Ich war gerade einkaufen. Und wie so oft habe ich dabei auch im Buchladen vorbei geschaut. Ich mag Buchläden. Seit ich vor knapp 30 Jahren zu lesen begonnen habe, ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht zumindest ein paar Minuten lang in einem Buch gelesen hätte. Meine Wohnung ist voll mit Bücher. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mit dem Schreiben; unter anderem von Büchern. In der Nähe von Büchern fühle ich mich wohl und deswegen gehe ich sehr, sehr gerne in Buchläden. Selbst dann, wenn ich gar nicht vorhabe, ein Buch zu kaufen. Einen großen Teil meiner Bücher habe ich mir bei diesen Besuchen in Buchläden aller Art gekauft. Einen mindestens ebenso großen Teil habe ich aber im Internet-Versandhandel bestellt. Ich mag Bücher. Ich mag Buchläden. Und ich kaufe trotzdem gerne bei Amazon ein…
Das zu sagen ist ja in gewissen Kreise schon fast verwerflich. Amazon und die anderen Internethändler seien ja nur am Profit interessiert, während der lokale Buchhändler die Bücher genau so liebt wie man selbst, heißt es da. Oder: Nur im Buchladen vor Ort kann man sich richtig beraten lassen, aber nicht im anonymen Internet. Kurz gesagt: Amazon ist seelenlos und nur in den gemütlichen Buchläden kann sich der wahre Bibliophile so richtig wohlfühlen.
Meine Erfahrung ist hier, ehrlich gesagt, aber ein wenig anders (Und ich sage sicherheitshalber gleich dazu, dass dieser Artikel hier auch nur von meiner Erfahrung handelt – deswegen auch das “ich” in der Überschrift – und ist nicht als allgemeine Erklärung zur Lage des Buchhandels gedacht). Auch meinen vielen Vortragsreisen quer durch Deutschland und Österreich habe ich die Gelegenheit sehr viele Buchläden zu besuchen. Ich will nicht behaupten, dass mein Sample repräsentativ ist, aber es sind zumindest vorrangig die Buchläden, die generell die meiste Laufkundschaft haben; also die auf Bahnhöfen und in den Stadtzentren. Je nachdem, wie viel Zeit ich habe, schlendere ich meistens einfach planlos durch die Läden und schaue mir alles an. Aber auf jeden Fall werfe ich einen gründlichen Blick in die Sachbuchabteilung und schaue nach, was dort alles über Naturwissenschaft zu finden ist. Und nein, das mache ich nicht, weil ich kontrollieren will, ob meine Bücher dort vorrätig sind (Ok, nicht nur…). Sondern weil es gerade dieses Genre an Büchern ist, das mich privat und vor allem beruflich besonders interessiert.
Ich schreibe nicht nur über Wissenschaft, sondern lese auch sehr viel darüber (irgendwie müssen die Ideen für meine Texte ja inspiriert werden). Und viele Sachbücher brauche ich auch tatsächlich ganz konkret für die Arbeit um darin irgendwelche Fakten zu recherchieren. Das können dann oft auch sehr spezielle Werke sein – und genau da liegt das Problem, das ich mit den meisten Buchläden habe.
Ein Buchladen hat nur begrenzt Raum, um Bücher zu lagern und noch weniger Raum, um Bücher zu präsentieren. Diesen Raum füllt der Händler vorrangig mit Büchern, bei denen er sich viele Kunden verspricht (beziehungsweise bei denen die PR-Abteilungen der Verlage entsprechende Vereinbarungen getroffen haben – ich vermute mal, dass es da entsprechende Kooperationen gibt). Das sind hauptsächlich die Bücher mit den bekannten Namen; im naturwissenschaftlichen Bereich zum Beispiel Harald Lesch oder Stephen Hawking. Dagegen ist an sich auch nichts einzuwenden – wenn das nicht in allen Buchläden passieren würde und wenn das restliche Angebot groß genug wäre. Aber die Realität (oder zumindest meine Realität) sieht so aus, dass in den Abteilungen der naturwissenschaftlichen Sachbücher (sofern die überhaupt vorhanden ist) immer die gleichen Bücher zu finden sind. Das Angebot unterscheidet sich nur geringfügig und der Versuch darin zu “stöbern” macht wenig Sinn und noch weniger Spaß.
Natürlich findet sich doch immer noch das eine oder andere Buch, das interessant genug ist um es zu kaufen. Wenn ich ein bestimmtes Werk im zehnten Buchläden zum zehnten Mal prominent im Buchregal ausgestellt sehe, dann wirkt die Werbung irgendwann und ich kaufe es 😉 Aber es gibt noch so viele andere Bücher, die ich verpasse wenn ich vor den immer gleichen Regalen stehe, weil ich nichts von ihrer Existenz weiß!
Kaufe ich dagegen bei Amazon ein, läuft das viel besser. Ich bin nicht auf das Sortiment beschränkt, dass ein Buchhändler für mich – nach welchen Kriterien auch immer – ausgewählt hat. Ich kann alle Bücher sehen, die theoretisch lieferbar sind (und auch noch einen ganzen Schwung nicht mehr erhältlicher Werke). Und vor allem kann ich gezielt nach Stichworten suchen. Ein Beispiel: Für einen Magazinartikel zum Internationalen Jahr des Lichts habe ich zur Geschichte der Erforschung des Elektromagnetismus recherchiert. Ich habe vor allem Biografien der Entdecker der verschiedenen Strahlungsarten und ihrer Anwendungen gesucht, zum Beispiel Wilhelm Röntgen. Eine Röntgen-Biografie könnte in einem wirklich gut sortierten großen Buchladen vermutlich noch vorhanden sein. Aber wie sieht es mit Percy Spencer aus, dem Erfinder der Mikrowelle? Zu ihm gibt es sowieso schon kaum Material und das einzige (?) Buch, das ich bei meiner Amazon-Suche gefunden habe, ist mit ziemlicher Sicherheit in keinem Buchladen vorrätig… bei Amazon dagegen nur ein paar Klicks entfernt.
Ja, werden einige jetzt vielleicht einwerfen, aber bei deinem Buchhändler kannst du dir das Buch ja auch bestellen lassen! Das stimmt – aber kann mir mein Buchhändler auch sagen, dass es dieses Buch über Percy Spencer überhaupt gibt? Wenn der Buchhändler nicht zufällig ein Fan fremdsprachiger Literatur über Wissenschaftsgeschichte ist, dann wird er dafür genau so in seinen Online-Katalogen recherchieren müssen, wie ich es selbst in der Amazon-Datenbank getan habe. Und es ist mir ehrlich gesagt lieber, ich kann selbst in Ruhe recherchieren, als im Laden neben einem Verkäufer zu stehen, dem ich erklären muss, was er für mich recherchieren soll nur damit er mir dann erklärt, was er recherchiert hat, worauf ich nachfragen muss, welche Bücher da denn genau gefunden wurden; wie viel sie kosten, wer die Autoren sind, was die sonst noch so geschrieben haben, und so weiter. Und wenn ich mir den Betrieb in einem typischen Buchladen ansehe, dann gibt es diese Möglichkeit auch gar nicht. Da kann man froh sein, wenn die Schlange an der Kasse nicht allzu lang ist – die Angestellten mit langwieriger Recherche zu beauftragen ist da kaum möglich.
Klar, wenn ich nur beraten werde möchte, welchen der drölfzighundert Regionalkrimis gerade angesagt ist; etwas zu den Literaturklassikern wissen möchte, zur Spiegel-Bestsellerliste, oder den anderen “normalen” Thrillern, Liebesromanen und so weiter: Dann wird mir auch der Buchverkäufer weiter helfen können. Aber wenn es darum geht, die wirklich außergewöhnlichen Werke zu entdecken, brauche ich entweder einen Händler, der mich so gut kennt wie mein bester Freund oder zufällig exakt die gleichen Interessen hat, wie ich.
Versteht mich nicht falsch: Ich will auf keinen Fall sagen, dass Buchhändler keine Ahnung von Büchern haben. Oder Bücher nicht wertschätzen, etc. Gut, nicht jeder Angestellte in einem Buchladen wird diesen Job aufgrund begeisterter Bibliophilie und unstillbarer Liebe zu Büchern ausüben. Da werden sicherlich einige dabei sein, denen die Bücher eigentlich egal sind und für die der Job nur ein Job ist. Aber viele werden sich auch wirklich gut um ihren Laden und ihre Bücher kümmern. Sie werden die Kunden beraten, so gut es eben möglich ist. Sie werden Lesungen veranstalten oder probieren, lokale Autorinnen und Autoren zu fördern. Sie werden all die Dinge machen, die der Grund dafür sind, dass ich Buchläden mag und sie gerne und oft besuche.
Aber ich bin auch kein Freund überzogener Nostalgie. Der kleine und gemütliche Bücherladen mit den vollgestopften Regalen und dem bibliophilen Besitzer, mit dem man stundenlang über Literatur plaudern kann ist in der Realität nicht immer zu finden. Dort gibt es stattdessen die großen Ketten; Thalia, Hugendubel und Co. Auch das müssen keine schlechten Läden sein, aber man landet dann halt bei dem oben beschriebenen Problem: Es gibt im wesentlichen immer nur die gleiche, kleine Auswahl an Büchern.
Und das ist der Grund, warum ich eben nicht nur die Buchläden mag, sondern auch Amazon. Dort sitzt zwar kein Buchliebhaber, der mir persönlich erklärt, welche Bücher ich unbedingt lesen muss. Aber dafür gibt es einen Computer-Algorithmus, der weiß, was ich bisher gekauft habe und mir anhand dieser Daten Bücher vorstellt, die mich interessieren könnte und das ganz unabhängig davon, ob es sich gerade um den aktuellen Bestseller handelt oder irgendein obskures jahrzehntealtes Astronomiebuch oder ein Werk eines kleinen, ausländisches Verlages mit kleiner Auflage, das aber genau das ist, was ich brauche. Ja, ich weiß: Datensammeln ist pfui. Aber in diesem Fall ist es tatsächlich wirklich hilfreich. Ein großer Teil meiner Bibliothek besteht aus Büchern, von deren Existenz ich ohne das “Das könnte sie auch interessieren”-Feature von Amazon nie erfahren hätte.
Natürlich sind mir die Probleme eines Fast-Monopolisten wie Amazon durchaus bewusst. Ich kenne die Berichte über die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter; die Preisdrückerei gegenüber den Verlagen; die Manipulationen im Hintergrund, etc. Aber das ist weniger ein Problem von Amazon sondern mehr ein Problem der Politik. Würde Amazon heute verschwinden, würde morgen ein anderer Onlinehändler die gleiche Stelle einnehmen und seinen Mitarbeitern die gleichen schlechten Löhne zahlen und sie unter den gleichen schlechten Bedingungen arbeiten lassen. Löhne und Bedingungen, die nicht nur im Onlinebuchhandel existieren, sondern überall in unserem Wirtschaftssystem, dass diese Art der Ausbeutung und Manipulation fördert. Und die großen Buchladenketten sind auch nicht unbedingt reine Philanthropen. Wenn da zum Beispiel bundesweit in jedem Laden ein “Buch des Monats” präsentiert wird, dann vermutlich auch nicht, weil neutrale Literaturkritiker das aus dem verfügbaren Angebot ausgewählt haben, sondern weil es entsprechende Deals mit den Verlagen gegeben hat. Und wenn man mich bei jedem Bezahlvorgang an der Ladenkasse überreden will, doch bitte beim Bonus-Punkte-System mitzumachen, dann dürfte man dort wohl genau so sehr an meinen Daten interessiert sein, wie im Internet…
Aber das führt jetzt zu weit vom eigentlich Thema weg. Ich will den Onlinebuchhandel weder verteufeln noch unkritisch loben. Genau so wenig wie ich die Buchhandlungen vor Ort nostalgisch verklären möchte. Ich mag es, durch die Buchregale in den Läden zu schlendern, mir die Bücher anzusehen und dann, so wie heute, überraschend und ungeplant mit vier Kochbüchern nach Hause zu kommen. Und . Und wenn ich mich dann doch wieder einmal ein wenig darüber ärgere, dass das Angebot immer gleich und an den Massengeschmack angepasst ist, mag ich es genau so gerne, ein Stündchen vor dem Computer zu verbringen und mich von dem überwältigenden Angebot überraschen zu lassen und Bücher zu finden, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie finden wollte. Zum Beispiel dieser Bildband über die Bestimmung des Längengrades. Oder dieses britische Wanderbuch. Oder dieses Buch über Mathematik. Oder dieses Buch über osteuropäischen Fußball. Oder dieses Buch über unübersetzbare Wörter. Oder… ach ich sehe schon: Das könnte wieder ein teurer Nachmittag werden…
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