Von 1. bis 20. April bin ich auf Reisen, halte Vorträge in der Pfalz und in Baden-Württemberg und mache auch ein wenig Urlaub. Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich eine Artikelserie über wissenschaftliche Paradoxien vorbereitet. Links zu allen Artikeln der Serie findet ihr hier.
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In den meisten der bisherigen Artikel aus der Paradoxien-Serie ging es um philosophische oder logische Probleme. Es wird langsam wieder Zeit für ein ganz konkretes Paradox, das man mit ein wenig Grundlagenwissen aus der Physik auflösen kann. Die Geschichte von der Ameise auf dem Gummiband ist dafür ein ideales Beispiel!
Stellt euch eine Ameise vor, die auf einem langen, dünnen Gummiband sitzt. Das Band ist 1 Kilometer lang und die Ameise bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von einem Zentimeter pro Sekunde auf das Ende des Bandes zu. Wird sie das Ende erreichen? Sicherlich – warum auch nicht? Aber was, wenn sich das Gummiband ausdehnt und das ziemlich schnell? Mit einer Geschwindigkeit von einem Kilometer pro Sekunde: Nach einer Sekunden ist zwei Kilometer lang; nach zwei Sekunden ist es drei Kilometer lang – und so weiter. Wird die Ameise dann jemals am Ende ankommen?
Natürlich nicht! Das scheint auf jeden Fall die logische Antwort zu sein. Wenn sich das Band schneller ausdehnt, als die Ameise krabbeln kann, dann kann sie auch das Ende nicht erreichen. Aber wenn das so wäre, dann würde ich das Problem ja wohl kaum in meiner Serie der Paradoxien präsentieren. Und tatsächlich wird die Ameise das Ende des Bandes erreichen! Je nach den Geschwindigkeiten die man für das Problem auswählt kann das zwar ziemlich lange dauern – aber sie wird ankommen. Das scheint paradox zu sein. Aber man muss nur genau hinsehen…
Der wichtige Punkt den man sich klar machen muss ist folgender: Das Gummiband wird gleichmäßig gestreckt. Sowohl die Strecke die noch vor der Ameise liegt als auch die Strecke die sie schon zurück gelegt hat, wird in gleichem Ausmaß länger. Das bedeutet aber auch, dass das Verhältnis von noch zu krabbelnder zu schon gekrabbelter Strecke von der Ausdehnung des Gummibands nicht beeinflusst wird! Je weiter die Ameise kriecht, desto weiter nähert sich das Verhältnis dem Wert Null (der erreicht wird, wenn die Ameise am Ziel angekommen ist).
Auch wenn es für die Ameise nach einer aussichtslosen Aufgabe aussieht: Wenn sie nicht aufgibt und immer weiter krabbelt, kommt sie irgendwann an (und wer möchtet, findet im Internet jede Menge ausführliche mathematische Berechnungen, die das beweisen). Anstatt daraus jetzt aber irgendwelche pseudophilosophischen Lektionen abzuleiten, weise ich lieber auf eine Parallele in der Astronomie hin. Auch hier dehnt sich etwas aus: Nämlich der Raum. Und wenn auch keine Ameisen durch den Weltraum kriechen (zumindest wäre bis jetzt noch nichts darüber bekannt), so gibt es doch Licht, das sich hindurch bewegt. Eine Galaxie strahlt also zum Beispiel Licht aus, das sich auf den Weg zur Erde macht. Dazwischen dehnt der Raum sich aber aus. Und das kann er auch mit Überlichtgeschwindigkeit tun – die Obergrenze der Lichtgeschwindigkeit gilt nur für Bewegung durch den Raum. Je ferner eine Galaxie der Erde ist, desto schneller bewegt sie sich von uns fort. Es kann auch vorkommen, dass eine Galaxie so weit weg ist, dass sie sich schneller als das Licht entfernt und dann stellt sich die Frage: Erreicht uns ihr Licht vielleicht trotzdem irgendwann?
Die Antwort ist hier leider nicht so klar wie bei der Ameise. Denn deren Gummiband hat sich mit gleichmäßiger Geschwindigkeit ausgedehnt. Das Weltall expandiert aber immer schneller und in diesem Fall ist nicht sichergestellt, dass das Licht (oder die Ameise) das Ziel jemals erreicht. Galaxien, die ausreichend weit von der Erde entfernt sind, werden für uns also tatsächlich niemals sichtbar sein!
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