Genau heute vor 10 Jahren, am 20. März 2005, bin ich in Jena angekommen. Im Juni 2004 hatte ich mein Doktoratsstudium an der Universität Wien absolviert, danach dort an der Sternwarte noch ein wenig als Postdoc gearbeitet, bevor mir dann im Dezember 2004 eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Jena angeboten wurde. Die habe ich akzeptiert und bin kurz vor Ostern 2005 in die Stadt an der Saale übersiedelt. Damals war ich mir absolut sicher, dass ich nur die drei Jahre bleiben würde, auf die mein Arbeitsvertrag befristet war und ich danach wieder zurück nach Wien komme. Jetzt sind 10 Jahre vergangen; ich lebe immer noch in Jena und ich habe kein Problem damit, noch ein bisschen länger hier zu bleiben. Und mein 10jähriges Jubiläum in Jena möchte ich heute nutzen, um ein wenig zu beschreiben, was mir an dieser Stadt so gut gefällt. Ich hatte Jena zuvor erst einmal gesehen. Im Dezember (oder war es November?) war ich für einen Tag dort, um einen Vortrag an der Sternwarte zu halten. Das war quasi mein “Vorstellungsgespräch”, bei dem entschieden wurde, ob ich den Job dort bekommen soll oder nicht. Mein erster Eindruck der Stadt war nicht ganz optimal. Um Geld zu sparen bin ich mit einer sehr umständlichen Zugsverbindung von Wien nach Jena gereist und um vier Uhr morgens am dortigen Bahnhof angekommen. Der bestand damals aus einer Bretterbühne mitten im Nirgendwo, weil gerade massiv umgebaut wurde. Auf der Suche nach meinem Hotel habe ich mich in der kalten, dunklen und unbekannten Stadt zuerst einmal verlaufen und dann natürlich festgestellt, dass dort mitten in der Nacht noch niemand ist, der mir die Tür öffnet.
Ich hab dann gegen sechs Uhr morgens ein Plätzchen im Foyer des Uni-Campus gefunden und mich danach im örtlichen McDonalds aufgewärmt. Aber als ich dann ausgeschlafen war, den Vortrag hinter mir und wieder etwas Ruhe hatte, hat mir die Stadt eigentlich recht gut gefallen. Ok, es war eine kleine Großstadt. Nicht vergleichbar mit der Metropole Wien, in der ich damals schon ein paar Jahre lang gelebt habe. Ich komme zwar ursprünglich aus einem kleinen Dorf, bin in einer Kleinstadt zur Schule gegangen und erst mit 20 Jahren nach Wien umgezogen, als ich dort studiert habe. Aber in Wien habe ich mich an die Großstadt gewöhnt und dachte mir eigentlich, dass ich auch auf jeden Fall immer in einer Großstadt mit all ihrem Trubel leben möchte. Und Wien ist ja auch tatsächlich eine sehr lebenswerte Stadt. Wie gesagt: Ich war mir sicher, dass ich nach meinem Job in Jena gleich wieder zurück kehren würde. Aber zuerst bin ich mal nach Jena umgezogen. Viel Gepäck hatte ich nicht; ich hatte ja für die ersten Tage auch nur ein kleines Zimmer im Gästehaus der Uni zur Verfügung.
Ich bin kurz vor dem Osterwochenende angekommen und hatte während der Feiertage genug Zeit, mir die Stadt in Ruhe anzusehen. Und war eigentlich ganz zufrieden. Es hat mich aber irritiert (und das ging auch noch lange so weiter), dass man überall in Jena das Ende von Jena sehen konnte. Jena ist lang und schmal mitten im Saaletal gelegen und egal wo man ist, überall kann man links und rechts die grünen Hügel sehen. Als Großstadtfan hat mich das zuerst ein wenig gestört. Aber ab und zu sieht ja auch Jena ein wenig großstädtisch aus und auch wenn es eine kleine Großstadt ist, gibt es eigentlich alles, was man braucht.
Ok, es gab nur drei (damals; heute sind es nur noch zwei) Kinos und keine paar Dutzend wie in Wien. Es gibt nur drei Hipster-Burger/Pommes-Läden und nicht die Unmengen, die man anderswo finden kann. Es gibt alles, aber eben von allem weniger. Aber da ich in Jena viel mehr Arbeit hatte als noch in Wien, konnte ich das Angebot der Stadt anfangs sowieso nur bedingt wahrnehmen.
Mein Job lief gut, aber nach drei Jahren war der Arbeitsvertrag zu Ende. Und mittlerweile wollte ich eigentlich nicht mehr weg. Ich hatte keine Lust mehr auf die Großstadt; ich hatte die Vorteile der kurzen Wege in einer kleinen Stadt wie Jena zu schätzen gelernt. Und auch alles andere, was diese Stadt zu bieten hat! Die Natur, deren Anblick mich zuerst irritiert hatte, war nun einer der großen Vorteile. Egal wo man sich in Jena befindet: Man muss höchstens 10 bis 20 Minuten nach Osten oder Westen gehen und steht mitten im Wald und der großartigen Natur rund um das Saaletal! Es gibt “Berge”, es gibt dichten Wald, es gibt einzigartige Biotope wie den Windknollen; es gibt entlang der Saale große Parks in denen man wunderbar laufen, spazieren gehen oder feiern kann. Und Jena ist eine enorm lebendige Stadt in der immer gefeiert wird. Je nachdem wie man es zählt, sind ein Drittel der Einwohner Studenten oder haben sonst irgendwie mit der Universität oder den vielen anderen Forschungseinrichtungen zu tun. Und das merkt man! Die Universität Wien hat vergleichbar viele Studenten wie die Universität Jena. Aber in der Millionenstadt Wien fallen die nicht weiter auf. In Jena schon. Seit Jahrhunderten ist die Stadt von der Universität geprägt worden und das schafft ein Ambiente und eine gewisse subtile Grundstimmung, die einem wissenschaftsaffinen Mensch wie mir sehr gut gefällt.
Wenn man Jena mit ähnlichen Thüringer Städten vergleicht (Gera, Weimar, Erfurt, Gotha, …) dann ist hier definitiv am meisten los. Die Universität, die Fachhochschule und die vielen anderen Bildungseinrichtungen machen Jena größer, als es eigentlich ist. Man findet ein kulturelles Angebot, das man in diesem Ausmaß in so einer Stadt gar nicht vermuten würde (die Kulturarena ist nur eines von vielen Beispielen). Jena ist klein und hat all die Vorteile einer kleinen Stadt. Es gibt keine langen Wege; selbst wenn man am Stadtrand wohnt, ist man mit der Straßenbahn in 20 Minuten im Zentrum. Und die vielen jungen Menschen machen Jena gleichzeitig groß und lebendig. Dazu kommt noch die ganze Natur rundherum. Insgesamt ergibt das eine äußerst lebenswerte Stadt und das scheine nicht nur ich so zu sehen. In entsprechenden Rankings für die familienfreundlichsten Städte oder lebenswertesten Städte landet Jena regelmäßig weit vorne. Die Stadt wächst; und wo anderswo in Ostdeutschland Ortschaften aussterben weil die Bewohner wegziehen, gibt es in Jena kein Problem dieser Art. Studenten kommen aus ganz Deutschland um in Jena zu studieren und die Arbeitslosigkeit ist vergleichsweise gering.
Und bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, ich würde von der Jenaer Tourismusbehörde für diesen Artikel bezahlt (Werde ich nicht – aber falls die Leute von dort mitlesen: Ihr könnt mir trotzdem gern mal ne Rostbratwurst ein Bier ausgeben ;)), sage ich vielleicht auch noch ein paar Worte zu den Dingen, die mich trotz allem an Jena stören. Über die Sache mit dem Schwimmbad habe ich ja früher schon gemeckert, aber das ist eher eine Kleinigkeit. Etwas schwerwiegender ist hier schon die Wohnungssituation. Gerade weil so viele Menschen in Jena leben wollen, wird der Wohnraum knapp. Die Mieten steigen und gehören zu den höchsten im ganzen Osten. Für meine Wohnung hat sich die Miete seit 2013 um 110 Euro erhöht (ohne irgendwelche Renovierungen o.ä. natürlich). Und das ist bei weitem keine Luxuswohnung; sie hat zwar drei Zimmer, aber dafür weder Garten, Keller oder Balkon. Wenn die Stadt nicht bald für bezahlbaren Wohnraum sorgt, wird die Gentrifizierung nicht aufzuhalten sein und Leute die nicht so gut verdienen, müssen in die Randlagen abwandern. Auch die Verkehrssituation entwickelt sich nicht unbedingt positiv. Ich habe Jena unter anderem auch deswegen so geschätzt, weil die Stadt ziemlich zentral in Deutschland liegt (der Mittelpunkt ist nicht weit weg).
Da ich in meinem Job als Wissenschaftsautor viel reise und das in ganz Deutschland, ist das ziemlich praktisch. Ich habe kein Auto und will auch keines. Mit dem Zug bin ich aber von Jena trotzdem schnell in allen vier Ecken des Landes und auch nach Österreich ist es nicht weit. Flugreisen sind zwar schwieriger, da es in der Nähe keine größeren Flughäfen gibt und man bis Berlin oder München fahren muss. Aber da ich sowieso kaum fliege, war das nie ein Problem. Die ICE-Verbindungen von Jena aus sind bis jetzt recht gut. Man kann schnell und direkt nach München, Berlin oder Hamburg fahren. Da die Bahn ihre Streckenpläne geändert hat, wird Jena in Zukunft aber weitestgehend vom Fernverkehr abgekoppelt. Alle ICE-Verbindungen konzentrieren sich dann auf Erfurt und von Jena aus muss man dann erst mal mit der Regionalbahn dorthin fahren und umsteigen. Das ist natürlich peinlich für eine Universitätsstadt wie Jena, die ja oft und viel internationalen Besuch bei Konferenzen u.ä. bekommt. Und es ist umso unangenehmer, dass es die lokale Politik anscheinend nicht geschafft hat, etwas dagegen zu tun. Ich hoffe ja immer noch, dass das Bündnis “Fernverkehr für Jena” mit seiner Lobbyarbeit noch Erfolg hat und zumindest ein paar IC-Verbindungen oder andere schnelle Verbindungen übrig bleiben. So lange Jena aber nicht völlig von der Außenwelt abgeschnitten wird und ich mir die Miete für meine Wohnung noch leisten kann, werde ich hier bleiben. Als ich vor 10 Jahren angekommen bin, hätte ich mir nicht gedacht, dass ich heute immer noch hier bin.
Und heute kann ich mir gut vorstellen, noch weitere 10 Jahre hier zu leben. Klar, anderswo mag noch mehr Action und Trubel sein. Aber das studentische Leben habe ich sowieso schon in Wien absolviert und ich bin ja auch schon lange nicht mehr so jung wie ich es mal war. Für mich reicht das, was in Jena los ist, allemal aus. Ich mag die Stadt; ich mag die Menschen und ich mag die Natur. Jena ist mittlerweile meine Heimat geworden und wenn ich auch nie ein echter Jenenser sein kann, so bin ich doch schon längst ein echter Jenaer geworden! Ich kann allen Leserinnen und Lesern nur empfehlen, der Stadt mal einen Besuch abzustatten. Es ist hier wirklich schön (auch wenn manche in der westlichen Hälfte der Republik sich das anders vorstellen). Ich zeige euch dann gerne die schönen Ecken von Jena und all die Sehenswürdigkeiten, die nicht in den Reiseführern stehen. Und vielleicht verrate ich euch auch, wo es das beste Thüringer Bier und die beste Thüringer Rostbratwurst gibt!
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