Ich lese gerade ein Buch über die wissenschaftliche Erforschung des Chaos (mehr dazu am Ende des Monats bei den Buchrezensionen) und die Geschichten dort haben mich wieder an meine Anfangszeit als Wissenschaftler an der Uni erinnert, als ich mich ja intensiv mit der Chaostheorie beschäftigt habe. Ich hatte schon fast vergessen, wie faszinierend diese Thematik ist und das Buch hat mich überzeugt, auch in meinem Blog wieder ein bisschen mehr über das Chaos zu schreiben. Vor 5 Jahren gab es ja schon mal eine lange Serie dazu (Einleitung, Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4) und kürzlich auch drei Folgen meines Podcasts zum Chaos (Folge 93, Folge 94, Folge 95). Aber die waren – das lässt sich beim Chaos nur schwer vermeiden – alle ein wenig technisch und mathematisch. Anstatt jetzt also noch einmal die ganzen mathematischen Grundlagen nichtlinearer dynamischer Systeme aufzuarbeiten, möchte ich mich lieber auf ein paar der faszinierenden Objekte und Aspekte des Chaos konzentrieren. Ein “Best of Chaos” sozusagen – und den Anfangen machen die seltsamen Attraktoren, die diesen Namen nicht umsonst tragen und wahrhaftig seltsam sind…

Um zu erklären was ein “Attraktor” ist, kommt man aber nicht umhin, zuerst doch noch einmal kurz technisch zu werden und über Phasenräume zu sprechen. Aber keine Sorge, das ist nicht wirklich kompliziert. Ein “Phasenraum” ist kein realer Raum, sondern ein abstrakter, mathematischer Raum; genau so wie das xyz-Koordinatensystem, das wir alle aus der Schule kennen. Am besten kann man sich das – wie so vieles in der Chaostheorie – mit einem Pendel vorstellen. Ein idealisiertes Pendel hat genau zwei Eigenschaften, die seinen Zustand vollständig beschreiben: Die Geschwindigkeit, mit der es sich gerade bewegt und den Winkel, um den es gerade aus der Senkrechten ausgelenkt ist. Kennt man diese zwei Werte, dann weiß man aus mathematischer Sicht alles, was man über das Pendel wissen kann. Der Phasenraum so eines Pendels ist also ein zweidimensionales Koordinatensystem mit Winkel und Geschwindigkeit als Koordinaten und ein Punkt im Phasenraum repräsentiert den aktuellen Zustand des Pendels.

Für jeden beliebigen Zeitpunkt kann man einen Punkt in den Phasenraum zeichnen und am Ende bekommt man so eine Linie, die anzeigt, wie sich der Zustand des Pendels im Laufe der Zeit verändert. Diese Linie nennt man “Phasenraumorbit” oder auch “Trajektorie” und die Analyse solcher Orbits spielt eine fundamentale Rolle in der Chaostheorie.

Jetzt kommen auch die Attraktoren ins Spiel: Ein “Attraktor” ist ein Punkt oder Bereich im Phasenraum, der eine Trajektorie quasi “anzieht”. Nicht durch irgendeine physikalische Kraft, sondern weil der Attraktor einen Zustand des Systems darstellt, den das System gerne einnehmen möchte. Beim Pendel kann man sich das leicht vorstellen: Überlässt man ein normales Pendel sich selbst, dann wird es im Laufe der Zeit immer langsamer schwingen bis es irgendwann zum Stillstand kommt und nur noch senkrecht nach unten hängt. Diesen Zustand wird das Pendel immer erreichen, egal wie stark man es Anfang anstößt. Anders gesagt: Egal wo im Phasenraum ich mit einer Trajektorie starte, am Ende lande ich immer beim Punkt mit den Koordinaten (0,0), also dort, wo die Geschwindigkeit und die Auslenkung des Pendels gleich Null sind. Dieser Punkt ist also ein Attraktor des Systems, auf den alle Phasenraumorbits zulaufen.

Auch ein Attraktor, aber nicht seltsam (Bild: Public Domain)

Auch ein Attraktor, aber nicht seltsam (Bild: Public Domain)

Man kann sich beim Pendel aber auch andere stabile Zustände vorstellen. Eine Pendeluhr zum Beispiel hat ein Uhrwerk, das ständig Energie ins Systems abgibt, damit das Pendel eben gerade nicht aufhört, regelmäßig hin und her zu schwingen. Das Uhrwerk sorgt dafür, dass das Pendel exakt regelmäßig hin und her schwingt. Dieser Zustand wird im Koordinatensystem des Phasenraums durch eine geschlossene Kurve dargestellt: Die Geschwindigkeit wird regelmäßig größer und kleiner während das Pendel hin und her schwingt und das gleiche gilt auch für den Auslenkungswinkel. Die Trajektorie zieht einen Kreis durch den Phasenraum und wenn das Pendel einmal hin und her geschwungen ist, trifft sie wieder auf sich selbst und alles fängt von vorne an. Man kann nun das Pendel ein wenig aus dem Takt bringen; zum Beispiel wenn man die Uhr ein bisschen schüttelt. Der Auslenkungswinkel wird dann ein bisschen größer oder kleiner werden; die Geschwindigkeit des Pendels sinkt oder steigt ein wenig. Aber das Uhrwerk sorgt schnell dafür, dass es bald wieder exakt so schwingt, wie es geplant ist und im Phasenraum wieder exakt den gleichen Kreis zeichnet.

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Kommentare (19)

  1. #1 Marc
    4. Februar 2015

    “Für jeden beliebigen Zeitraum kann man einen Punkt in den Phasenraum zeichnen und am Ende bekommt man so eine Linie, die anzeigt, wie sich der Zustand des Pendels im Laufe der Zeit verändert.”

    Zeitraum oder doch Zeitpunkt? 🙂

  2. #2 Gast
    4. Februar 2015

    Nach meinem Verständnis ist ein Attraktor ist eine Menge.
    Eine Untermenge aller Punkte des Phasenraumes.
    Der Attraktor ist die Menge aller Häufungspunkte des Phasenraumes.
    Ein seltsamer Attraktor ist dann eine etwas exotische Menge.

  3. #3 Florian Freistetter
    4. Februar 2015

    @Gast: “Ein seltsamer Attraktor ist dann eine etwas exotische Menge.”

    Ja, aber das sage ich doch auch in meinem Artikel, oder?

  4. #4 Mystiker343
    4. Februar 2015

    Die Chaostheorie ist in der Tat sehr interessant. Man kann sogar eine Verbindung herstellen zwischen Wissenschaft und Religion (z. B. östlicher Mystik). Sehr gut beschrieben wird dies im Buch “Lebensnetz” von Fritjof Capra. Wir brauchen eine Wissenschaft und Technologie im Einklang mit der Natur. Z. B. können Krampfadern mit der Linsermethode ohne Operation zerstört werden.

  5. #5 Gono
    4. Februar 2015

    Schöner Artikel. Nett finde ich auch die Tatsache, dass die Projektion das Lorenz-Attraktors auf dem Bild aussieht, wie die Flügel eines Schmetterlings. Passend zum Inhalt des Artikels 🙂

    Weiter so Florian!

  6. #6 Severin
    4. Februar 2015

    Hallo Florian,
    schöner Artikel der auch mir das ganze noch mal ein bisschen besser erklärt hat.
    Kennst du die Planetariumsshow “Chaos&Order”? Ich glaube die würde dir gefallen 😉

    Und hier habe ich mal eine Liste zusammen gestellt, was in der Show alles gezeigt wird: https://e-sev.de/chaos.html

    LG,
    Severin

  7. #7 Karla Kolumna
    4. Februar 2015

    […] Wir brauchen eine Wissenschaft und Technologie im Einklang mit der Natur.[…]

    Stimmt die heutige Wissenschaft und neu entwickelten Theorien haben üüüüüüberhaupt nichts mehr mit der Natur zu tun, fällt alles einfach so vom Himmel (ach Mist ist der nicht auch irgendwie Natur…) und das sieht man nirgends so gut wie in der Chaostheorie!

  8. #8 Florian Freistetter
    4. Februar 2015

    @Mystiker: Wenn du jetzt jeden meiner Artikel nutzt, um deinen Pseudowissenschaftsspam unterzubringen, bist du hier schneller rausgeflogen, als du “Om” sagen kannst…

  9. #9 krypto
    4. Februar 2015

    @Florian:
    Super beschrieben, danke!

  10. #10 schlappohr
    4. Februar 2015

    Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie das aussähe, wenn ein normales Pendel auf einem seltsamen Attraktor landen würde. Es würde sich weiterbewegen, dürfte aber nie wieder den gleichen Ort mit der gleichen Geschwindigkeit erreichen. Mir ist klar, dass das physikalisch unmöglich ist. Aber wie würde eine solche Bewegung aussehen?

  11. #11 cassandra
    4. Februar 2015

    Danke 🙂 Florian
    erinnert mich ans Doppelpendel

    @severin wird/wurde diese Shows wirklich in Planetarien gezeigt? Entweder ist sie mir entgangen 🙁 oder in Wien wird sowas generell nicht gezeigt – da kommt echt viel Chaos vor 🙂

    off topic: die “Milliarden Sonnen” der ESA habens uns auch unterschlagen

  12. #12 Robert
    4. Februar 2015

    @Mystiker: Du schreibst “Wir brauchen eine Wissenschaft und Technologie im Einklang mit der Natur […]”. Schon mal das Wort “Naturwissenschaft” gehört? Die Physik (und natürlich auch Chemie und Biologie) dient der Beschreibung der Natur.
    Und was zum Teufel hat denn die Zerstörung von Krampfadern mit dem obigen Artikel zu tun?

  13. #13 Zhar
    4. Februar 2015

    @schlappohr

    nun, vllt wie dies hier. Oder etwas pendelinger

  14. #14 Kyllyeti
    4. Februar 2015

    @Mystiker scheint unter verschiedenen Nicknames immer dasselbe Phrasenkonglomerat immer wieder auf diversen Kommentarseiten  zu posten. Sogar wenn’s vom Thema her kaum dazu passt.

    Einfach mal

    “Z. B. können Krampfadern mit der Linsermethode ohne Operation zerstört werden.”

    in die Suchmaschine eingeben …

     

     

  15. #15 Florian Freistetter
    4. Februar 2015

    @schlappohr: Stell dir ein Pendel vor, dass nicht nur zweidimensional hin und her schwingt, sondern in drei Dimensionen. Und das zB durch Magnete regelmäßig angetrieben wird. So ein Pendel wird dann tatsächlich eine unendlich lange chaotische Bewegung durchführen (google mal nach “chaotic pendulum”, da gibts viele Varianten anzusehen). Aber du darfst dir den Phasenraum NICHT als realen Raum vorstellen. Die Trajektorie beschreibt nicht, wie sich das Pendel bewegt, sondern wie sich Winkel und Geschwindigkeit verändern!

  16. #16 meregalli
    4. Februar 2015

    @kyllyeti
    Ist wohl ein alternativer Varizen-Guru, den müsste man ausmachen können. Wenn er in Österreich tätig ist, ist er juristisch belangbar.
    Die Methode gefällt mir, erinnert mich an DNA-Abgleiche.

  17. […] dessen Versuchen, die Luftströme in der Atmosphäre in einem Computermodell abzubilden. Wie ich anderswo schon ausführlich erklärt habe hat das zur Entdeckung des ersten “seltsamen Attraktors” geführt, also den […]

  18. […] und ein paar meiner Meinung nach sehr interessante Phänomene aus der Chaosforschung vorgestellt (seltsame Attraktoren, Periodenverdoppelung, chaotische Universalität, die Mandelbrot-Menge und Fraktale). Dabei ging es […]

  19. […] den Blog von Florian Freistetter verfolgt konnte dort im Februar eine äußerst interessante Serie von Blogposts zum Thema Chaos finden, in dem Artikel findet ihr auch Links zu einer früheren Serie zum Thema Chaos. In seinem […]