der Neuzeit wurde ja im 17. Jahrhundert durch zwei Erfindungen angestoßen, die ohne Glas nicht denkbar wären: Teleskop und Mikroskop. Diese Instrumente gelangten erst später nach Asien, als in Europa die neue Naturwissenschaft schon in voller Blüte war.
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