Die nächsten drei Tage werde ich zwecks Recherche (und ein wenig Erholung) im Sauerland verbringen (Nachtrag: Zumindest war das der Plan, als ich diesen Artikel geschrieben habe. Mittlerweile hat mir die Gewerkschaft der Lokführer ja wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht und meine Reisepläne für die ganze Woche verkompliziert. Momentan bin ich noch in Stuttgart. Ob ich heute noch tatsächlich nach Olsberg im Sauerland komme wie geplant, wird sich zeigen. Und ob ich von dort am Samstag wieder weg und zu meinem Vortrag in Mannheim komme, ebenfalls. Da der Artikel aber nun schon mal geschrieben ist, lasse ich ihn stehen, auch wenn ich selbst es nicht ins Sauerland schaffen sollte und meinen “Urlaub” statt mit Erholung auf irgendwelchen Bahnhöfen verbringen muss). Da ich diese Gegend bis jetzt noch nie vorher besucht habe, habe ich mich ein wenig darüber informiert, was im Sauerland so los ist. Und vor allem darüber, was es dort für regionale kulinarische Spezialitäten gibt. Denn abgesehen davon, dass gutes Essen an sich schon interessant ist, finden sich bei genauerer Betrachtung immer auch ein paar faszinierende Verbindungen zur Astronomie. Das habe ich schon beim Leberkäse aus Linz und dem Zwiebelkuchen aus der Rhön festgestellt. Und das ist auch bei der Sauerländer Spezialität der Fall, die ich entdeckt habe. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich sie auch wirklich probieren will: Es geht um die Knochenwurst.
“Knochenwurst” klingt ein klein wenig eklig. Es handelt sich um Wurst, bei der das Fleisch mitsamt der Knochen verarbeitet und gekocht wird und die Knochen sollen ihr auch den besonderen Geschmack geben. Wie gesagt: Ich bin mir unsicher, ob mir das auch wirklich schmeckt. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass sich in der Knochenwurst ein großes, kosmisches Geheimnis versteckt!
Nein, es geht nicht um die Zutaten. Die sind nicht geheimnisvoll: Mett, Schweinefleisch und Rippchen mit Knochen; dazu Senfkörner, Pökelsalz und Pfeffer. Das ganze wird dann geräuchert und gekocht und mit Sauerkraut und Kartoffeln serviert. Das Geheimnis von dem ich spreche, findet man ganz woanders. Und in der Knochenwurst sogar gleich zweimal!
Dazu müssen wir zuerst einmal das Pökelsalz ein wenig genauer betrachten. Das ist normales Salz, dem Nitrit zugefügt wird. Mich interessiert in diesem Zusammenhang aber ein anderer Zusatz, der sich nicht nur im Pökelsalz, sondern mittlerweile sehr oft auch im ganz normalen Salz findet: Fluorid. Darin steckt die Verbindung zum Universum und wir stoßen auch bei der Hauptzutat der Knochenwurst noch einmal darauf. Denn Knochen bestehen zu einem großen Teil aus dem Mineral Hydroxilapatit. Es macht die Knochen hart und es macht auch unseren Zahnschmelz hart. Noch härter wird das Hydroxilapatit aber, wenn es chemisch mit Fluorid reagiert. Genau deswegen wird es dem Salz absichtlich in kleinsten Mengen zugefügt um den Zahnschmelz zu stärken und Karies zu verhindern.
Wie der Name schon andeutet, ist Fluorid eine chemische Verbindung, in der das Element Fluor enthalten ist. Und jetzt sind wir beim großen kosmo-chemischen Geheimnis angekommen. Denn es ist bis heute nicht völlig klar, wo dieses Element her kommt!
Die Häufigkeit von Fluor im Universum ist unverhältnismäßig gering. Vergleicht man Fluor mit benachbarten Elementen im Periodensystem, sieht man das deutlich. Sauerstoff ist unter den Elementen unseres Sonnensystems fast 9000 mal häufiger als Fluor. Kohlenstoff ist fast 5000 mal häufiger und Stickstoff 1500 mal; fast so häufig wie Neon mit der 1400fachen Häufigkeit von Fluor. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, warum Fluor so selten ist: Entweder das Fluor wird bei nuklearen Fusionsreaktionen in Sternen überdurchschnittlich schnell und oft in andere Elemente umgewandelt. Oder es entsteht schlich und einfach nicht so oft und nur bei selten auftretenden Prozessen. Höchstwahrscheinlich tragen beide Möglichkeiten zur Seltenheit des Fluors bei, aber genau lässt es sich nicht sagen, weil man eben immer noch nicht weiß, welche kosmischen Prozesse für die Entstehung des Fluors verantwortlich sind.
Im Laufe der Jahre haben die Astronomen drei verschiedene Möglichkeiten identifiziert, bei denen Fluor gebildet werden kann. Bei den normalen Kernreaktionen, die im Inneren von Sternen ablaufen und bei denen zum Beispiel aus der Fusion von Helium Sauerstoff und Kohlenstoff entstehen, wird kein Fluor gebildet. Aber es geht auch anders! Schon 1988 haben zwei amerikanische Astronomen vorgeschlagen, dass es in bestimmten Supernova-Explosionen gebildet werden kann.
Wenn wirklich große Sterne – mit typischerweise ein paar Dutzend Sonnenmassen – am Ende ihres Lebens keinen Brennstoff mehr haben, dann explodieren sie und es findet eine sogenannte “Typ-II-Supernova” statt. Am Ende dieser gigantischen Explosion bleibt vom Stern nur noch ein schwarzes Loch (oder ein Neutronenstern) übrig. Und während der Explosion werden unzählige Neutrinos frei. Über diese sehr speziellen Elementarteilchen habe ich ja schon zum Beispiel hier oder auch hier berichtet. Neutrinos wechselwirken so gut wie gar nicht mit dem Rest der Materie; sie gehen fast überall glatt durch. Bei einer Supernova-Explosion entstehen aber so viele von ihnen und die Materie des sterbenden Sterns auf die sie bei ihrem Weg hinaus ins All treffen ist so dicht, dass es dabei doch zu einer relevanten Anzahl von Interaktionen kommt. Gegen Ende seines Lebens hat der Stern in seinem Kern noch jede Menge neue chemische Elemente fusioniert; unter anderem das Isotop Neon-20. Wenn ein Neutrino auf einen Kern des Neon-20-Atoms trifft, kann es dabei in Fluor umgewandelt werden.
Supernovae vom Typ II sind also ein Prozess, bei dem Fluor gebildet werden kann. Und es ist ein sehr faszinierender Gedanke, dass wir ein chemisches Element zur Härtung unserer Zähne verwenden, das nur bei der Explosion gigantischer Sterne und der dabei stattfindenden seltenen Wechselwirkung mit den geisterhaften Neutrinos entstehen kann…
Eine zweite Möglichkeit der kosmischen Fluor-Produktion wurde in den 1990er Jahren identifiziert. Astronomen hatte rote Riesensterne untersucht und die Häufigkeit des dort vorkommenden Fluors gemessen. Und in einer speziellen Gruppe dieser Sterne fanden sie überdurchschnittlich viel davon: den sogenannten AGB-Sternen. Das sind Sterne, die schon am Ende ihres Lebens angekommen sind und bei denen zwei Arten von Kernfusion ablaufen. In den kühleren äußeren Schichten wird ganz normal Wasserstoff zu Helium fusioniert. Im heißeren Kern dagegen sind die Temperaturen hoch genug, um Helium zu Kohlenstoff zu fusionieren. Dieses Heliumfeuer brennt aber nicht so stabil und gleichmäßig wie die normale Wasserstoff-Fusion. So ein “Helium-Flash” kann jede Menge Kohlenstoff aus dem Inneren des Sterns in die äußeren Schichten bringen und ihn zu einem “Kohlenstoff-Stern” machen. Genau bei dieser Art der Sterne hatten die Astronomen auch die hohen Fluor-Mengen entdeckt. Normalerweise würde das bei den nuklearen Reaktionen entstehende Fluor im Inneren des Sterns gleich wieder durch weitere Reaktionen mit dem Helium umgewandelt und vernichtet werden. Aber so wie der Helium-Flash den Kohlenstoff nach oben in die kühleren Zonen bringt, tut er das auch mit dem Fluor. Das Fluor wird dabei schneller in die “sicheren” Zonen transportiert als es weiter unten vernichtet werden kann und kann sich ansammeln. Wenn dann der Stern später seine äußeren Schichten ins All hinaus pustet und endgültig stirbt, wird dabei auch das Fluor im Universum verteilt.
Die dritte Möglichkeit der Fluor-Produktion findet man in sogenannten Wolf-Rayet-Sternen (über die ich hier schon mal mehr geschrieben habe). Auch das sind Riesensterne am Ende ihres Lebens; sie sind aber so heiß und erzeugen durch ihre starke Strahlung einen so heftigen Sternenwind, dass sie schon lange vor ihrem Ende ihre äußeren, kühleren Schichten ins All hinaus blasen. Übrig bleibt nur der heiße Kern (der bei diesen Sternen aber immer noch enorm groß ist), weswegen diese Riesen auch nicht rot, sondern blau-weißlich leuchten. Der Sternwind rettet vermutlich auch das Fluor. Es entsteht in den Wolf-Rayet-Sternen auf die gleiche Art wie in den AGB-Sternen und würde normalerweise auch hier durch das Helium wieder vernichtet werden. Aber der Sternwind pustet es schneller hinaus ins All, als es zerstört werden kann.
Drei faszinierende Möglichkeiten also, um Fluor zu erzeugen. Und vermutlich tragen alle drei zur Entstehung des Fluors bei. Welchen Anteil die einzelnen Prozesse allerdings wirklich an der Gesamtbilanz haben, ist immer noch ungeklärt. Eine wissenschaftliche Arbeit aus dem letzten Jahr (“Fluorine in the solar neighborhood – is it all produced in AGB-stars?”) kommt zu dem Ergebnis, dass die AGB-Sterne vermutlich die Hauptquelle sind. Aber das letzte Wort in dieser Frage ist noch lange nicht gesprochen.
Wenn ihr also das nächste Mal ein wenig Salz über euer Essen streut oder der Zahnarzt sich über ein Loch in eurem Zahnschmelz beschwert, dann denkt ein wenig über die gewaltigen kosmischen Vorgänge nach, die hier eine Rolle spielen! Neutrinos, Supernova-Explosionen und sterbenden Riesensterne in weit entfernten Regionen des Universums nehmen hier einen ganz direkten Einfluss auf unser Leben. Selbst auf so etwas profanes wie Knochenwurst im Sauerland…
Ich werde auf jeden Fall mal schauen, ob ich diese Spezialität hier irgendwo bekommen kann. Probieren kann man es ja zumindest. Ansonsten mache ich mir jetzt noch ein paar ruhige Tage in Olsberg im Sauerland bevor ich dann am Samstag weiter nach Mannheim reise um dort einen Vortrag zu halten. Über die dortigen Spezialitäten habe ich mir noch keine Gedanken gemacht – aber ich bin sicher, das man darin auch jede Menge Astronomie finden kann!
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