Von 1. bis 20. April bin ich auf Reisen, halte Vorträge in der Pfalz und in Baden-Württemberg und mache auch ein wenig Urlaub. Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich eine Artikelserie über wissenschaftliche Paradoxien vorbereitet. Links zu allen Artikeln der Serie findet ihr hier.
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Mathematik mag vielen grundsätzlich paradox erscheinen. Meistens ist sie aber genau das Gegenteil, nämlich exakt logisch und ohne Widersprüche aufgebaut. Meistens… aber nicht immer. Manchmal ist sie tatsächlich ein wenig knifflig; besonders dann, wenn Unendlichkeiten eine Rolle spielen. Zum Beispiel wenn es darum geht, die Summe einer unendlichen Reihe von Zahlen zu finden. Das funktioniert in vielen Fällen – in vielen Fällen aber auch nicht. Und in manchen Fällen kommt man zu verschiedenen Ergebnissen, je nachdem, wie man das Problem angeht. Das paradoxe daran: Es lässt sich nicht unbedingt eindeutig sagen, dass eines dieser Ergebnisse richtig und alle anderen zwingend falsch sein müssen.

Bernoulli_Positiones_3_Opera

Ein Beispiel für so ein Problem ist die Grandi-Reihe; ein Spezialfall der viel größeren Klasse der paradoxen alternierenden Eulerschen Reihen. Sie sieht eigentlich recht harmlos aus. Wie lautet das Ergebnis folgender Rechnung:

1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 + 1 – 1 + und so weiter

Eigentlich handelt es sich um eine divergente Reihe; also eine Reihe, bei der sich keine endgültige Summe finden lässt. Andererseits kann man sie auf verschiedene Art und Weise mathematisch behandeln und je nach Methode ist das Ergebnis mal 1, mal 0 und mal sogar 1/2. Das ist definitiv paradox und warum das so ist, erklärt dieses schöne Video:

Grandis Reihe ist übrigens keine reine mathematische Spielerei. Diese und ähnliche Reihen tauchen nicht nur bei vielen mathematischen Problemen auf, sondern auch in der Physik, wenn es zum Beispiel darum geht, Modelle für Kernteilchen in Atomen zu entwickeln und entsprechende Effekte zu beschreiben.

Kommentare (21)

  1. #1 André
    13. April 2015

    Die Lösung ist 0, kann nur 0 sein und wird immer 0 sein. Warum? Spätestens nach dem tausendsten Ein-/Ausschalten der Lampe ist die durchgebrannt und das Licht bleibt aus = 0!

  2. #2 Wir
    13. April 2015

    Noch paradoxer ist doch die Reihe 1-2+3-4+5-6+7-8+9… Die ergibt nämlich -1/12. Da gibt es glaube ich auch ein Video von numberphile zu.

  3. #3 Wir
    13. April 2015

    1+2+3+4+5+6+7 war’s https://youtu.be/w-I6XTVZXww

  4. #4 Florian Freistetter
    13. April 2015

    @Wir: Über diese Reihe und das etwas missverständliche Video hab ich hier geschrieben: https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2014/01/22/die-summe-aller-natuerlichen-zahlen-und-die-unendliche-verwirrung/

  5. #5 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2014/02/27/3-prozent-hc3bcrde-png/
    14. April 2015

    Eine nette Spielerei aber auch ein mathematischer Trickbetrug, wenn man mich fragt.

    Er sagt im Video, es hinge davon ab wo man die Klammern setzt, und setzt dann recht willkürlich Klammern in einem ersten Schritt, aus 1 – 1 + 1 – 1 … wird (1-1) + (1-1) … . Das sieht halbwegs legitim aus und dann, im zweiten Schritt, setzt er nicht nur Klammern, sondern muss die geklammerten Terme auch noch umformen. 1 + (-1 + 1) + (-1 + 1) … .

    So wie ich Mathematik gelernt habe ist die richtige Klammersetzung, wenn keine Klammern gegeben sind, aber
    (((1 – 1) +1) -1) … also die strikte Auflösung von links nach rechts – für unendliche Reihen wurde nie eine Klammernregel präsentiert.

    Später bildet er den Mittelwert der Reihe 1, 1.5, 1.75 usw. und stellt fest, dass der Mittelwert auch der 2 sich annähert, aber übergeht den Fakt, dass der Zwischenwert für jedes N != 1 vom Zwischenwert der Reihe verschieden ist. Daraus würde ich ja ableiten, dass das Verfahren nicht geeignet ist um aus diesem etwas zu schließen. Die eine Reihe konvergiert einfach nicht.

  6. #6 Christian Berger
    14. April 2015

    Ich denke das ist ein typisches Beispiel dafür, was passiert, wenn man unterschiedliche, und zum Teil unsinnige, Fragen an ein System stellt.

  7. #7 bikerdet
    14. April 2015

    Ich sehe das genauso wie Stefan. Wenn ich willkürlich Klammern setze, so werde ich bei allen Aufgaben mit mehr als zwei Rechenschritten unterschiedliche Ergebnisse erzielen.

  8. #8 hugo
    14. April 2015

    @Stefan Wagner:
    Niemand behauptet, dass die Grandi-Reihe konvergiere. Es geht hier um was anderes:

    Das übliche Verfahren für konvergente Reihen (Grenzwert der Partialsummenfolge) ordnet Reihen einen Wert zu, der sich fast immer so verhält, wie man es von der Summe endlich vieler Terme kennt. Z.B. gibt es eine Art Distributivgesetz (wenn man alle Glieder der Reihe mit einer festen Zahl multipliziert, ist der Wert der neuen Reihe gleich dem Produkt dieser festen Zahl mit dem Wert der alten Reihe), man kann konvergente Reihen gliedweise addieren und subtrahieren, man kann endlich viele Glieder vorne abschneiden und gewöhnlich summieren und den Grenzwert der Restreihe addieren und bekommt damit den Grenzwert der Ursprungsreihe, etc. Der Wert einer Reihe hat aber nicht alle Eigenschaften der Summe endlich vieler Terme: So gilt z.B. (außer bei absolut konvergenten Reihen) nicht das Kommutativgesetz.

    Bei divergenten Reihen bekommt man mit diesem Verfahren definitionsgemäß keinen Wert. Man kann sich aber trotzdem fragen, ob es Verfahren gibt, die auch divergenten Reihen Werte zuordnen, und dabei gewisse wünschenswerte Eigenschaften haben (z.B. sollte ein solches Verfahren konvergenten Reihen den gewöhnlichen Grenzwert zuordnen). Die im Video gezeigte Bildung der Mittelwerte der Partialsummen ist ein solches Verfahren. Und dieses Verfahren ordnet eben der Grandi-Reihe den Wert 1/2 zu. Für die oben schon erwähnte Reihe 1+2+3+4+… liefert übrigens auch dieses Verfahren keinen Wert, aber es gibt “stärkere” Verfahren, die dort die bekannten -1/12 liefern.

    Es geht hier insbesondere nicht darum, die Reihe als unendlichen Prozess zu verstehen (“man beginne mit 0, dann addiere 1, dann subtrahiere 1, dann addiere 1, …”), sondern als Objekt an sich, das man untersuchen und auf das man Operationen anwenden kann. Ob das was mit der physischen Realität und der Bedeutung der Addition dort zu tun hat, ist zunächst nicht relevant. Wir sind schließlich in der Mathematik ;). Trotzdem gibt es Situationen in der Physik, wo 1+2+3+4+… = -1/12 richtig ist.

    @bikerdet:
    Das ist nicht richtig. Bei endlichen Summen sorgt das Assooziativgesetz dafür, dass man Klammern beliebig setzen kann. a+b+c+d = (a+b)+(c+d) = a+(b+c)+d = ((a+b)+c)+d

  9. #9 sax
    14. April 2015

    @Stefan Wagner & bikerdet

    Das Ding ist gerade bei jeder endlichen Summe, und auchbei jeder absolut Konvergenten undendlichen Summe, sind all das Umformungen, die das Ergebnis nicht verändern. In der unendlichen Summe kommt jedoch was anderes raus. Das ist kein Trickbetrug, das ist erst mal verweirrend.

    Intutitiv versteh ich das so, das der Wert der Reihe ohne Zusatzannahmen einfach nicht definiert ist. Bei konvergenten Reihen kommt man, je mehr glieder man berücksichtigt, dem Wert der Reihe immer näher. Hier springt man immer zwischen Null und eins hin und her, hier nicht.

    Um dieser Reihe einen sinn zu geben, muss man zusatzannahmen machen. Die Sinnvollste ist meinem Geschmack nach das Cesàro-Mittel.

    Warum? Als Physiker arbeitet ich oft mit Taylor Reihen. Die wie z.B.

    \frac{1}{1+x}=\sum_{n=0}^\infty (-1)^n x^n

    Diese Entwicklung ist aber nur füf |x|1 sind dann aber alle Messen gesungen, hier geht die Reihe gegen unendlich.

  10. #10 hugo
    14. April 2015

    eine kleine Anmerkung noch:
    Das Umklammern und das 1-S=S –> S=1/2 aus dem Video sind Versuche herauszufinden, welches Ergebnis ein Wertzuordnungsverfahren mit bestimmten “schönen” Eigenschaften liefern müsste. Beliebiges Umklammern und die Schritte die zu 1-S=S führen sind bei endlichen Summen problemlos möglich, ebenso beim konventionellen Verfahren für konvergente Reihen (kann sein, dass beliebiges Umklammern nur bei absolut konvergenten Reihen “erlaubt” ist). Also wären das Eigenschaften, die man für Wertzuordnungsverfahren für divergente Reihen “schön” oder wünschenswert finden würde.

    Dass beim Umklammern zwei verschiedene Werte rauskommen zeigt, dass es kein Wertzuordnungsverfahren gibt, das beliebiges Umklammern erlaubt und auf die Grandi-Reihe anwendbar ist.

    1-S=S –> S=1/2 zeigt, dass jedes Verfahren, bei dem die zu dieser Gleichung führenden Schritte möglich sind (Anfügen eines Glieds vorne an die Reihe und Distributivgesetz), der Grandi-Reihe den Wert 1/2 zuordnen muss. Das Beispiel mit der Folge der Mittelwerte der Partialsummen zeigt dann, dass es ein solches Verfahren gibt.

  11. #11 sax
    14. April 2015

    Sorry, der Kommentar wurde irgenwie zerschossen. Hier noch mal:

    @Stefan Wagner & bikerdet

    Der springende Punkt ist doch, dass bei jeder endlichen Summe, und auch bei jeder absolut konvergenten undendlichen Summe, sind das Umformungen, die das Ergebnis nicht verändern. Bei einer nicht konvergenten unendlichen Summe kommt jedoch was anderes raus, je nachdem wie ich die Terme Ordne. Das ist kein Trickbetrug, das sind erstmal alles legitime mathematische Operationen, nur halt nicht für divergente Reihen.

    Intutitiv versteh ich das so, das der Wert der Reihe ohne Zusatzannahmen einfach nicht definiert ist. Bei konvergenten Reihen kommt man, je mehr glieder man berücksichtigt, dem Wert der Reihe immer näher. Hier springt man immer zwischen Null und eins hin und her, oder auch nicht, je nachdem wie man die Reihe umordnet. Mit etwas was nicht exisitiert kann man alles machen. Das erinnert etwas an das “aus falschen Aussagen folgt alles was man will Paradoxon”.

    Um der Grandi Reihe überhaupt einen sinn zu geben, muss man zusatzannahmen machen. Die Sinnvollste ist meinem Geschmack nach das Cesàro-Mittel.

    Warum? Als Physiker arbeitet ich oft mit Taylor Reihen. Die wie z.B.´´
    \frac{1}{1+x}= 1+x-x^2+x^3-x^4+...
    und so weiter.

    Diese Entwicklung ist jedoch nur für -1<x<1 gültig. Wenn man die Reihe im Cesaro Sinne versteht gilt auch noch x=1, dann steht da nähmlich gerade die Grandi Formel auf der rechten Seite und links steht 1/2.

  12. #12 Ferrer
    14. April 2015

    Interessant zu beobachten, dass man bei diesem Problem seit Douglas Hoffstaedters Behandlung desselben nicht wirklich weiter gekommen ist

  13. #13 Tom
    14. April 2015

    @Ferrer:
    Gibts nen Link zu der Arbeit? Google findet zu den offensichtlichen Suchbegriffen (selbst wenn man “Douglas Hofstadter” richtig schreibt) anscheinend nichts.

  14. #14 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2014/09/18/schariapolice-mariapolice/
    15. April 2015

    Der springende Punkt ist doch, dass bei jeder endlichen Summe

    Tja, eben, bei endlichen Summen.

    Und da solche Reihen in der Natur nicht vorkommen kann man auch nicht sagen “bei den meisten Reihen gilt …”. Wer Reihen zählt muss diese selbst und die Regel nach der er diese bildet bilden – das wäre dann vielleicht eine Metareihe von Reihen. 🙂

  15. #15 hugo
    15. April 2015

    @Stefan Wagner:

    Tja, eben, bei endlichen Summen.

    sax’ Satz geht ja noch weiter und schließt korrekterweise auch unendliche absolut konvergente Summen mit ein.

    Und da solche Reihen in der Natur nicht vorkommen…

    Vorkommen von Dingen in der Natur sind für die reine Mathematik ziemlich egal. Man orientiert sich zwar bei der Definition von Objekten und Strukturen oft an der Natur (bzw an der physischen Realität), sobald diese Definition jedoch abgeschlossen ist, gibt es in den Beweisen keinen solchen Rückgriff mehr.

    …kann man auch nicht sagen “bei den meisten Reihen gilt …”.

    Wer sagt das denn? Soweit ich (und die Suchfunktion meines Browsers) das sehe, hat in dieser Diskussion noch keiner mit der Anzahl (oder der Mächtigkeit oder einem wie auch immer zu definierenden Maß) argumentiert.

  16. #16 Wir
    15. April 2015

    Na ja, in dem von uns verlinkten Video geht Tony Padilla ja auch davon aus, dass S=1-1+1-1+1…=1/2 ist. Das könne man auch beweisen, er tut es aber nicht. Wie man in dem von Florian verlinkten Video sehen kann ist aber S=1-1+1-1+1 = 1 = 0 = 1/2. Und wenn man davon ausgeht dass 1=0=1/2 ist dann kann man natürlich alles beweisen. Denn wenn 1=0 ist, dann ist 4/0=42 und grün ist Kartoffelsalat. Und dann ist 1+2+3+4… auch -1/12 und gleichzeitig 31415 und ein Pferd.

  17. #17 hugo
    15. April 2015

    @Wir:
    Man geht aber nicht von 1=0=1/2 aus. Weder in dem einen noch in dem anderen Video.

  18. #18 Ferrer
    17. April 2015

    @Tom: Ich zitiere aus dem Gedächtnis, er hat bei Scientific American eine Kolumne in den 80ern des letzten Jhdts geschrieben, in der vieles, was Florian aufführt, behandelt wurde. Auch diese Reihe. Bedauere die falsche Schreibweise seines Namens, aber zum Glück kann Google das gut korrigieren. Ansonsten verweise ich gerne auf sein Buch “Gödel, Escher, Bach”. Da hast Du Lektüre genug, um eine ganze Weile nachzudenken

  19. #19 Ferrer
    17. April 2015

    Die Kolumne hiess “metamagical games” oder so ähnlich

  20. #20 Tom
    17. April 2015

    @Ferrer:
    “Gödel, Escher, Bach” habe ich natürlich gelesen; ich kann mich aber nicht erinnern, darin Aussagen zur Grandi-Reihe gelesen zu haben (kann natürlich auch an meinem nachlassenden Gedächtnis liegen, aber das Register meiner deutschen Ausgabe enthält auch nichts unter diesem Stichwort).
    Ich hatte deshalb nachgefragt, weil mir an Deiner Aussage zwei Dinge auffielen:
    Zum einen ist Hofstadter ja kein Mathematiker. Wenn er also grundlegend neues zu diesem Thema publiziert hätte, hätte mich das sehr gewundert.
    Zum anderen ist das mathematisch kein offenes Problem. Die Grandi-Reihe konvergiert nicht, aber man kann auf sie verschiedene Methoden anwenden, die Ihr einen Wert zuweisen (siehe die Posts von sax und hugo). Insofern ist es nicht zu erwarten, dass man da in den letzten 30 Jahren “weiter gekommen” ist.

  21. #21 Florian Freistetter
    17. April 2015