Viele Leserinnen und Leser haben mich gebeten, etwas über eine kürzlich erschienene wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, die derzeit in den Medien die Runde macht. Sie soll angeblich zeigen, dass es doch keinen Urknall gegeben hat. Das klingt natürlich sehr spektakulär und ist wohl auch der Grund, dass überall im Internet darüber geredet wird. Aber ich bin bei solchen Arbeiten immer ein wenig skeptisch. Das ist ein wenig so wie bei der früheren Geschichte, bei der Stephen Hawking erklärt haben soll, es gäbe nun doch keinen schwarzen Löcher (Habe ich damals eigentlich darüber gebloggt? Hier habe ich über einen ähnlichen Fall geschrieben. Ansonsten empfehle ich euch die entsprechende Folge des “Exposing Pseudoastronomy”-Podcasts). Solchen Schlagzeilen kann man schwer widerstehen, auch wenn die meisten wohl nicht wirklich wissen, worum es eigentlich geht, weil der angeblich so spektakulären Aussage sehr viel sehr komplizierte Mathematik zugrunde liegt. So war es bei den schwarzen Löchern (die trotzdem noch existieren) und so ist es auch beim abgeschafften Urknall…
Es geht dabei um die Arbeit “Cosmology from quantum potential”, die kürzlich von Ahmed Farag Ali und Saurya Das veröffentlicht worden ist. Sie ist knapp drei Seiten lang und beschäftigt sich mit der “quantenkorrigierten Raychaudhuri-Gleichung”. Die sieht so aus:
Sie folgt aus der allgemeinen Relativitätstheorie und beschreibt, wie sich Teilchen bewegen. Das weiß ich, weil ich in der Wikipedia nachgesehen habe; ich bin weit davon entfernt, ein Experte auf dem Gebiet zu sein, mit dem sich Ali und Das beschäftigen! Aber es sieht auf jeden Fall so aus, als hätten sie eine Gleichung der Relativitätstheorie genommen und mit Erkenntnissen der Quantenmechanik kombiniert. Und nein, das bedeutet definitiv nicht, dass hier nun die lang gesuchte Vereinheitlichung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie gefunden wurde! Es geht um eine ganz spezielle Gleichung, die Aspekte aus beiden Disziplinen berücksichtigt und nicht um eine umfassende Theorie, die “alles” beschreibt.
Im Speziellen geht es um eine besondere Interpretation der Quantenmechanik. Meistens werden die Gleichungen der Quantenphysik im Rahmen der Kopenhagener Deutung betrachtet. Die besagt unter anderem (und sehr vereinfacht), dass wir Position und Geschwindigkeit von Elementarteilchen deswegen nur mit Wahrscheinlichkeiten angeben können, weil es schlicht und einfach nicht anders geht. Die quantenmechanische Vorgänge sind intrinsisch unvorhersagbar und es lässt sich einfach nicht mehr darüber wissen, als die entsprechenden Gleichungen angeben. Eine andere Deutung, die De-Broglie-Bohm Theorie sagt (wieder sehr vereinfacht) genau das Gegenteil: Die Eigenschaften der Teilchen sind determiniert, aber die entsprechenden Parameter sind “versteckt” und wir können sie nicht messen. Das Problem bei all diesen Interpretationen der Quantenmechanik ist aber, dass es keine Möglichkeit gibt, durch Experimente zwischen ihnen zu unterscheiden. Sie machen alle die gleichen Vorhersagen und zwischen ihnen zu unterscheiden ist eher ein philosophisches Problem und kein naturwissenschaftliches.
Ali und Das haben nun jedenfalls diese zweite (und ihr hängt nur eine Minderheit der Physiker an) Interpretation benutzt um damit auch die Gleichungen zu modifizieren, die die Entwicklung unseres Universums beschreiben (die Friedmann-Gleichung, falls es jemand wissen möchte). In diesem Modell wird die klassische kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkte, eine sogenannte “Geodäte”, durch eine Art “Quantengeodäte” ersetzt, die aus der De-Broglie-Bohm-Theorie folgt. Dort wo sich normale Geodäten kreuzen, entstehet das, was die Physiker eine “Singularität” nennen. Ein Punkt, an dem physikalische Eigenschaften wie Temperatur oder Dichte unendlich große Werte annehmen, was bedeutet, dass die entsprechenden Gleichungen in dieser Situation nicht funktionieren. Solche Singularitäten trifft man zum Beispiel bei schwarzen Löchern oder eben auch beim Urknall. Ich habe früher schon mal ausführlicher darüber geschrieben: Natürlich denken die Wissenschaftler nicht wirklich, dass die Dichte im Inneren eines schwarzen Lochs unendlich groß ist. Unendlich große Werte existieren in der realen Welt nicht. Aber sie zeigen uns, dass unser Verständnis der Realität noch nicht ausreichend ist und wir etwas verbessern müssen.
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