Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Stuff Matters: Exploring the Marvelous Materials That Shape Our Man-Made World”* von Mark Miodownik. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier.
Die meisten Materialien, die wir im Buch bisher kennengelernt haben, verbinden wir meistens mit Industrie, Architektur und Technik: Stahl, Beton, Aerogel, Plastik, Glas und Graphit. Aber es gab auch Ausnahmen, bei denen wir eher an einen privaten Gebrauch denken: Papier und Schokolade. In Kapitel 9 treffen wir auf ein drittes “heimeliges” Material: Das Porzellan.
Die Geschichte von Keramik und Porzellan erzählt Miodownik anhand der letzten verbleibenden Teetasse aus dem Service, das seine Eltern zur Hochzeit geschenkt bekommen haben. Für ihn ist die Tasse ein Alltagsgegenstand; für seine Eltern war es das “gute” Geschirr, das nur zu speziellen Anlässen heraus geholt wurde. Und speziell ist Porzellan auf jeden Fall. Hier zeigt sich wieder das, was ich schon beim letzten Kapitel festgestellt habe: Es ist erstaunlich, wie sehr die Eigenschaften eines Materials davon abhängen, wo und wie die Atome positioniert sind, aus denen es besteht. Ordnet man sie nur ein bisschen anders an, ändern sich die Eigenschaften des Stoffs total.
Ton ist ja erstmal nicht viel anderes als Matsch. Keiner käme auf die Idee, dass es als Essgeschirr dienen könnte. Schmeisst man den Ton aber ins Feuer, wird er fest. Diese simplen Töpferwaren waren für die Entwicklung der Menschheit enorm wichtig und ohne sie hätte sich vermutlich keine Landwirtschaft entwickeln können und es ist fraglich, ob wir ohne stabile Aufbewahrungsgefäße jemals sesshaft geworden wären.
Das mit dem “stabil” ist aber so eine Sache. Unbehandelte Terrakotta-Keramik hält nicht lange durch. Irgendwann dringt Wasser in die Poren ein und wenn es erhitzt wird, dehnt es sich aus und es gibt Risse, die das Gefäß irgendwann zerspringen lassen. Und wieder einmal sind die Atome schuld…
Ton besteht aus diversen pulverisierten Mineralen; aus lauter kleinen Kristallen und Wasser. Erhitzt man den Ton, dann verdampft das Wasser und übrig bleiben die Kristalle, die durch Löcher voneinander getrennt sind. Diese Poren will man aber vermeiden und die Lösung heißt: Mehr Hitze! Je höher die Temperatur, desto beweglicher werden die Atome und ein paar von ihnen können in die Lücken vordringen und sie Stück für Stück schließen. Je weniger Lücken, desto stabiler ist die entstehende Keramik. Bei normaler Terrakotta wird man aber nie alle Poren los. Die ersten, die wirklich stabile Keramik erzeugen konnten, war die Töpfer in Asien. Zuerst haben sie festgestellt, das man die Tonwaren mit einer bestimmten Art von Asche bedecken kann, die beim Brennen zu einer glasartigen Glasur wird und so die Poren an der Außenseite versiegelt. Und durch Versuch und Irrtum entdeckte man vor 2000 Jahren in China, das eine Mischung aus Ton, dem Mineral Kaolin und ein paar anderen Zutaten bei sehr hohen Temperaturen von 1300 Grad Celsius eine Keramik erzeugt, die stabiler, härter und vor allem schöner ist als alles andere. Sie hatten das Porzellan entdeckt!
Es war so stark, das auch extrem dünne Gefäße stabil genug zur Nutzung waren. Es war nicht erdfarben rötlich-braun, sondern strahlend weiß und es wurde zu einem Statussymbol der herrschenden Klasse. Das Geheimnis seiner Herstellung wurde streng gehütet und auch die Europäer die das Porzellan auf ihren Reisen in den Osten entdeckten, kriegten nicht heraus, wie man es herstellt. Das wollten sie aber unbedingt, denn wer selbst das “weiße Gold” herstellen könnte, würde damit jede Menge Ansehen (und Geld!) gewinnen. Wie die Geschichte weitergeht, werden die meisten wissen: Anfang des 18. Jahrhunderts sperrte August der Starke von Sachsen den Apothekerlehrling Johann Friedrich Böttger ein. Nicht, weil er ein Verbrechen begannen hatte, sondern weil er alchemistische Studien betrieb und August von ihm die Staatskasse auf magischem Weg mit Gold gefüllt sehen wollte. Das schaffte Böttger natürlich nicht. Aber ihm gelang es, das Rezept für die Porzellanherstellung zu entschlüsseln und damit war das heute weltberühmte Meißner Porzellan geboren.
Den Rest des Kapitels füllt Miodownik mit einer sehr langen und sehr schönen Erzählung über die Entstehung des Teeservices seiner Eltern in den Töpfereien von Stoke-on-Trent in den englischen Midlands wo die bekannte Keramik von Josiah Wedgewood gefertigt wurde. Von den Kaolin-Minen in Cornwall und die rauchverhangenen Städte in Staffordshire über die Verarbeitung des Keramikpulvers, die heißen Brennöfen der Töpfer bis hin zur letzten Klangprobe des fertigen Porzellans beschreibt Miodownik den Herstellungsprozess so anschaulich, dass man das Gefühl hat, selbst dabei gewesen zu sein. Ich spare mir eine Zusammenfassung – lest das Kapitel am besten selbst!
Die Geschichte des Porzellans und der Keramik ist aus wissenschaftlicher Sicht enorm spannend (und es ist faszinierend darüber nachzudenken, wie sehr Geschirr die Geschichte der Menschheit beeinflusst hat). Als Kunst hat mich Porzellan allerdings nie angesprochen und mit den Porzellanfiguren die man in vielen Museen sehen kann, konnte ich nie viel anfangen (gleich in meiner Nachbarschaft gibt es ja sogar ganze Porzellanwelten, die mich aber auch nie vom Hocker gerissen haben). Aber das macht ja nichts – man muss ja nicht alles toll finden. Und wenn ich an die Atome denken, die in der Gluthitze des Feuers ihre Positionen wechseln und Matsch in feste Keramik verwandeln, dann hat das seine ganz eigene Schönheit!
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