Von 1. bis 20. April bin ich auf Reisen, halte Vorträge in der Pfalz und in Baden-Württemberg und mache auch ein wenig Urlaub. Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich eine Artikelserie über wissenschaftliche Paradoxien vorbereitet. Links zu allen Artikeln der Serie findet ihr hier.
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Ich habe ein Problem. Ich besitze ein paar wunderbare alte Couchsessel. Die Dinger sind älter als ich, stammen aus den 1970er Jahren und sind schon lange in der Familie. Als ich sie 2001 übernommen habe, waren sie noch gut in Schuss, wie dieses Foto zeigt:
Mittlerweile sind sie aber schon ziemlich zerschlissen. Der Bezugsstoff ist an vielen Stellen komplett zerrissen, die Füllung hat an Volumen verloren und man kann sie eigentlich nur benutzen, wenn man sie unter Unmengen von Kissen und Decken versteckt. Ich könnte natürlich probieren, sie erneuern zu lassen. Eine neue Füllung; ein neuer Stoff… aber wären es dann immer noch die gleichen coolen, fast 50 Jahre alten Couchsessel? Immerhin habe ich bis auf den Rahmen ja alles erneuert?
Dieses Problem kommt nahe an eine klassische Frage der antiken Philosophie heran, die unter dem Namen “Schiff des Theseus” oder “Theseus’ Paradoxon” bekannt ist: Verliert ein Gegenstand seine Identität, wenn viele oder gar alle seiner Einzelteile ausgetauscht werden? Plutarch hat das im ersten Jahrhundert so formuliert:
“Das Schiff, auf dem Theseus mit den Jünglingen losgesegelt und auch sicher zurückgekehrt ist, eine Galeere mit 30 Rudern, wurde von den Athenern bis zur Zeit des Demetrios Phaleros aufbewahrt. Von Zeit zu Zeit entfernten sie daraus alte Planken und ersetzten sie durch neue intakte. Das Schiff wurde daher für die Philosophen zu einer ständigen Veranschaulichung zur Streitfrage der Weiterentwicklung; denn die einen behaupteten, das Boot sei nach wie vor dasselbe geblieben, die anderen hingegen, es sei nicht mehr dasselbe.”
Im Gegensatz zu Bentleys Gravitations-Paradoxie von gestern ist das eine Paradoxie ohne Auflösung. Seit der Antike ist man hier zu keinem klaren Urteil gelangt (obwohl Theseus’ Paradoxon überraschenderweise in einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2010 auftaucht). Es handelt sich um klassische Philosophie und man kann sich darüber wahrscheinlich noch ein paar tausend Jahre lang Gedanken machen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen…
Worin besteht die Identität eines Dinges? Ist es wirklich nur das Material? Oder die Kontinuität der Nutzung? Die Emotionen, die man damit verbindet? Oder etwas ganz anderes? Was meint ihr? (Und wer gute Tipps für die Restauration meiner Sessel hat, soll bitte Bescheid sagen!)
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