Der Planet Saturn hat Ringe. Das ist wohl seine bekannteste Eigenschaft, aber eine, die er auch mit anderen Himmelskörpern teilt. Alle der vier großen Gasplaneten im äußeren Sonnensystem haben Ringe. Und letztes Jahr hat man sogar einen beringten Asteroiden entdeckt. Ring ist allerdings nicht gleich Ring, wie der Physiker Matthew Hedman von der Universität Idaho in einer aktuellen wissenschaftlichen Arbeit (“Why are dense planetary rings only found between 8 AU and 20 AU?”) erklärt. Saturn hat große und beeindruckende Ringe, die sehr dicht und daher auch gut sichtbar sind. Auch die Ringe des Uranus sind optisch wesentlich dichter als die des Jupiter, die so dünn und unscheinbar sind, dass sie erst 1979 fotografiert werden konnten, als die Raumsonde Voyager 1 direkt am Planeten vorbei flog. Der weit von der Sonne entfernte Asteroid Chariklo hat Ringe, bei den sonnennahen Asteroiden hat man dagegen noch nie Ringe beobachtet. Der einzige andere Kandidat für einen beringten Kleinkörper ist der Asteroid/Komet Chiron, der sich so wie Chariklo immer außerhalb der Jupiterbahn aufhält. Es scheint so, als würde man dichte Ringe nur bei Himmelskörpern finden, die sich im äußeren Sonnensystem befinden; ungefähr acht bis 20 Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Aber warum?
Eine mögliche Antwort darauf lautet natürlich immer: Zufall! Die großen Planeten und die Asteroiden haben alle ihre individuelle Vergangenheit und früher ging es im Sonnensystem noch wesentlich chaotischer zu als heute. Hinter der Ausprägung der Ringe muss kein System stecken. Es wäre auch möglich, dass wir die Ringe von sonnennahen Asteroiden bis jetzt einfach noch nicht entdeckt haben. Immerhin sind da noch ein paar hunderttausend Felsbrocken, die wir noch nie aus der Nähe untersucht haben. Aber, so Hedman, vielleicht hat das mit den Ringen ja doch einen Grund. Vielleicht liegt es an den Eigenschaften des Materials, aus denen die Ringe bestehen.
Hedman führt dazu das Konzept der “Roche-Grenze” an. Vereinfacht gesagt ist der Minimalabstand, den ein Himmelskörper auf einer Umlaufbahn um einen anderen Himmelskörper haben kann, ohne durch dessen Gravitationskraft zerstört zu werden. Ein Mond, der sich zum Beispiel dem Saturn zu sehr annähert (weil sich seine Bahn durch die Gezeitenkraft im Laufe der Zeit immer weiter verkleinert hat), wird irgendwann auseinander gerissen und übrig bleibt nur ein Ring aus kleinen Stückchen. Dieses einfache Modell zur Entstehung der Saturnringe ist aber ein wenig zu einfach, denn wir wissen schon lange, dass es auch Monde gibt, die sich zwischen den Saturnringen bewegen.
Ob ein Objekt ein kompakter Mond wird oder ein Ring, hängt auch von der Stärke des Materials ab. Also der Frage, wie leicht man es auseinander reißen bzw. wie gut es zusammen klumpen kann. Hedmans These lautet nun: Die dichten Ringe von Saturn, Uranus, Chariklo & Co bestehen aus einem Material, dass besonders schwach ist und bevorzugt im äußeren Sonnensystem, ungefähr im 8 bis 20fachen Erdabstand existiert; also grob gesagt zwischen den Umlaufbahnen von Saturn und Uranus. Hedman rechnet in seiner Arbeit mit ein paar Abschätzungen aus Beobachtungsdaten herum und kommt am Ende auf einen Druck von etwa 100 N/m² (bzw. 100 Pascal oder 1 Millibar), bei dem das Ringmaterial auseinander reißen muss (Wolfram Alpha ist wie immer hilfreich bei Vergleichen und informiert uns, dass es sich dabei circa um den Druck handelt, den eine amerikanische Penny-Münze auf die Oberfläche ausübt, auf der sie rumliegt). Nicht viel also; es handelt sich um ein wirklich sehr schwaches Material.
Hedman hat außerdem probiert, die Temperatur der Ringteilchen herauszufinden. Bei Saturn gibt es konkrete Messungen die auf Werte um die 70 Kelvin hinweisen. Bei Uranus und Chariklo kann man nur schätzen, kommt aber auf ähnliche Werte. Zusätzlich schließt Hedman aus den Fotografien von – offensichtlich noch intakten – Saturnmonden zwischen den Ringen, die aus eher felsigem Material bestehen, dass die Ringe anders und zwar aus Eis beschaffen sein müssen.
Hedmans These lautet nun: Eis wird bei Temperaturen von etwa 70 Kelvin sehr schwach und weil Eis bei diesem Temperaturen nur im äußeren Sonnensystem existiert, gibt es auch nur dort die großen, dichten Ringe. Näher an der Sonne ist das Material stärker und bildet bevorzugt Monde und zerfällt nicht zu Ringsystemen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich von dieser These halten soll. Für meinen Geschmack leitet sie zu viele Schlussfolgerungen aus zu wenig konkreten Beobachtungsdaten ab. Die Ringsysteme der großen Planeten sind sehr dynamische Phänomene, die sich während der Lebensdauer des Sonnensystems durchaus massiv verändern können. Die Gasriesen haben eine chaotische Vergangenheit, haben ihren Abstand von der Sonne (und sogar ihre Reihenfolge) gewechselt und all das kann Auswirkungen auf die Struktur der Ringe gehabt haben. Und der einzige Asteroid, bei dem zweifelsfrei Ringe nachgewiesen worden sind, ist Chariklo. Aus diesem einzelnen Datenpunkt gleich eine komplette Theorie über die Grundlagen der Ringentstehung im gesamten Sonnensystem ableiten zu wollen, erscheint mir ein bisschen überzogen. Vor allem, weil Chariklo zur Asteroidengruppe der Zentauren gehört, die sich auf Bahnen im äußeren Sonnensystem bewegen die nicht langzeitstabil sind und ebenfalls jeder Menge chaotischer Einflüsse ausgesetzt sind.
Natürlich ist es interessant, sich über solche Dinge Gedanken zu machen und schaden kann es auch nicht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob hier überhaupt ein Phänomen existiert, das einer Erklärung bedarf. Wenn wir in Zukunft noch mehr Ringe bei Kleinkörpern im äußeren Sonnensystem finden, dann lohnt es sich, ernsthaft darüber nachzudenken, ob es eine systematische Theorie ihrer Entstehung geben kann bzw. muss. Vielleicht liefert hier ja die Pluto-Sonde New Horizons neue Erkenntnisse. Aber derzeit gibt es meiner Meinung nach dafür keinen Anlass.
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