Wie gesagt: Die Sache ist knifflig! Und vermutlich wird sie so schnell nicht aufgeklärt werden. Aber natürlich lassen die Wissenschaftler nicht locker. Julian Barbour von der Universität Oxford und seine Kollegen haben sich erst letztes Jahr wieder damit beschäftigt (“Identification of a Gravitational Arrow of Time”) und sind dabei auf eine sehr faszinierende Variante einer Lösung gestoßen. In ihrer Arbeit (die kostenlos gelesen werden kann) betrachten sie die gravitative Wechselwirkung zwischen jeder Menge Teilchen, simulieren also quasi ein Modell der Bewegung der Teilchen im Universum. Genauer gesagt: Sie entwickeln eine mathematische Theorie, rechnen also analytisch und führen keine Computersimulation durch. Betrachtet man diese Entwicklung lange genug, dann ordnen sich die Teilchen normalerweise in einzelnen Untersystemen an, die miteinander kaum noch wechselwirken. Es passiert also das, was auch im realen Universum passiert ist: Aus einer dichten Wolke von Materie wurden einzelne Galaxien, die aus einzelnen Sternen mit Planetensystemen bestehen. Das war auch schon vorher bekannt, aber Barbour und seine Kollegen konnten zeigen, dass in den Gleichungen noch mehr steckt. Verfolgt man die Entwicklung vom Endzustand aus rückwärts, dann landet man bei einem Zustand, in dem die Materie dicht beieinander liegt und maximal ungeordnet ist. Auch das ist noch keine Überraschung. Aber: Von diesem Punkt aus kann sich das System in zwei verschiedene Zukünfte entwickeln. Beide sind symmetrisch, nur die Zeit läuft einmal “vorwärts” und einmal “rückwärts”. Es gibt also zwei “Spiegeluniversen”, mit unterschiedlichen Zeitrichtungen. Wir, die wir nur das eine Universum wahrnehmen können, sehen kein vollständiges Bild und deswegen kommt es uns so vor, als sei eine Richtung der Zeit bevorzugt. Aber global gesehen ist alles in Ordnung und ausgeglichen.
Nun. Soweit die Arbeit von Barbour und seinen Kollegen. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon soll. Zuerst einmal fehlt mir das Fachwissen, um wirklich alles exakt zu verstehen, was sie gemacht haben. Aber natürlich stellt sich da sofort die Frage: Nur weil die Gleichungen das so sagen, muss das doch nicht auch die Realität sein, oder? Um daraus wirklich eine plausible Erklärung für die Entstehung der Richtung der Zeit zu machen, bräuchte es irgendwelche überprüfbaren Vorhersagen und die scheint es meines Wissens nach hier nicht zu geben. Außerdem ist die Beschreibung von Barbour und seinen Kollegen eine, die rein auf der Newtonschen Mechanik basiert. Die umfassendere allgemeine Relativitätstheorie ist da nicht inkludiert und wir wissen, dass sie bei kosmologischen Vorgängen wichtig ist. Außerdem wissen wir ebenfalls, dass der Urknall selbst auch durch die Relativitätstheorie nicht beschrieben kann – hier bräuchte es eine noch umfassendere Theorie, die wir allerdings noch nicht kennen.
Soweit ich das bisher überblicken kann (und wer besser Bescheid weiß, möge mich korrigieren), ist die Geschichte vom Spiegeluniversum derzeit nicht mehr als eine sehr fantasievolle Interpretation eines mathematischen Resultats, das mit der Realität zu tun haben kann, aber bei weitem nicht zu tun haben muss. Aber es ist trotzdem interessant, darüber nachzudenken. Und wichtig: Denn nur wenn wir weiter über solche Themen nachdenken, besteht eine Chance, das wir am Ende irgendwann eine Antwort finden.
Kommentare (56)