Eigentlich muss man sich ja gar keine große Mühe geben um nach Anlässen für Artikel über Astronomie zu suchen. Jeden Tag veröffentlichen Forscherinnen und Forscher neue Erkenntnisse über das Universum. Teleskope, Raumsonden und Satelliten sammeln mehr Daten, als man auswerten oder verstehen kann und wenn man wollte, könnte man rund um die Uhr neue Texte über neue Forschung schreiben. Aber ich lasse mich bei der Recherche nach den Themen für mein Blog auch gerne mal vom Zufall treiben. Und probiere, Verbindungen zu finden, nach denen man normalerweise nicht sucht. Das ist vielleicht nicht immer unbedingt sinnvoll – aber man entdeckt dabei meistens Themen, auf die man sonst nie gestoßen wäre! Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass man von Zwiebelkuchen zur Entstehung des Lebens auf der Erde gelangen kann? Oder vom Tag des deutschen Biers zum Begründer der Mond-Kartografie? Es lohnt sich also (das ist zumindest meine Meinung) auch den absurden Verknüpfungen zu folgen. Das habe ich mir auch an diesem Morgen gedacht und weil ja heute der erste Mai, der “Tag der Arbeit” bzw. “Kampftag der Arbeiterbewegung” ist, habe ich mich mal umgesehen, was das Thema “Astronomie und die Arbeiterbewegung” so hergibt. Und bin dabei auf Anton Pannekoek gestoßen.

Maifeier_Volksstimme_Frankfurt_1901

Pannekoek wurde 1873 in den Niederlanden geboren. Er studierte Astronomie an der Universität Leiden und wie das oft so ist während eines Studiums, begann er sich dabei für Politik zu interessieren. Pannekoek beschäftigte sich um 1900 herum nicht mehr nur mit Astronomie, sondern auch immer mehr mit Marxismus und Sozialismus. Er machte nicht nur seinen Doktor in der Astronomie, sondern entwickelte sich auch zu einem anerkannten marxistischen Theoretiker, dessen Schriften in deutschen und niederländischen Zeitungen publiziert wurden. 1906 ging Pannekoek nach Deutschland, trat in die SPD ein und wurde Dozent an deren Parteischule. Das durfte er aber nur kurz tun; dann wurde es ihm verboten – mit der Drohung, ihn aus Deutschland auszuweisen, wenn er weiter dort unterrichten würde. Pannekoek engagierte sich weiter in der sozialistischen Bewegung, musste bei Ausbruch des ersten Weltkriegs aber zurück in die Niederlande gehen. Dort begann er sich für den Rätekommunismus einzusetzen (das ist – einfach gesagt – eine Gesellschaft, die weder von einem Parlament, noch einer einzigen Partei regiert wird, sondern sich nach basisdemokratischen Prinzipien kollektiv selbstverwaltet und in vielen kleinen Räten organisiert). Damit stand Pannekoek nicht mehr nur im Widerspruch zum Kapitalismus und der parlamentarischen Demokratie, sondern auch zum Marxismus-Leninismus (und zu Stalin sowieso). Er trat verschiedensten linken Vereinigungen und Parteien bei; ebenso oft wieder aus und publizierte seine Theorien zum Rätekommunismus, die in den 1920er Jahren durchaus großen Einfluss auf die politisch linke Szene hatten. In den 1930er Jahren und dann nach dem zweiten Weltkrieg zog er sich aus der politischen Theorie aber immer weiter zurück und veröffentlichte nur noch selten etwas (privat arbeitete und korrespondierte er aber weiter zu diesen Themen).

Seine astronomische Arbeit vernachlässigte Pannekoek bei all der Politik aber keineswegs. In seinen frühen Arbeiten beschäftigte er sich vor allem mit veränderlichen Sternen und publizierte Beobachtungen zu ihren Helligkeitsänderungen. Später ging er dann auch fundamentalere Themen an. 1919 erschien zum Beispiel eine Arbeit mit dem Titel “The Distance of the Milky Way”. Darin ging er der Frage nach, wo sich die Sonne (und mit ihr die Erde) in Bezug auf den Rest der Milchstraße befindet. Das war damals ein wichtiges und vor allem ungeklärtes Problem! Weder wusste man zu Beginn der 1920er Jahre, ob es neben der Milchstraße noch andere Galaxien im Universum gibt oder die Milchstraße das Universum ist, noch war man sich über die Struktur der Milchstraße im klaren. Erst die nächsten Jahre brachten hier Aufklärung, als Edwin Hubble und seine Kollegen zeigen konnten, dass es neben der Milchstraße tatsächlich noch viele andere Galaxien gibt und das wir uns in unserer Galaxis am Rand befinden.

Das war zur Zeit Pannekoeks noch alles andere selbstverständlich. In seinem Artikel schreibt er über Beobachtungen des Astronomen Harlow Shapley, die nahelegen, dass sich die Sonne nicht im Zentrum der Milchstraße befindet:

“Now, Shapley’s result, that in the universe of globular clusters the sun occupies a very eccentric position, is contrary to the common view, which places the sun in our galactic system not far from the center.”

Die Beobachtungen, nach denen die Sonne also eher am Rand der Milchstraße sei, würden – so Pannekoek – der “allgemeinen Ansicht” widersprechen, dass wir in der Nähe des Zentrums beheimatet wären. Pannekoek ist aber von der Korrektheit der Messungen überzeugt und kommt in seiner Arbeit ebenfalls zu dem Schluss, dass wir uns am Rand befinden:

“The sun must then be situated near to the limit of the system in the direction of Perseus.”

Später wechselte Pannekoek von der reinen Beobachtung der Sterne zur Erforschung ihrer Eigenschaften und Entwicklung und war maßgeblich daran beteiligt, diese damals noch neue Disziplin der “Astrophysik” in den Niederlanden zu etablieren. Noch später begann er sich dann auch für die Geschichte der Astronomie zu interessieren und sein Buch auf diesem Gebiet gehörte lange Zeit zur Standardlektüre (und ist immer noch erhältlich*!). Zu seinen vielen Veröffentlichungen über historische Astronomie gehört auch ein interessanter Artikel aus dem Jahr 1930 mit dem Titel “Astrology and its Influence upon the Development of Astronomy”. Darin stellt Pannekoek die Sonderstellung der Astronomie heraus, als Wissenschaft, die im Gegensatz zu den meisten anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen eine viel längere Geschichte hat. Wo die anderen Wissenschaften quasi erst vor ein paar Jahrhunderten in den Universitäten entstanden, so Pannekoek, stammt die Astronomie noch aus einer viel älteren Zeit, in der die Suche nach Erkenntnis von deutlich unwissenschaftlicheren Motiven gesteuert wurde. Die Astronomie musste sich erst mühsam davon lösen und dabei die Astrologie abschütteln. Gleichzeitig betont er aber auch, dass die Astrologie den Babyloniern und später auch noch einmal in der Renaissance als Motivation diente, jede Menge Daten über die Himmelskörper zu sammeln, die dann zur Grundlage großer astronomischer Erkenntnisse wurden. Sein Text endet mit folgenden Worten:

“Astrology did not at once disappear, but its practice and theory are now only possible as a superstition, outside of science and beneath it. The astronomers now see new and other larger aims before them. The principle of which it once was the expression, the conception of the unity of the whole world, had now to take a new form; to find not the connection of universe and man – for man is now only a small and accidental attribute to one small planet – but to find the laws of the universe itself. On this new path astronomy has gone upward during the following centuries.”

Mondkrater Pannekoek (Bild: NASA)

Mondkrater Pannekoek (Bild: NASA)

Nach Pannekoek wurden ein Krater auf dem Mond und ein Asteroid benannt, er bekam die Goldmedaille der Royal Astronomical Society und das Astronomische Institut der Universität Amsterdam trägt heute seinen Namen.

Pannekoek starb am 28. April 1960 und auch wenn er mit seinen politischen Überzeugungen die Welt nicht verändert hat: Mit seinen wissenschaftlichen Leistungen hat er auf jeden Fall dazu beigetragen, dass wir sie besser verstehen können! Ich wünsche euch noch einen schönen Feiertag. Freundschaft!

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Kommentare (8)

  1. #1 rolak
    1. Mai 2015

    Anton Pannekoek

    Hier gibt es seit ca einer halben Stunde bereits extreme Probleme, weil schon seit dem Öffnen der BeizSchüssel, noch gesteigert wegen des Schmorens intensiver Speichelfluß, unbändiges Magengrummeln und spontane HeißhungerAttacken fast unaufhörlich auftreten. Lieste halt nen neuen Artikel zur Ablenkung, denkt man sich.
    Und dann der Name, das darf ja wohl nicht wahr sein…

    nicht mehr nur im Widerspruch zum Kapitalismus und der parlamentarischen Demokratie, sondern auch zum Marxismus-Leninismus

    Das ist völlig normal für pragmatische, soziale Aktivisten. Wohl deswegen hat zB auch die SPD ihr Ziel des demokratischen Sozialismus mit prophylaktisch entschärfter Wortwahl und gaaanz weit hinten im Parteiprogarmm versteckt. Erstaunlicherweise nicht in Fliegenschiß3, sondern genauso lesbar wie den Rest, darauf vertrauend, daß eh keiner so weit so genau liest 😉

    Deine ‘Um die Ecke gedacht’-Reihe ist höchst unterhaltsam, Florian, und wartet immer wieder mit Neuem auf, zumindest für mich Laien (und, in diesem Falle, nur UrlaubsNiederländer).

  2. #2 Alderamin
    1. Mai 2015

    @Florian

    Der Mann hieß echt Pfannkuchen? Hartes Los…

    @rolak

    Tröste Dich und mach’ einen Ausflug in die Niederlande nach Gulpen, nicht weit von Aachen, da gibt’s eine bekannte Pannekoekenmolen, die wir just letzte Woche getestet und für hervorragend befunden haben.

    @Florian

    Um nicht zu sehr abzuschweifen: wie wär’s mal mit einem ähnlichen Artikel über Dr. Brian May, promovierter Astronom und Rockmusiker (Queen)? Spannender Mensch (lebt noch, folglich interviewbar).

  3. #3 PDP10
    1. Mai 2015

    @Alderamin:

    “Der Mann hieß echt Pfannkuchen? Hartes Los…”

    Nicht ganz … hab ich auch erst gelesen, aber da fehlt ein ‘n’ 🙂

    @Florian:

    Und bei dem Link (‘immer noch erhältlich’) zu Pannekoeks Buch fehlt auch was …

  4. #4 rolak
    1. Mai 2015

    da fehlt

    Du glaubst doch wohl nicht, daß meine Mustererkennung sich von solchen Winzigkeiten abhalten läßt, als Ergebnis ‘sabbern!’ auszuwerfen, PDP10? Die (fast) verlinkte Mühle kommt ebenfalls ohne dies ‘n’ aus, btw

    Pannekoekenmolen

    Jetzt auch mit funktionalem link. Der Tipp ist in die MöglichkeitenListe gewandert, Alderamin, thx!

  5. #5 Alderamin
    1. Mai 2015

    @rolak

    Die (fast) verlinkte Mühle

    Auf dem Tablet ist das Posten ziemlich mühsam, da geht’s schonmal schief. Hab’ 3 Anläufe gebraucht, um den Text loszuschicken; jedesmal wenn ich im Nachbartab des Browsers eine Adresse zum Ausschnippeln gesucht habe, hat sich der Safari-Browser bei der Rückkehr zum Astrodicticum-Tab entschieden, die Seite sei nun lange genug nicht mehr aktualisiert worden und lud nach, woraufhin der schon getippte Text gelöscht war… Vorsichtig, wie ich bin, kopiere ich ihn daher vorher in’s Clipboard, das ich dann vergessenderweise prompt im zu-kopierenden-Link-Tab mit dem kopierten Link überschreibe. Ja, so kriegt man den Feiertag auch rum.

    @PDP10

    Huch, war mir gar nicht aufgefallen, dass im Wikipedia-Link ein ‘n’ zwischen Pfanne und Kuchen steckt, mir war nur die Form ohne ‘n’ aus der persönlichen vor-Ort-Erfahrung geläufig. Ist vermutlich wie bei Dreieck(s)tuch (oder Pfann(en)kuchen) ein optionales/regionales Bindeglied. Limburg ist für die Niederländer ihr Oberbayern, wo man “ich” und “mich” sagt (statt “ik” und “mij”). Der lokale Dialekt dort ist praktisch der selbe wie bei uns auf der anderen Seite der Grenze. Hab’ neulich eine Dialektkarte gefunden, demnach Aachener Platt schon zum limburgischen Dialekt zählt, nicht zum kölschen. Und das (mir überhaupt nicht geläufige) Duisburgische sowieso.

    Oh wei, Mega-OT, ich bin ab jetzt mal ganz still, ich alte Quasseltante…

  6. #6 Pilot pirx
    1. Mai 2015

    Zur Astronomie führen vermutlich überaus viele Wege.
    Sogar über Hexen.
    Andrej Linde hat ja u.a. bei seine Mutter studiert. Und die war eine hochrangige Nachthexe.

  7. #7 rolak
    5. Mai 2015

    ziemlich mühsam

    Beileid, Alderamin (nicht ohne ein ergänzendes ‘selbst schuld!’ :P)
    Das war aber keine Beschwerde, sondern ein schlichtes Nachliefern der eh-grad-im-Zugriff-Daten für andere Leser.

  8. #8 Klaus Blees
    Trier
    8. Juli 2017

    Danke für diesen Artikel, auf den ich vorhin gestoßen bin. Habe dazu auch was geschrieben: https://hpd.de/node/9382