Ich bereite gerade einen Vortrag über Astrologie in Bremen vor und bin dabei auf eine besonders absurde Geschichte gestoßen. In der Neuen Zürcher Zeitung berichtet ein Praktikant über seinen Besuch bei einer “astrologischen Studienberatung” (WebCite).
Sich nach Abschluss der Schule für ein Studium zu entscheiden, kann durchaus nicht einfach sein. Es fehlt Erfahrung; man hat vielleicht noch nicht herausgefunden, was einen im Leben wirklich interessant und so ein Studium ist etwas ganz anderes als die Schule. Und immerhin muss man eine Entscheidung treffen, die auf jeden Fall die nächsten Jahre und vielleicht sogar den ganzen Rest des eigenen Lebens prägen wird. Da sollte man durchaus gründlich darüber nachdenken und es kann sicher auch nicht schaden, sich kompetente Beratung zu holen. Aber findet man diese Beratung bei Astrologen?
Natürlich nicht. Astrologie ist Unsinn, wie ich hier ausführlich erklärt habe. Das Schicksal steht nicht in den Sternen, ein Astrologe kann die Zukunft nicht besser vorhersagen als sonst irgendjemand und auch die angeblich so wertvolle “psychologische Astrologie” ist kaum geeignet, bei schwerwiegenden Entscheidungen zu helfen. Und der Besuch des NZZ-Praktikanten Jonathan Davidson (in Begleitung einer weiteren NZZ-Redakteurin) bei der astrologischen Studienberatung demonstriert das ziemlich deutlich.
Durchgeführt wurde die Beratung von Ursula Degen, die laut ihrer Homepage Beratung für alle Lebensbereiche anbietet. Berufsberatung, Erziehungsberatung, Lebensberatung, Partnerschaftsberatung, Laufbahnberatung, Aspektbildberatung (was immer auch das ist) und bei Burn-Out und der Personaleinstellung hilft sie auch. Bei Jonathan Davidson aber ging es um die Wahl des Studiums und nachdem er im ersten Gespräch davon erzählt, dass er gerne surft und Skateboard bzw. Snowboard fährt, kommt die Astrologin dank einer genauen Analyse des Horoskops gleich zur ersten großen Erkenntnis: Sport spiele im Leben von Jonathan eine zentrale Rolle!
Die nächste Schlussfolgerung liefern die Planeten sofort nach: Der “Kommunikationsplanet” Merkur zeige, dass “Journalismus” für das Leben von Jonathan relevant sein könnte. Was für ein Zufall, dass Merkur gerade dann den Journalismus so gut anzeigt, wenn zwei Journalisten von der NZZ zu Besuch bei der Astrologin sind. Nachdem Frau Degen dann noch dank ihrer astrologischen Expertise feststellen konnte, dass im Leben von Jonathan demnächst ein “wichtiger Lebensabschnitt” folgen wird, gibt es zum Abschluss noch einen ganz normalen Berufs/Studienberatungstest, in dem ganz ohne astrologischen Unterbau die Interessen des zukünftigen Studenten abgefragt werden.
Ein Praktikant einer Zeitung besucht also eine Astrologin und erzählt ihr, dass er Sport mag. Die Astrologin kommt im Laufe ihrer Beratung zu dem Ergebnis, dass Sport und Journalismus wichtig für den sportlichen Journalisten sind. Nicht sonderlich beeindruckend…
Auch Jonathan Davidson war nicht sonderlich überzeugt von der Beratung:
“Dass ich nun in meiner Laufbahn auf die Position der Planeten achten werde, bevor ich mich für etwas entscheide, bezweifle ich. Es war zwar interessant, einmal zu sehen, wie eine solche Beratung abläuft, doch nach dem Geburtshoroskop leben werde ich nicht.”
Was ich an der ganzen Sache bemerkenswert finde, ist nicht so sehr die Tatsache, dass es so etwas wie astrologische Studienberatung überhaupt gibt. Die Astrologen sind äußerst gut darin, immer wieder neue Geschäftsfelder aufzutun und die finden sich immer da, wo Menschen Entscheidungen treffen müssen und sich unsicher sind. Ich finde es viel mehr bemerkenswert, dass man für so eine “Beratung” nicht nur einen Preis von 1800 Franken (also auch ungefähr 1800 Euro) verlangen kann, sondern dieser Preis offensichtlich auch bezahlt wird!
Vielleicht hat sich das typische Studentenleben ja seit meiner eigenen Studienzeit etwas geändert. Aber wenn ich als angehender Student so viel Geld übrig gehabt hätte, dann wären mir wesentlich bessere Möglichkeiten eingefallen, was man damit anstellen könnte…
Ich verstehe natürlich, dass auch junge Menschen nach ihrem Schulabschluss schon unter Druck stehen, ja keinen “Fehler” zu machen und das “richtige” Studium auszuwählen. Ein Studium wird ja mittlerweile viel zu oft als reine Ausbildung für einen Job in der Wirtschaft angesehen (und die meckert dann über die unfähigen und unselbstständigen Absolventen). Wenn sich die jungen Leute dann auch entsprechend unter Druck setzen lassen, dann vertrauen sie ihren eigenen Überzeugungen und Interessen vielleicht auch nicht mehr so, wie sie das tun sollten und suchen sich “Berater”, die ihnen die Entscheidung abnehmen.
Das ist schade, denn wenn man etwas während seiner Studienzeit lernen sollte, dann vor allem eines: Eigene Entscheidungen treffen und selbstständig zu arbeiten und zu leben. Dazu gehört auch, dass man Fehler macht. Und es sollte eigentlich auch nicht schlimm sein, wenn man nach dem ersten oder zweiten Semester fest stellt, dass man sich für das falsche Studium entschieden hat und lieber etwas anderes machen würde. Aber bei all den Fristen, den immer mehr verschulten Studiengängen und den Kosten, die so ein Studium mit sich bringt, ist das für viele schwer möglich. Und dann steht man schon vor Beginn des Studiums unter dem Druck, ja keinen Fehler zu machen und 1800 Euro für eine “astrologische Beratung” zu investieren, erscheint vielleicht nicht so absurd, wie es ist.
Viel besser (und billiger) wäre vermutlich ein simpler Besuch an der Universität. Während meines letzten Schuljahres hat uns unser Biologie-Lehrer einen ganzen Tag lang an der Uni herumgeführt und uns die verschiedenen biologischen Abteilungen und die Arbeit dort gezeigt. Wir sind alle zur großen Studienberatungsmesse nach Wien gefahren, haben dort vor Ort mit den Studenten und Unimitarbeitern gesprochen (und konnten übrigens völlig kostenlos einen Studienberatungstest machen). Und weil ich noch mehr wissen wollte, habe ich damals einfach selbst einen Brief an die Unisternwarte geschrieben und gebeten mir zu erzählen, was da so abgeht. Im Gegensatz zu den vagen Allgemeinplätzen, die man in der Astrologie zu hören bekommt, kann man direkt vor Ort an der Universität konkret erfahren, was einen erwartet. Innerhalb gewisser Grenzen natürlich. Wie das Studium wirklich ist, wird man erst erfahren, wenn man auch tatsächlich studiert. Aber diese Erfahrungen muss man eben machen – inklusive der möglichen Fehler. Davor kann einen nichts bewahren – schon gar nicht die Astrologie!
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